Leere Supermarktregale, wo sonst Mehl und Öl stehen. Zwei Grundprodukte unserer Ernährung sind auf einmal nicht mehr unbegrenzt verfügbar. Mit Erschrecken stellen wir fest: Abgesehen vom großen Leid in der Ukraine scheint der dortige Krieg auch ganz unmittelbar uns zu betreffen. Doch bedrohen Lieferausfälle aus Russland und der Ukraine wirklich unsere Versorgung? Welche Lösungen gibt es? Und wie betrifft der Lebensmittelmangel Regionen, die ohnehin unter Hunger leiden?

Warum das Sonnenblumenöl wirklich knapp geworden ist

Sonnenblumenöl für den Weltmarkt wird zu großen Teilen in der Ukraine und in Russland angebaut. Fallen sie als Exportländer aus, ist ein erheblicher Mangel die Folge. Dieser würde sich in unseren Supermärkten allerdings frühestens im nächsten Jahr bemerkbar machen. Denn Sonnenblumen werden im Spätsommer geerntet.

„Auch Exportquoten aus Russland sind derzeit kein Grund für leere Regale“, so Johann Rathke, Koordinator für Agrar- und Landnutzungspolitik beim WWF Deutschland. „Die Gesamtmenge an Sonnenblumenöl und anderen Agrarrohstoffen war und ist gegeben. Das Problem waren im Frühjahr des Jahres vor allem Hamsterkäufe, wie wir sie schon während der Corona-Pandemie erlebt haben.“

Mehl- oder Speiseöl-Knappheiten in deutschen Supermärkten sind also weniger ein Indikator für die Versorgungssicherheit selbst, sondern viel mehr ein Indikator für die Verunsicherung der Bevölkerung.

Wenn Russlands Weizen wegfällt

Weizenfeld © Nastco / iStock / Getty Images Plus
Weizenfeld © Nastco / iStock / Getty Images Plus

Auch leere Mehl-Regale waren lange Zeit Ausdruck dieser Sorge um eine gesicherte Versorgung und nicht die Folge fehlenden Weizens aus Russland. Denn einerseits würde sich selbst der von der russischen Vizepräsidentin angekündigte Exportstopp des Getreides nicht sofort auswirken.

Vor allem aber spielt Russland zwar eine wichtige Rolle auf dem Welt-Agrarmarkt, doch Deutschland und Europa haben gerade bei Getreide einen hohen Selbstversorgungsgrad.

Weit schlimmer in anderen Ländern

„Während wir in Deutschland und Europa uns nicht um einen Getreidemangel sorgen müssen, kann sich die Situation in der Ukraine und Russland auf die Märkte anderer Regionen der Welt viel drastischer auswirken“, befürchtet Agrarpolitik-Experte Rathke.

So versorgen sich einige Länder Afrikas wie die Demokratische Republik Kongo oder Ruanda bis zu 80 Prozent aus Russland mit Getreide. Auch die Türkei und zum Beispiel Ägypten sind in hohem Maße abhängig von Importen aus Russland und der Ukraine.

Besonders im Osten Afrikas treffen fehlende Importe auf verheerende Ernteausfälle der letzten Jahre durch immer trockenere Regenzeiten. „Die Klimakrise wird von Jahr zu Jahr sichtbarer, nicht nur in Afrika“, so Rathke. „Mit dem Krieg in der Ukraine und weltweit steigenden Energiepreisen kommen immer mehr Krisen zusammen, die sich letztlich gefährlich auf die Lebensmittelpreise auswirken.“

„Enorme Preissteigerungen bei Lebensmitteln sind derzeit eine wichtige Ursache für Hungersnöte.“

Johann Rathke, Koordinator für Agrar- und Landnutzungspolitik beim WWF Deutschland

Ein Problem: Die Preisentwicklung

Supermarktregal während des Ukraine-Krieges © imago / Martin Wagner
Supermarktregal während des Ukraine-Krieges © imago / Martin Wagner

Teure Lebensmittelpreise beeinträchtigen auch Hilfslieferungen in von Hunger geplagte Länder. Die weltweit steigenden Lebensmittelpreise liegen aber nicht in der zur Verfügung stehenden Menge begründet, sondern in hohen Energiekosten, die auch die Landwirtschaft und die Herstellung von Düngemitteln stark betreffen.

„Der Agrarmarkt ist kein regionaler, sondern ein globaler Markt, der sich in allen Regionen der Welt relativ einheitlich entwickelt“, erklärt Johann Rathke vom WWF Deutschland. „Der gesamte globale Preisrahmen für Lebensmittel ist derzeit viel zu hoch und eine Erholung ist nicht in Sicht, im Gegenteil. Dieser enorm hohe Preis muss mit entsprechenden Instrumenten kompensiert werden.“

Welche Lösungen gibt es?

