Das Emissionshandelssystem (ETS) wurde im Jahr 2005 als das zentrale Instrument der Europäischen Union zur kosteneffizienten Minderung der Treibhausgasemissionen beschlossen. Es deckt alle Anlagen in der Industrie und in der Stromwirtschaft ab, was etwa 45 Prozent der europäischen Treibhausgasemissionen umfasst. Die Idee besteht darin, eine Obergrenze für den Ausstoß an klimaschädlichen Treibhausgasen festzusetzen, und innerhalb dieser Obergrenze CO2-Zertifikate auszugeben, die die Unternehmen berechtigen, CO2 auszustoßen. Durch diesen Preis auf CO2 sollen Investitionsanreize für klimafreundliche Technologien und Verfahren geschaffen werden.

Historie des EU-Emissionshandels

Gravierender Konstruktionsfehler

Atomkraftwerk © Michel Gunther / WWF
Atomkraftwerk © Michel Gunther / WWF

Der Emissionshandel ist mit schwerwiegenden Konstruktionsfehlern gestartet. Den europäischen Unternehmen wurde im Übermaß das Recht eingeräumt, sich Emissionsminderungsgutschriften aus dem Ausland mit oft dubioser Herkunft anzurechnen. Sowohl der Import dieser Emissionsminderungsgutschriften in das System als auch die großzügige Zuteilung kostenloser Zertifikate an die Industrie und die Wirtschaftskrise im Jahr 2008 führten zu einem enormen Überangebot am CO2-Markt. So kam es zu einer Schwemme an Zertifikaten, die jahrelang einen dramatischen Preisverfall auslöste.

Langwierige Reparaturversuche

Seit 2013 sind zwei Maßnahmen beschlossen worden, um den Überschuss auf dem Markt einzudämmen:

  • Beim Backloading wird die Versteigerung der Zertifikate verschoben: um 400 Millionen Zertifikate im Jahr 2014, um 300 Millionen Stück im Jahr 2015, und um 200 Millionen Stück im Jahr 2016. Die zurückgehaltenen 900 Millionen Zertifikate sollten in zwei Schritten 2019 und 2020 wieder zurück auf den Markt kommen, sind aber in der Marktstabilitätsreserve direkt gelandet.
     
  • Die Marktstabilitätsreserve (MSR), die im Jahr 2019 eingeführt wurde, nimmt überschüssige Emissionszertifikate aus dem Markt, und kann diese wieder freisetzen sobald wieder eine Knappheit auf dem Markt entsteht. Mittlerweile sind die Mengen aus dem Backloading in die MSR eingeflossen.

Löschung endlich möglich

Überraschenderweise hat die im November 2017 beschlossene Reform des Instruments das Überschuss-Problem ernst genommen und mit kreativen Lösungen adressiert. Der WWF hat folgende Aspekte der Reform begrüßt:

  • CO2-Zertifikate über einer bestimmten Schwelle (Versteigerungsmenge des Vorjahres), die sich in der Marktstabilitätsreserve befinden, werden ab 2023 gelöscht – damit ist endlich eine Regelung beschlossen, die den Überschuss beseitigt.
     
  • Mitgliedstaaten können Zertifikate freiwillig löschen, wenn sie im Stromsektor zusätzliche Maßnahmen beschließen, zum Beispiel bei Stilllegungen von Zertifikaten. Diese Möglichkeit verhindert, dass andere Anlagen diese Zertifikate nutzen können (Vermeidung des sogenannten „Wasserbetteffekts“). Die nationale Löschung von Zertifikaten ist die perfekte Ergänzung zum CO2 -Mindestpreis.

Kernforderungen des WWF zum EU-Emissionshandel

Anpassung an neues Europäisches Klimaschutzziel notwendig

Das Gebäude des Europäischen Parlaments in Brüssel, Belgien © mdmworks / iStock / GettyImages
Das Gebäude des Europäischen Parlaments in Brüssel, Belgien © mdmworks / iStock / GettyImages

Im Dezember 2020 wurde ein neues EU-Klimaziel beschlossen: bis 2030 sollen in der EU 55 Prozent weniger Treibhausgasemissionen im Vergleich zu 1990 ausgestoßen werden. Es besteht Konsens darüber, dass das neue EU-Ziel auf mehr Reduktion der Zertifikate im Emissionshandel hinausläuft – von derzeit 43 Prozent auf mindestens 65 Prozent, besser 70 Prozent (unter dem Basisniveau von 2005), bis 2030.

Darüber hinaus besteht die Herausforderung für das EU-Emissionshandelsystem darin, den historischen Überschuss an Zertifikaten abzubauen, der die Wirksamkeit des ETS in der Vergangenheit untergraben hat.

