Das Sammeln von Naturkautschuk hat im brasilianischen Regenwald lange Tradition. Doch viele Jahre konnten die Familien hier nicht mehr davon leben. Der WWF hilft ihnen, gegen die billige Konkurrenz asiatischer Kautschukplantagen zu bestehen – und schützt damit tausende Hektar Amazonas-Regenwald in einer Region, die als letzte Front gegen die Entwaldung gilt.

Dass sich das Zapfen von Kautschuk in den Wäldern um ihn herum endlich wieder lohnt, erfüllt einen Lebenstraum von Damião Santana de Oliveira. „All meine zwölf Kinder habe ich mit dem Kautschuksammeln großgezogen und ernährt“, erzählt der 84-Jährige. „Es war meine Lieblingsbeschäftigung, auch wenn ich dafür oft sehr hoch klettern musste.“ Damião Santana de Oliveira lebt in Canutama im Süden des brasilianischen Bundesstaates Amazonas. Die artenreichen Wälder der Region sind Brennpunkt fortschreitender Abholzung. Kautschuksammler wie Damião sehen sich mit Landraub und der Umwandlung von Regenwäldern in Acker- und Weideflächen konfrontiert.

Kautschuksammler kämpfen ums Überleben

Kautschukbäume auf einer Plantage in Vietnam © Ska Zka / iStock / Getty Images
Kautschukbäume auf einer Plantage in Vietnam © Ska Zka / iStock / Getty Images

Jeden Tag bei Morgengrauen ging Damião früher in den Wald. Er kannte ihn wie seine Westentasche und weiß bis heute, wo die Kautschukbäume wachsen. Über 30 Meter hoch und mehr als 200 Jahre alt können diese Bäume werden, die einen gefragten Rohstoff unserer Erde liefern: Gummi. Kautschukbäume sind im Amazonasbecken heimisch und vermehren sich hier auf natürliche Weise. Doch heute werden die Bäume größtenteils in Asien auf Plantagen angebaut und drücken die Weltmarktpreise für Naturkautschuk. „Sechs Jahre lang konnte ich gar keinen Kautschuk mehr verkaufen und habe mich stattdessen mit Landwirtschaft über Wasser gehalten“, beklagt Antônio dos Santos de Oliveira, 48, einer der Söhne von Damião, der das Handwerk von seinem Vater erlernt hat.

Kautschuk schützt den Regenwald

Die traditionellen Kautschukzapfer haben ihr Zuhause in den entlegensten Gebieten Amazoniens, wo der ursprüngliche Wald noch weitgehend intakt ist. Im Gegensatz zu den Monokulturen in Asien ist ihr Kautschuk nachhaltig und das Amazonasbecken der einzige Ort auf der Welt, an dem die Kautschukbäume wild in einem Wald zusammen mit anderen Arten wachsen. Hier kann der Saft der Kautschukbäume gezapft werden, ohne diese zu schädigen. Das Kautschuksammeln ist eine wichtige Möglichkeit, Einkommen aus dem Regenwald zu erzielen – und ihn deshalb zu erhalten. „Natürliche, gesunde Wälder müssen und können auch wirtschaftliche Anreize bieten, damit die Abholzung nicht die einzige Möglichkeit bleibt, hier Geld zu verdienen“, so Dr. Konstantin Ochs, Brasilien-Referent beim WWF Deutschland. Doch der wilde Naturkautschuk ist zwar wesentlich ökologischer und von besserer Qualität, aber auch teurer als der Kautschuk von Plantagen.

  • Latex Extraktion © Hkun Lat / WWF Myanmar Naturkautschuk als Rohstoff

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Dringend notwendig: Das Geschäft wieder beleben

Versammlung von Kautschuk Arbeiter:innen © Christian Braga / WWF Brazil
Versammlung von Kautschuk Arbeiter:innen © Christian Braga / WWF Brazil

Der WWF unterstützt verschiedene Gemeinden und hunderte Familien im südlichen Amazonas dabei, Absatzmärkte für ihren nachhaltigen Kautschuk zu finden und sich gegen die Billigkonkurrenz aus Asien durchzusetzen. Wir helfen bei Verhandlungen und Vermarktung und bewerben nicht nur die Qualität des Naturkautschuks, sondern auch dessen historische und kulturelle Bedeutung und seinen Wert für den Naturschutz. Wir vernetzen die Kautschuksammler untereinander, bieten Fortbildungen, stellen spezielle Ausrüstung zur Verfügung, unterstützen bei der Ernteplanung und logistisch. Denn der Kautschuk muss zum Beispiel mehrere Tagesreisen mit dem Boot transportiert werden.

Durch diese Initiativen trägt der WWF direkt zur Erhaltung von mehr als 60.000 Hektar Regenwald bei. Bald sollen es 150.000 Hektar sein.

