Deutschland ist in Europa bei der Ausweisung von Meeresschutzgebieten hinsichtlich der prozentualen Bedeckung der nationalen Gewässer durch Schutzgebiete führend. Jedoch werden diese Gebiete immer noch vielfältig genutzt und damit Meerestiere und deren Lebensräume geschädigt.

Wattenmeer bei Langeoog © Hans-Ulrich Rösner / WWF
Wattenmeer bei Langeoog © Hans-Ulrich Rösner / WWF

Etwa 70 Prozent der Küstengewässer im Zuständigkeitsbereich der Küstenbundesländer sind bereits formal geschützt. In der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ, die Meeresfläche jenseits des Küstenmeeres bis zur 200 Seemeilen-Grenze), für die die Bundesregierung zuständig ist, beträgt der Anteil rund 30 Prozent. Fasst man Küstenmeer, Innere Gewässer und AWZ zusammen, sind insgesamt etwa 45 Prozent der deutschen Meeresfläche als Schutzgebiete ausgewiesen. Diese Flächen sind also gesetzlich geschützt. In ihnen muss der Schutz von Tieren wie Schweinswalen und Vögeln vor Beeinträchtigungen durch gefährdende Nutzungen und Eingriffe ebenso gewährleistet werden wie der ihre Lebensräume und von Naturprozessen.

Immer noch kein guter Zustand von Nord- und Ostsee

Den Arten und Lebensräumen im Meer geht es trotz der Einrichtung dieser Schutzgebiete weiterhin schlecht. Vielmehr ist von der Bundesregierung sowohl für Nord- als auch Ostsee festgestellt worden, dass in den deutschen Meeresgebieten der so genannte „gute Umweltzustand“ nach der europäischen Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie nicht erreicht wird. Dies hätte eigentlich bis 2020 passieren sollen! Auch um den so genannten „günstigen Erhaltungszustand“ von nach EU-Vogelschutzrichtlinie und EU-Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie geschützten Arten und Lebensräumen ist es schlecht bestellt:

  • Einst charakteristische Meeresentenarten in der Ostsee (Eiderente, Eisente) sind in ihrem Bestand seit 1995 um über 60 Prozent zurückgegangen.
  • Der östliche Ostseeschweinswal ist seit Jahren auf dem Tiefststand, Wissenschaftler gehen nur noch von circa 300 bis 400 Tieren aus. Insbesondere durch den Einsatz von Stellnetzen ist der Bestand westlich Rügens akut bedroht.
  • Wertvolle Unterwasserlebensräume wie Riffe und Sandbänke und ihre Lebensgemeinschaften werden, vor allem in der Nordsee, bis zu viermal jährlich von Bodenschleppnetzen durchpflügt.
  • Sand- und Kiesabbau ist in den Schutzgebieten stellenweise zugelassen, sogar Aufsuchungsgenehmigungen für Öl und Gas werden weiterhin erteilt.
  • Die Fischerei unterliegt nur sehr begrenzt Naturschutzregelungen und hat weiterhin starke Auswirkungen auf den Meeresboden, die dort lebenden Arten sowie auf Schweinswale und Seevögel.

Wo Meeresschutz drauf steht, muss auch Meeresschutz drin sein

Krabbenkutter © Hans-Ulrich Rösner / WWF
Krabbenkutter © Hans-Ulrich Rösner / WWF

Trotz der Verpflichtung durch die EU, bis Ende 2013 in den Natura 2000-Gebieten Schutzmaßnahmen für die Schutzgüter einzuführen, sind für die Meeresschutzgebiete in der AWZ der Nord- und Ostsee erst 2020 beziehungsweise 2022 Managementpläne verabschiedet worden, die die unterschiedlichen Nutzungen und Eingriffe zugunsten des Naturschutzes regeln.

