Halsbandsittiche in Speyer, Nandus in Mecklenburg, Waschbären in Brandenburg, Ochsenfrösche in der Oberrheinischen Tiefebene: Gebietsfremde Arten führen leider nicht immer zu mehr Vielfalt, sondern können im Gegenteil für mehr Monotonie sorgen. Nämlich dann, wenn sie andere Arten verdrängen und im schlimmsten Fall ganze Ökosysteme kippen lassen. Dann gelten sie als invasiv und sind neben Lebensraumzerstörung und Übernutzug der natürlichen Ressourcen einer der Haupttreiber der Artenkrise weltweit. Zu diesem Ergebnis kommt der aktuelle Bericht des Weltbiodiversitätsrates (IPBES) zu invasiven gebietsfremden Arten und deren Kontrolle, der im September 2023 vorgestellt wurde. 

Bei uns in Deutschland ist zwar bislang keine gebietsfremde Art bekannt, die wirklich zum Aussterben oder zur drastischen Reduzierung einer einheimischen Art geführt hätte. Weltweit betrachtet waren invasive Arten aber ein wesentlicher Faktor bei 60 Prozent der beobachteten Aussterbeereignisse, so der IPBES-Bericht. Bei 16 Prozent der Fälle, in denen Tier- und Pflanzenarten ausstarben, waren sie sogar der einzige Auslöser. In weiteren 1.200 Fällen verursachten invasive Arten zumindest das Verschwinden anderer Arten aus bestimmten Gebieten.

Gebietsfremde Pflanzenarten nennt man Neophyten, gebietsfremde Tierarten Neozoen. Allgemein spricht man von Neobioten. Und nicht sie sind das eigentliche Problem, sondern wir Menschen, die sie aus ihren ursprünglichen Verbreitungsgebieten in andere Lebensräume verschleppen – ob absichtlich oder unabsichtlich.

Pest und Plage

Und das zeigt schon seit Jahrhunderten Folgen: Auf tropischen und subtropischen Inseln löschten Ratten und Katzen von europäischen Schiffen innerhalb kürzester Zeit am Boden brütende Vogelarten aus. Ziegen und Schafe fraßen ganze Inseln kahl und entzogen den einheimischen Arten die Lebensgrundlage. Das Europäische Kaninchen, bewusst als jagdbares Wild in Australien eingebürgert, hat sich dort zu einer Plage entwickelt.

Besonders dramatische Folgen für die Menschen hatte die Einschleppung der Hausratte aus Asien. Mit ihr gelangte der Pestfloh und das Pestbakterium nach Europa, welche die große Pestepidemie um 1350 mit Millionen von Toten auslösten.

Ein Amerikaner in Deutschland

Waschbär © Sarah Pietrkiewicz
Waschbär © Sarah Pietrkiewicz

Prominenter Vertreter einer absichtlich eingeführten Tierart ist der nordamerikanische Waschbär, der 1927 für die Pelzzucht nach Deutschland importiert wurde. Ein Forstmeister setzte zwei Waschbärpaare am hessischen Edersee aus, damit sie sich für die Jagd vermehren. Am Ende des zweiten Weltkrieges entkamen außerdem einige Dutzend Tiere aus einer Pelzfarm östlich von Berlin.

Inzwischen gibt es schätzungsweise 1,5 Millionen Waschbären in Deutschland. Auf dem Speiseplan des Allesfressers steht unter anderem die in Deutschland vom Aussterben bedrohte Europäische Sumpfschildkröte sowie ihre Eier. Und als gute Kletterer machen sie sich auch an Vögel heran, die sehr weit oben in Bäumen nisten. Wie sehr der Waschbär damit unseren heimischen Arten schadet und ob es sinnvoll ist, ihn zurückzudrängen, ist hoch umstritten. Seine Bekämpfung hat aber auch kaum Aussicht auf Erfolg.

Blinde Passagiere

Ein wichtiges Transportmittel invasiver Arten sind auch die großen Handelsschiffe auf den Weltmeeren. Die Chinesische Wollhandkrabbe beispielweise, die zu den gefährlichsten Neozoen gehört, kam vor über hundert Jahren im Ballastwasser von Schiffen aus China und Korea zu uns nach Deutschland. Heute siedelt sie in allen Nord- und Ostseezuflüssen. Sie ist Fressfeind und Nahrungskonkurrenz und macht Schäden an Fischereigerät, wodurch sie besonders bei Fischern unbeliebt ist. Mit den Gängen, die sie gräbt, fügt sie außerdem Dämmen und Deichen massive Schäden zu.