Kurzfristig müssen die Hilfsorganisationen wie zum Beispiel das World Food Programme mit den notwendigen finanziellen Ressourcen ausgestattet werden, damit sie die höheren Lebensmittelpreise zahlen können. Aber das allein reicht nicht.

„Es ist wichtig, dass die internationalen Agrarmärkte möglichst offen bleiben“, betont Rathke. „Denn hier geht es um existentielle Fragen, um die Versorgung der Menschen mit Lebens- und Nahrungsmitteln.“

Und wir müssen unser Agrarsystem umstellen. Allein in Deutschland werden rund 60 Prozent des Getreides für die Herstellung von Tierfutter verwendet. Diesen Anteil müssen wir deutlich reduzieren, um mehr Getreide für die Herstellung von Lebensmitteln zu haben. Dies geht letztlich aber nur, in dem der Konsum von tierischen Produkten deutlich eingeschränkt wird – eine enorme gesellschaftliche und politische Herausforderung. Auch die Herstellung von Agrokraftstoffen müssen wir hinterfragen. Gerade die jetzige Situation verdeutlicht: Getreide gehört auf den Teller, nicht in Trog und Tank.

Die derzeitige Verfügbarkeit von Getreide ist eine Momentaufnahme. Der Blick in die Zukunft lässt uns vor allem mit großen Unsicherheiten konfrontieren: der drastische Rückgang der Artenvielfalt, die katastrophalen Auswirkungen der Klimakrise oder ein schlechter Gewässerzustand. All diese Herausforderungen erhöhen die Risiken von Ernteausfüllen oder eine Gefährdung von Agrarökosystemen. Deshalb ist gerade in der jetzigen Situation der Bedarf groß, Maßnahmen zu treffen, die die Biodiversität verbessern, das Klima und die natürlichen Ressourcen schützen. Die EU-Kommission hat deshalb die Farm to Fork-Strategie entwickelt, die zahlreiche Maßnahmen bereithält. Diese jetzt umzusetzen, ist Gebot der Stunde, denn Ernährungssicherheit können wir nur gewährleisten, wenn wir Produktionssicherheit haben.

Deutschland unabhängiger machen

Deutschlands Selbstversorgungsgrad bei Getreide, Kartoffeln und tierischen Produkten wie Fleisch und Milch ist hoch. Bei Gemüse liegt er jedoch nur bei 35 Prozent, ein Großteil wird importiert. „Aufgrund der begrenzten Fläche werden wir kaum je völlig unabhängig vom Weltmarkt sein. Aber entscheidend ist, was wir mit der Fläche machen“, so Johann Rathke. „Wir brauchen eine Umverteilung und sinnvollere Produktion. Das bedeutet in erster Linie, das Verhältnis zwischen dem Anbau von Lebensmitteln und von Futtermitteln drastisch zu verändern und sich grundsätzliche die Frage zu stellen: Wie gehen wir mit unserem Fleischkonsum um? Das muss politische Aufgabe sein.“ Ein weiterer Schlüssel, um kurzfristig Fläche für die Herstellung von Lebensmitteln zu aktivieren, ist die Abwendung vom Biosprit aus Getreide, der ohnehin eine schlechte Energiebilanz hat. Keine Lösung dagegen ist das Freigeben von Naturschutzflächen.

Aber nicht auf Kosten der Umwelt

Angesichts steigender Lebensmittelpreise und dem Schreckgespenst von Lieferengpässen steht in der Diskussion, ökologisch relevante Flächen zukünftig für die intensive Landwirtschaft zu nutzen – einschließlich des großflächigen Einsatzes von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln – und Brachflächen zu reduzieren. Was für die Umwelt dramatisch ist, bringt jedoch auch die Landwirtschaft selbst in Gefahr. Denn Klima- und Bodenschutz brauchen brachliegende Flächen und ein funktional wirksames, intaktes Ökosystem.

„Zwei ganz entscheidende Risiken, die sich unmittelbar auf die Produktionssicheheit auswirken, sind der drastische Verlust der Biodiversität in der Agrarlandschaft und die Klimakrise mit ihren Dürren in Folge. Wenn es uns nicht gelingt, beidem mit ganz konkreten Instrumenten etwas entgegenzusetzen, dann gefährden wir tatsächlich mittel- und langfristig die Produktion und Ernährungssicherheit in Deutschland und Europa.“

Johann Rathke, Koordinator für Agrar- und Landnutzungspolitik beim WWF Deutschland

Der Krieg in der Ukraine hat Auswirkungen, die weit über die Region hinausreichen. Doch ein Ernteausfall, der uns in Deutschland gefährdet, ist kaum zu befürchten. Dagegen verschärfen weltweit explodierende Energie- und damit Getreide- und Düngemittelpreise die ohnehin angespannte Ernährungssituation in vielen Ländern des Südens. Eine geringfügige Erhöhung der landwirtschaftlichen Produktionsmengen in Deutschland und Europa wird darauf keinen Einfluss haben.

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