Erst Ende 2017 hat die Bundesregierung dies durch die Erlassung von Schutzgebietsverordnungen für die zehn Natura-2000-Gebiete in der AWZ von Nord- und Ostsee überhaupt möglich gemacht, welche diese als sechs Naturschutzgebiete in nationalem Recht verankert. Der WWF und andere Naturschutzorganisationen halten die Schutzgebietsverordnungen für ungenügend (siehe Stellungnahme der Verbände zum Entwurf der Verordnungen).Es bestehen zudem Zweifel, dass die in den Managementplänen beschriebenen Maßnahmen ausreichen werden, um den Zustand der Meere vor unserer Haustür tatsächlich zu verbessern. Bei deren Umsetzung hinkt Deutschland immer noch hinterher!

Unter dem Motto „Schutz den Schutzgebieten“ stellt der WWF in seinen Studien und Stellungnahmen dar, welche Maßnahmen vor allem in der Fischerei nötig sind, damit zum Beispiel Riffe und Sandbänke von Schleppnetzen verschont bleiben, Schweinswale und Seevögel nicht in Stellnetzen ertrinken und der Sand- und Kiesabbau gestoppt wird.

Immerhin gibt es seit Anfang 2023 einen wichtigen Fortschritt in Sachen Schutzgebietsmanagement. Es ist eine Regulierung der kommerziellen Fischerei innerhalb der Schutzgebiete in der AWZ der Nordsee, geregelt durch die Gemeinsame EU-Fischereipolitik, in Kraft getreten. Die Maßnahmen für die AWZ-Schutzgebiete Sylter Außenriff, Östliche Deutsche Bucht, Borkum Riffgrund und Doggerbank enthalten sieben Fischereimaßnahmen, von Schließungen für Bodenschleppnetze bis zu Regulierungen der Stellnetzfischerei zur Minderung des Beifangs von Seevögeln und Schweinswalen. Auch wenn die Maßnahmen insgesamt stark verbesserungswürdig sind, ist dies ein erster wichtiger Schritt hin zu mehr Schutz in den Schutzgebieten. Nun bedarf es einer konsequenten Umsetzung und Kontrolle, sodass die Maßnahmen auch tatsächlich Wirkung entfalten können. Maßnahmen für die Ostsee sowie für das Küstenmeer und die Inneren Gewässer der Nordsee (Wattenmeer) fehlen jedoch weiterhin.

Defizite auch im Küstenmeer der Bundesländer

Seehundbank © Hans-Ulrich Rösner / WWF
Seehundbank © Hans-Ulrich Rösner / WWF

Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen haben die weitaus größten Teile ihrer Nordseeküste, das Wattenmeer, als Nationalparks geschützt. Dies ist ein sehr großer Fortschritt für den Schutz dieser einmaligen Küste, den der WWF sehr hoch bewertet. Jedoch sind, auch Jahrzehnte nach der Ausweisung als Nationalparks, immer noch schwerwiegende Defizite in diesen Schutzgebieten nicht gelöst. Die wichtigsten Beispiele hierfür sind die noch weitgehend ungeregelte Fischerei innerhalb der Nationalparks, die Ölförderung auf der Mittelplate in Schleswig-Holstein oder die Verbauung und Vertiefung der Zuflüsse beziehungsweise Flussmündungen.

Ganz besonders sind die Nationalparks vom Klimawandel bedroht, der sie aufgrund des beschleunigt steigenden Meeresspiegels zerstören könnte. In den Meeresschutzgebieten der Ostsee von Schleswig-Holstein ist die Fischerei unzureichend geregelt. Viele Meeresenten und Schweinswale verenden als Beifang in Stellnetzen. Leider erfolgen Maßnahmen nicht im gesetzlichen Rahmen der Küstenfischereiordnung, sondern nur im Rahmen einer freiwilligen und inhaltlich nur schwachen Vereinbarung.

Für die Ostsee von Mecklenburg-Vorpommern liegt zwar eine generelle Schutzgebietsverordnung zu den Natura 2000-Gebieten auf See vor, sie trifft jedoch keine Schutzmaßnahmen. Seit etwa 2016 arbeitet das Land an der Erstellung von Managementplänen. Bei den bereits gültigen Plänen beschränken sich die Maßnahmen darauf, dass keine Veränderungen von Strömungen, Sedimenteintrag oder Bebauungen erlaubt sein sollen. Maßnahmen, die bestehende schädliche Nutzungen einschränken, sucht man vergeblich oder werden bestenfalls als „wünschenswerte Maßnahmen“ aufgeführt.

