50 solarbetriebene Straßenlaternen säumen heute zwei kleine Dörfer in Nordindien. Dazu kommen neue Biogasanlagen, die der WWF den Gemeinden zur Verfügung gestellt hat. Beides hilft den Tigern, die in den Wäldern ringsherum leben. Denn nirgendwo gibt es mehr Tiger als in der einzigartigen Region, in der die beiden Dörfer liegen.

Im Norden Indiens, nahe der heiligen Stadt Rishikesh und eingerahmt von den Ländergrenzen zu Pakistan, Tibet und Nepal, liegt das kleine Dorf Ganga Bhogpur Malla. Nur etwa 1.000 Menschen leben hier in gut 200 Häusern.

Die Region ist geprägt von üppigen Grasflächen, Wäldern und den hohen Gebirgen des Himalajas am Horizont. Sie beherbergt eine der spektakulärsten Ansammlungen großer Säugetiere in Asien und eine der höchsten Tigerdichten der Welt. Denn Ganga Bhogpur Malla liegt in der sogenannten Terai Arc-Landschaft – einer der wichtigsten Tigerlandschaften unserer Erde.

Leben im Tigerland

Bardia National Park Nepal © Emmanuel Rondeau / WWF UK
Terai Arc-Landschaft © Emmanuel Rondeau / WWF UK

„Wir können den Tigern begegnen, wenn wir in die Wälder gehen, um Nahrung und Holz zu suchen“, erzählt Pyarelal Ranakoti aus Ganga Bhogpur Malla. „Oder sogar in unseren Dörfern, wenn die schrumpfenden Wälder zu klein für diese Tiere werden, und sie sich in menschliche Siedlungen wagen, um etwas zu fressen zu finden oder in andere Gebiete zu wandern.“

Die Terai Arc-Landschaft zieht sich wie ein fruchtbarer Bogen am Fuße des Himalajas durch Indien, Nepal und Bhutan und ist nicht nur ein Wunder der Natur, sondern auf der indischen Seite gleichzeitig eine der am dichtesten besiedelten Regionen des Landes. Längst suchen sich zwischen den Wäldern schnell wachsende Dörfer, Städte, Straßen und landwirtschaftliche Anbauflächen ihren Raum.

Doch wenn die Tiger auf ihren Streifzügen Felder und Siedlungen durchqueren, sind nicht nur die Menschen in Gefahr. Den geschützten Raubkatzen droht in menschlicher Nähe aus Angst und Rache der Abschuss.

Straßenlaternen für den Tiger

Das kleine Dorf Ganga Bhogpur Malla liegt in einer Ausbuchtung des Rajaji-Tiger-Reservates und ist gemeinsam mit seinem Nachbardorf Ganga Bhogpur Talla auf drei Seiten von dem Tigerschutzgebiet umgeben. Rund um die beiden Dörfer hat der WWF insgesamt 50 solarbetriebene Straßenlaternen aufgestellt, um die Wahrscheinlichkeit von gefährlichen Begegnungen mit Wildtieren zu verringern. Das Licht der vollständig von der Sonne gespeisten Laternen hält die Raubkatzen fern.

Und ebenso die Elefanten, die hier gefürchtet sind, nachts Ernten zu plündern und Felder zu zertreten. Wildtiere meiden in der Regel gut beleuchtete Gebiete. So können Dorfbewohner:innen und bedrohte Arten gleichermaßen geschützt und Mensch-Wildtier-Konflikte nachhaltig reduziert werden.

Von Ganga Bhogpur Malla in viele weitere Dörfer

In allen Ländern, in denen heute noch Tiger leben, arbeitet der WWF an Strategien, um die Raubkatzen zu schützen und ihre Lebensräume zu vernetzen, ohne die Bedürfnisse der lokalen Gemeinschaften zu vernachlässigen. Die Straßenlaternen gehören dazu. Inzwischen erhellen fast 300 der solarbetriebenen Lampen viele weitere Dörfer in Indiens Terai Arc-Landschaft.

Tigerspur im Valmiki-Tigerreservat © WWF India
Tigerspur im Valmiki-Tigerreservat © WWF India

Gute 1.000 Kilometer Fahrstrecke westlich von Ganga Bhogpur Malla, an der nepalesischen Grenze, sollen im Valmiki-Tigerreservat die nächsten Laternen Anwohner:innen und Tiger voreinander schützen. Gerade werden die wichtigsten Standorte ermittelt.

