Die Auswirkungen von Wladimir Putins Angriff auf die Ukraine machen uns fassungslos. Und sie werfen schwerwiegende Fragen auf – auch im Natur- und Umweltschutz.
Wie stoppen wir endlich das Leid der Menschen in der Ukraine? Mehr als vier Monate nach Kriegsbeginn bleibt das die zentrale Frage. Längst spüren auch wir in Deutschland erste, noch vergleichsweise marginale Folgen des Krieges. Zum Beispiel, weil Lieferketten unterbrochen sind und wir bei der Energieversorgung bislang in fahrlässiger Weise von einer Diktatur abhängig waren.
Kommt die Energiewende jetzt schnell – oder gar nicht? Und müssen wir den Naturschutz in der Ukraine und Russland abschreiben?
Christoph Heinrich, Geschäftsführender Vorstand des WWF Deutschland, nimmt Stellung.
Interview zu Folgen des Krieges für die Natur
Wird der WWF seine Arbeit in der Ukraine und Russland einstellen?
Christoph Heinrich: „Auf gar keinen Fall. Wir tun alles, was möglich ist, um über unser weltweites WWF-Netzwerk den Kolleg:innen in der Ukraine wie in Russland beizustehen. Mit Lebensmitteln, technischer Hilfe und Geld – vor allem aber mit menschlichem Beistand, wo und wie immer das möglich ist.
Die Arbeit in schwierigen Regionen ist für uns nicht ungewöhnlich. Denken wir etwa an das Kongobecken oder an Myanmar, wo der WWF seit langem aktiv ist. Wir können uns das politische Umfeld, in dem wir arbeiten, nicht aussuchen, sondern müssen auch dort aktiv sein, wo es am meisten brennt.“
Die Relevanz von Russland und der Ukraine für den Naturschutz
Russland mit der fast 50-fachen Fläche Deutschlands ist für den Erhalt der globalen biologischen Vielfalt von fundamentaler Bedeutung.
Die Ukraine wiederum hat neben Naturjuwelen wie den Karpaten und Teilen des Donaudeltas eine große Bedeutung als Kornkammer Europas.
Wir bekommen die Folgen des Krieges hierzulande vor allem im Energiesektor zu spüren. Könnte die angestrebte Unabhängigkeit von russischem Öl und Gas eine Chance für eine beschleunigte Energiewende sein?
„Das wäre zu hoffen. Es ist an der Zeit, die Energiewende deutlich zu beschleunigen. Die Hindernisse beim Ausbau der erneuerbaren Energien müssen weg, Effizienz und Einsparung außerdem massiv gefördert werden. Die momentan energiepolitische Lage ist ohne Frage schwierig. Hier rächen sich die Fehler der Vergangenheit. Die Versuche, sich von den russischen Energiequellen zu lösen, um nicht länger Putins Kriegskasse zu füllen, ist nachvollziehbar. Allerdings darf man nicht den Fehler machen, sich in neue langfristige Abhängigkeiten zu begeben – Stichwort Flüssiggas.“
Zugleich werden Rufe laut, den Kohleausstieg zu verschieben, neue Gasfelder zu erschließen und sogar die letzten noch in Betrieb befindlichen Atomkraftwerke weiter zu betreiben.
„Die Lösung liegt eindeutig bei mehr Effizienz und bei den erneuerbaren Energien, die Finanzminister Lindner zu Recht als „Freiheitsenergien“ bezeichnete.
Sie stärken nicht nur den Standort Deutschland, sondern sind zugleich das entscheidende Instrument zur Bekämpfung der Klimakrise und letztlich auch ein Beitrag zum Frieden.“
Weil Weizen und Sonnenblumenöl knapp werden, fordern Bauernverbände, sogenannte ökologische Stilllegungsflächen wieder für die Produktion zu nutzen. Was ist davon zu halten?
„Eine absurde Idee. Die Flächen wurden ja aus der intensiven Nutzung genommen, damit sich die Natur erholen kann. Stilllegungsflächen sind wichtig für eine gesunde, widerstandsfähige Umwelt, in der sich gute Lebensmittel anbauen lassen.
Vor allem aber: Wir reden hier in Deutschland gerade mal über 300.000 Hektar – bei einer gesamten Ackerfläche von 16 Millionen Hektar. Was soll das bringen? Hingegen wird auf mehr als 70 Prozent ausschließlich Tierfutter angebaut. Hier müssen wir ansetzen! Weniger Fleischkonsum wäre die Lösung – und ein Beitrag zur Ernährungssicherheit weltweit.“
„Es ist an der Zeit, die Energiewende deutlich zu beschleunigen. Die Hindernisse beim Ausbau der erneuerbaren Energien müssen weg, Effizienz und Einsparung außerdem massiv gefördert werden.“
Christoph Heinrich, Geschäftsführender Vorstand des WWF Deutschland
Angesichts des schrecklichen Leids der Menschen in der Ukraine rücken die durch den Krieg angerichteten ökologischen Schäden in den Hintergrund. Dennoch ist mit erheblichen Umweltschäden zu rechnen. Wie stellt sich die Situation aus Ihrer Sicht dar?
„Die Umwelt gehört immer zu den Verlierern von Kriegen. Ich erinnere nur an die brennenden Ölquellen während des Golfkrieges. Damals flossen eine Million Tonnen Öl in den Persischen Golf und verursachten die bislang größte Ölpest der Geschichte.
In der Ukraine sehen wir brennende Tanklager und bombardierte Chemiefabriken – von den besetzten Atomanlagen ganz zu schweigen. Das komplette Ausmaß der Katastrophe wird man wohl erst nach dem hoffentlich baldigen Ende des Krieges ermessen können.“
Die Fragen stellte Jörn Ehlers, WWF.
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