Was fordert der WWF?

Im Durchschnitt müssen mindestens 50 Prozent der Fläche der Schutzgebiete frei von jeglicher Nutzung sein. Öl- und Gasförderung gehört überhaupt nicht in die Schutzgebiete. Auch die Offshore-Windenergie darf nur außerhalb der Schutzgebiete entwickelt werden, um diese als Rückgrat des marinen Biodiversitätsschutzes zu erhalten. Für die Schifffahrt in den Schutzgebieten bedarf es Regelungen, damit Tiere nicht beeinträchtigt werden (z.B. mausernde Vögel).

Wenn es um die Umsetzung vor Ort geht, muss es nicht nur schlagkräftige Verwaltungen mit Kompetenzen geben, sondern auch eine Ausstattung, die ein Eingreifen und Monitoring erlaubt. Der WWF schlägt vor, auch im Offshore-Bereich der Nordsee einen Nationalpark zu schaffen und so bestehende Meeresschutzgebiete aufzuwerten. Der WWF unterstützt auch die Initiative für einen Nationalpark Ostsee in Schleswig-Holstein.

Kernforderungen für eine zukunftsfähige Meerespolitik – auch außerhalb der Schutzgebiete

Schiff in der Nordsee © Katrin Wollny-Goerke
Schiff in der Nordsee © Katrin Wollny-Goerke

Gesunde Meere sind unverzichtbar! Der WWF hat im Mai 2023 gemeinsam mit den Umwelt- und Entwicklungsorganisationen Brot für die Welt, BUND, DEEPWAVE, Deutsche Umwelthilfe, DNR, Environmental Justice Foundation, fair oceans, Forum Umwelt und Entwicklung, Greenpeace, NABU, Misereor, Ozeanien Dialog, ProWildlife, Sharkproject und WDC ein Forderungspapier formuliert, in dem wir von der Bundesregierung fordern, politische Entscheidungen konsequent darauf auszurichten, die Meeresökosysteme zu schützen und ihre Funktionen zu erhalten!

Die Vereinbarungen des Koalitionsvertrages mit der Ankündigung einer Meeresoffensive zum Schutz der Meeresnatur und -umwelt, die Erarbeitung einer nationalen Meeresstrategie sowie die Ernennung eines Meeresbeauftragten sind erste wichtige Schritte. Es braucht aber jetzt eine zentrale Verankerung von Meeresumwelt- und Meeresnaturschutz in den politischen und fachlichen Entscheidungen aller Ressorts.

Mit den „Kernforderungen für eine zukunftsfähige Meerespolitik“ spannen wir den Bogen über alle relevanten Problemfelder des deutschen und internationalen Meeresschutzes und verdeutlichen allen (politischen) Entscheidungsebenen, wo ihre Handlungsoptionen und ihre Verantwortung liegen! Klimaschutz und Meeresschutz müssen viel stärker als bisher verknüpft werden, um unseren wichtigen Partner im Kampf gegen die Klimakrise - die Meere - nicht zu verlieren. Die Meere müssen effektiv geschützt und wiederhergestellt, ihre kumulative Übernutzung drastisch reduziert und der Schutz auf der Hohe See und in der Tiefsee vorangebracht werden. Auch im Globalen Süden, wo der Zugang zu gesunden Meeren auch ein Faktor für Lebensunterhalt und Ernährungssicherheit ist, müssen Menschen und Meere ins Zentrum der nachhaltigen Entwicklung rücken.

Der schlechte Zustand unserer Meere verlangt entschlossenes Handeln und politischen Willen, sowohl innerhalb von Deutschland als auch aus Deutschland heraus.

So können Sie helfen

  • Great Barrier Reef © Shutterstock / Debra James / WWF Meeresschutzgebiete in Europa

    Kein EU-Land hat sein Natura 2000-Netzwerk im Meer so umfassend eingerichtet wie Deutschland. Weiterlesen ...