Neue Wertschätzung für den Amazonas-Kautschuk

Heute ist Kautschuk aus dem Amazonas-Regenwald wieder ein profitables Produkt und die Kautschuksammler und ihre Familien können endlich wieder von ihrer Arbeit leben. „Früher haben sie so wenig bezahlt und es war sehr schwierig, aber nun ist es viel besser." Damiãos Sohn Antônio ist so begeistert von der neuen Wertschätzung seines Kautschuks, dass er in drei Monaten über 600 Kilogramm davon produzierte. „Ich würde kein anderes Leben wollen“, fügt einer seiner Kollegen hinzu. „Wir gehen morgens in den Wald und wenn wir dort ankommen, hören wir nichts außer dem Gezwitscher der Vögel. Bei den Kautschukbäumen singen und rufen wir dann, um zu hören, wie weit wir voneinander entfernt sind. Der gesamte Lebensunterhalt meiner Familie stammt aus der Natur.“

Wie zapft man Kautschuk?

Kautschukzapfen im Amazonas ist harte Arbeit – und traditionell eine fast ausschließlich männliche Tätigkeit. Mehrere Fußmärsche täglich muss ein Kautschuksammler durch den dichten Regenwald zurücklegen, um etwa 100 Bäume zu erreichen. Frühmorgens ritzt er ihre Rinde vorsichtig an. Der austretende Milchsaft, Latex genannt, wird in Schalen aufgefangen. Wichtig ist, nicht zu viel anzuzapfen, damit der Baum sich wieder regenerieren kann. Nachmittags kehren die Kautschuksammler zurück, um den Latex einzusammeln, bevor er gerinnt. Allgegenwärtig ist die Gefahr, auf Schlangen oder Jaguare zu treffen. Doch die Kautschuksammler kennen die lokale Flora und Fauna genau, einschließlich ihrer Verwendung als Nahrungsmittel und Medizin.

Gegen die Abholzung: Mitsprache aus der Abgeschiedenheit

Die Region, in welcher Damião, Antônio und ihre Kollegen und Familien leben, verdient besonderen Schutz. Denn sie ist eine der am stärksten von der Abholzung bedrohten Regionen des gesamten Amazonasgebietes. Kultur und Lebensweise der Gemeinschaften hier sind eng mit dem Wald verbunden. Doch in der Abgeschiedenheit versickern Informationen und ist politische Beteiligung schwierig. Der WWF stärkt die indigenen Völker und traditionellen Gemeinschaften in ihren Belangen und dem Schutz ihrer Heimat und hat dafür die Initiative „Allianz für nachhaltige Entwicklung des südlichen Amazonas (ADSSA)“ ins Leben gerufen. Sie verbindet lokale Gemeinden, staatliche und nichtstaatliche Institutionen, sowie private Initiativen, um eine nachhaltige sozioökonomische Entwicklung im Einklang mit dem Naturschutz zu fördern. Erfahrungen können ausgetauscht, Informationen gestreut und gemeinsame Aktionen geplant werden. Das ermöglicht zum Beispiel auch den Kautschuksammlern, effektiver gegenüber den Entscheidungszentren aufzutreten und ihre Anliegen zu vertreten.

„Zuerst dachte ich, ich würde für die Rettung von Kautschukbäumen kämpfen, dann für den Erhalt des Amazonas-Regenwaldes. Nun weiß ich, dass ich für die Menschheit kämpfe.“

Chico Mendes

Traditionelle Kautschuksammler: Das Erbe von Chico Mendes

Chico Mendes und seine Frau Ilsamar 1988 ©Miranda Smith / CC BY-SA 3.0
Chico Mendes und seine Frau Ilsamar 1988 © Miranda Smith / CC BY-SA 3.0

Der Kampf der Kautschuksammler um die Natur und ihre Wälder hat eine lange Geschichte. Ihr bekanntester Aktivist war Chico Mendes, der 1988 von Großgrundbesitzern deshalb ermordet wurde. In den 1970er Jahren hatte Mendes Kautschuksammler vernetzt und zum friedlichen Widerstand geführt, als große Teile ihrer Wälder für Viehweiden abgeholzt wurden. Die Bewegung erlangte internationale Aufmerksamkeit und führte dazu, dass große Regenwald-Gebiete zu Schutzgebieten für die nachhaltige Nutzung durch die lokalen, traditionellen Gemeinden erklärt wurden. Die Bewegung der Kautschuksammler um Chico Mendes gilt bis heute als eine der ersten, erfolgreichen Basisbewegungen für den Naturschutz und die Anerkennung der Rechte lokaler Völker. Dieses Erbe möchten wir fortsetzen. Denn die Wälder Amazoniens sind weit mehr wert als ihre Flächen für Soja und Rinderweiden.

  • Chico Mendes im Hinterhof seines Hauses © Miranda Smith / CC BY-SA 3.0 Chico Mendes: Ein Leben für den Amazoans

    Chico Mendes wurde ermordet, weil er sich für den Amazonas-Regenwald einsetzte. Würdigung eines Naturschutzpioniers. Weiterlesen...