Auch die amerikanische Rippenqualle kam per Schiff ins Schwarze Meer und vernichtete als Nahrungskonkurrent dort ganze Fischbestände.

Ob nun von Menschen beabsichtigt oder aus Versehen, durch den weltweiten Handel und Verkehr haben gebietsfremde Arten leichtes Spiel neue Gebiete zu erreichen. 

Gebietsfremd bedeutet nicht zwingend invasiv

Doch nicht alle Neophyten und Neozoen sind gleichzeitig auch invasiv. Eine eingeschleppte Art gilt nur dann als invasiv, wenn sie sich im neuen Gebiet fest etabliert hat und einheimische Arten und Ökosysteme bedroht. Laut IPBES-Bericht gibt es weltweit mehr als 37.000 gebietsfremde Arten – mehr als 3.500 davon sind invasiv.

In Deutschland sind 1.015 Neobiota-Arten registriert, die sich ausbreiten konnten und in der Natur etabliert sind (449 Tier-, 469 Pflanzen- und 97 Pilzarten). Zusätzlich gibt es 163 gebietsfremde Tierarten, rund 1.410 gebietsfremde Pflanzen- und 4 gebietsfremde Pilzarten, die hierzulande bisher nur vereinzelt nachgewiesen werden konnten. Der Status weiterer knapp 350 gebietsfremder Arten gilt noch als unbekannt. Viele eingebrachte Arten können sich in unseren Gefilden nicht fortpflanzen oder überleben den Winter nicht. Angesichts der fortschreitenden Klimakrise ist allerdings mit der verstärkten Ausbreitung und Etablierung von Arten zu rechnen, die hier eigentlich nicht heimisch sind.

Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) listet aktuell 107 der gebietsfremden Arten in Deutschland als invasiv, weitere 114 als potentiell invasiv. Die Untersuchungen für einige Artengruppen laufen noch.

Die sogenannte Unionsliste führt 88 invasive Arten, für die in der EU besondere Vorkehrungen getroffen werden müssen, um die biologische Vielfalt vor diesen eingebrachten Arten zu schützen.

 

Gesetze dringend erforderlich

Seit Jahrhunderten nimmt die Zahl invasiver Arten in allen Regionen zu. Klimaerhitzung und Globalisierung werden diese Entwicklung verschärfen, auch mit Folgen für Ernährungssicherheit und Gesundheit. Besonders betroffen sind Menschen, die in direkter Abhängigkeit von der Natur leben wie beispielsweise indigene Völker.

„Invasive Arten wurden und werden bis heute viel zu oft ignoriert – bis es zu spät ist“, erklärt WWF-Expertin Anne Hanschke. Die Weltgemeinschaft hat sich im Dezember 2022 in Montreal mit dem Rahmenwerk zur biologischen Vielfalt unter anderem zum Ziel gesetzt, bis 2030 die Einführung und Etablierung der wichtigsten invasiven Arten mindestens zu halbieren.

„Die Verantwortung liegt bei uns, denn haben sich invasive Arten erst einmal etabliert, kann man sie nur noch mit großem Aufwand und nur in kleinen, isolierten Systemen wie Inseln erfolgreich zurückdrängen.“

Anne Hanschke, WWF-Expertin für Artenschutz

Prävention ist deshalb die beste Strategie, beispielsweise durch strenge Einfuhrkontrollen und länderübergreifendes Transportwegemanagement. Invasive Arten, die den Sprung trotzdem schaffen, müssen durch ein Frühwarnsystem rechtzeitig entdeckt und ihre Ausbreitung verhindert werden, solange dies noch möglich ist. Doch gerade einmal 17 Prozent der Staaten haben bisher überhaupt Vorschriften und nationale Gesetze, um solche Invasionen zu verhindern.

Schäden in Milliardenhöhe

Das kann uns teuer zu stehen kommen. Die wirtschaftlichen Kosten, die durch biologische Invasionen verursacht werden, haben sich seit 1970 in jedem Jahrzehnt mindestens vervierfacht. Der IPBES-Bericht beziffert den wirtschaftlichen Schaden allein im Jahr 2019 auf weit über 400 Milliarden Dollar. In diesen Betrag noch nicht eingepreist ist der tatsächliche Verlust der Artenvielfalt – denn der ist unbezahlbar und seine langfristigen Konsequenzen nicht absehbar.

So können Sie den WWF beim Kampf gegen das Artensterben unterstützen:

Weitere Informationen

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