Mit dem Beschluss zu diesem neuen EU-Klimaziel steht nun die nächste ETS-Reform für die Zeit bis 2030 an. Die EU-Kommission hat dazu im Sommer 2021 innerhalb des „Fit for 55 Package“ einen Vorschlag gemacht. Für den WWF sind folgende Punkte entscheidend, um das System wirksam zu machen:

1. Ein ETS-Ziel von 70 Prozent

Eine neue Studie des WWF zeigt, dass verschiedene Reformoptionen benötigt werden, um den ETS „Fit for 55 %“ zu machen. Einerseits muss die Obergrenze durch einen höheren linearen Reduktionsfaktor verschärft werden, andererseits muss der historische Überschuss an Zertifikaten über die Marktstabilitätsreserve schneller abgebaut werden, um sicherzustellen, dass das Ziel für 2030 erreicht werden kann.

  • Für die Verschärfung der Ambition ist eine Kombination aus einem höheren linearen Reduktionsfaktor (jährliche Verknappung der Zertifikate) und einem Rebasing (um die Emissionsminderungen auf das tatsächliche Emissionsniveau anzupassen), möglichst früh, notwendig. Wir brauchen ein Rebasing von 350 Millionen Zertifikaten und eine Erhöhung des linearen Reduktionsfaktors auf 3,6 Prozent, beides ab 2023.
  • Eine Reform der MSR ist notwendig, um die überschüssigen Zertifikate viel schneller und kontinuierlicher aus dem Markt zu nehmen und später zu löschen.
  • Zudem bedarf es der Einführung eines Mindestpreises als Sicherheitsnetz, um einen neuen CO2-Preisabsturz zu vermeiden, und um die Investitionssicherheit in Bezug auf klimafreundliche Erzeugungsformen zu stärken.
2. Reform der kostenlosen Zuteilung

Einige Fehler des EU-ETS wurden mittlerweile korrigiert. Allerdings nicht die kostenlose Zuteilung an der Industrie. Durch sie stagnieren seit Jahren die Emissionen in der Industrie, anstatt zu sinken: Die Emissionen der Industrie im ETS sind zwischen 2012 und 2019 um zwei Prozent runtergegangen und in Deutschland seit 2012 praktisch nicht gesunken (Quelle: DEHST 2021). 

So setzte die kostenlose Zuteilung falsche Anreize an die Industrie und verhindert, dass sie ihre Emissionen reduziert und sich stärker in Richtung Netto-Null bewegt. Deshalb hat das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) in einer Studie im Auftrag des WWF drei zentrale Vorschläge zur ETS-Revision erarbeitet, wie Fehlanreize in der aktuellen Reform beseitigt werden können. 

Lisa Okken, WWF-Referentin für Klimaschutz und Energiepolitik sagt dazu: „Die Weitergabe des Preissignals würde eine Lenkungswirkung entfalten und der Industrie Planungssicherheit geben, langfristig die richtigen Investitionsentscheidungen zu treffen und sich an das neue Paradigma der Klimaneutralität anzupassen. Die konsequente Anwendung des Verursacherprinzips wird dazu führen, dass der Verursacher für die Emissionen zahlt und nicht die Gesellschaft als Ganzes.“

Mit drei zentralen Maßnahmen können die Fehlanreize durch die kostenlose Zuteilung im ETS reduziert und die Industrie schneller klimaneutral werden:

  1. Die Überschneidung zwischen dem CBAM und der freien Zuteilung im ETS in einer Übergangszeit von zehn Jahren, wie es die Kommission vorschlägt, muss beseitigt werden. Der WWF fordert, dass die kostenlose Zuteilung ab 2023 ganz eingestellt wird.
  2. Die kostenlose Zuteilung sollte an Bedingungen geknüpft werden. Unternehmen, welche die kostenlose Zuteilung erhalten, sollten nachweisen, dass sie in Energieeffizienz und Klimaschutzmaßnahmen investieren. Setzen Unternehmen diese Maßnahmen nicht um, sollte die kostenlose Zuteilung um 80 Prozent gekürzt werden. 
  3. Unternehmen, die ihre Industrieanlagen bereits auf klimaneutrale Verfahren umgestellt haben, sollten die kostenlose Zuteilung als Anreiz und zur weiteren Finanzierung ihrer Dekarbonisierung erhalten.
3. Zusätzliche Reformelemente

Außer der Anpassung des ETS an die EU-Klimaziele und die Abschaffung der kostenlosen Zuteilung braucht es außerdem eine generelle Reform des Instruments. Diese sollte unter anderem folgende Punkte umfassen: 

  • Anwendung des Verursacherprinzips hin zu einer hundertprozentigen Versteigerung der Zertifikate.
  • Keine Ausweitung des bestehenden EU-ETS auf Straßenverkehr und Gebäude.
  • Zweckbindung von 100 Prozent der Einnahmen aus der Versteigerung für Klimaschutzmaßnahmen im Einklang mit den Klimazielen für 2030 und 2050 und für einen sozial gerechten Übergang.
  • Ausschluss von Projekten aus dem Modernisierungsfonds, die auf fossilen Brennstoffen basieren.

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