Das Valmiki-Tigerreservat bildet gemeinsam mit zwei Schutzgebieten in Nepal ein bedeutendes, grenzübergreifendes Rückzugsgebiet für die Tiger der Terai Arc. Dieser Schutzgebietskomplex ist Projektgebiet des WWF Nepal und WWF Indien, unterstützt durch den WWF Deutschland.

Was Biogas mit Tigerschutz zu tun hat

Nicht nur Straßenlaternen sollen Menschen und Tigern in und um Ganga Bhogpur Malla helfen. In dem kleinen Ort und seinem Nachbardorf installierte der WWF insgesamt zwanzig Biogasanlagen ebenfalls im Rahmen des Tigerschutzes.

„Die Biogasanlagen haben den Verbrauch von Brennholz zum Kochen in den Dörfern um 60 Prozent gesenkt und die Anzahl der Waldbesuche verringert“, erklärt Pankaj Joshi vom WWF, der das Projekt vor Ort betreut. „Diese Anlagen sind nicht nur einfach zu bedienen. Sie sind auch wartungsfrei und produzieren im Gegensatz zu den herkömmlichen Öfen keinen schädlichen Rauch, was das Risiko von Atemwegserkrankungen verringert.“

„Vor allem aber mindern weniger Besuche in den Wäldern die Gefahr, einem Tiger oder anderen Wildtieren zu begegnen. Und eine sinkende Abhängigkeit von Holz und Brennstoffen verringert die Zerstörung ihrer Habitate.”

Pankaj Joshi vom WWF Indien

Die Rechnung ist einfach

Das Sammeln von Brennholz in den Wäldern ist ein Hauptgrund für Mensch-Wildtier-Konflikte in der Terai Arc-Landschaft. Doch obwohl die lokale Bevölkerung hier kaum Bar-Einkommen hat, um Brennholz zu kaufen, besitzen die meisten von ihnen zumindest ein paar Rinder und ein kleines Stück Land.

Zwei gesunde Kühe liefern täglich ausreichend Dung, um eine zwei Kubikmeter große Biogasanlage zu betreiben, deren Energiegehalt dem von sieben Kilogramm Brennholz entspricht. Untersuchungen haben gezeigt, dass dies ausreicht, um den Herd einer sechsköpfigen Familie zu befeuern.

Solarlaternen und Biogasöfen im Raja Ji-Tigerschutzgebiet in Indien © WWF
Solarlaternen und Biogasöfen im Raja Ji-Tigerschutzgebiet in Indien © WWF

Mit den Tigern leben

Auch die Biogasöfen sind eine Strategie, die der WWF in vielen Tigerverbreitungsgebieten prüft und einsetzt. Vielerorts bereits mit Erfolg. Denn Natur- und Artenschutz kann nur mit den Menschen vor Ort gemeinsam und unter Berücksichtigung ihrer Belange geschehen.

Dörfer wie Ganga Bhogpur Malla und Ganga Bhogpur Talla müssen mit den Tigern leben. Das sollen sie können – ohne Angst, Einbußen und mit Engagement für den Erhalt der wertvollen Natur um sie herum.

Unterstützen Sie uns beim Schutz der Tiger

  • Freilassung des Tigers im Valmiki-Tigerreservat © Kamlesh K. Maurya / WWF India Indien: Wie man Tiger und Dorfbewohner schützt

    Eine mobile Tiger-Eingreiftruppe konnte erfolgreich einen Tiger einfangen, der sich wiederholt in der Nähe eines Dorfes aufgehalten hatte, und ihn an anderer Stelle wieder in die Freiheit entlassen. Lesen Sie mehr über das Valmiki-Tigergebiet

  • Stopp Wilderei weltweit / Sumatra Tiger © C. Hütter / Arco Images Tiger: Größte Raubkatze der Erde ist bedroht

    Tiger besiedelten einst fast ganz Asien. Anfang des 19. Jahrhunderts waren es noch circa 100.000 Tiere – doch ihre Zahl sank schnell und dramatisch. Alles zum Tiger