Seevögel, Meeresbewohner, Korallenriffe und andere Ökosysteme leiden unter den Auswirkungen von Plastikmüll: Verheddert, verschluckt, verhüllt, vergiftet, vertrieben.

In einer vom WWF in Auftrag gegebenen neuen Studie des Alfred-Wegener-Instituts wurden zahlreiche Einzelstudien analysiert, um die Auswirkungen von Plastikmüll auf einzelne Arten, Populationen und ganze Ökosysteme im Meer zu untersuchen.

In der Studie wird zwischen fünf Effekten von Plastikmüll auf Arten und marine Ökosysteme unterschieden: Seevögel, Meeresschildkröten, Wale und andere Meeresbewohner verschlucken Plastikteile oder verheddern sich in Plastikschnüren und -netzen. Tüten und Fischernetze legen sich wie ein dichter Mantel über Korallenriffe und bilden dort eine unüberwindbare Barriere. Beim Zerfall von Kunststoffen entstehen Chemikalien, die bei Meerestieren zu Vergiftungen oder sogar Unfruchtbarkeit führen können.

Fische schwimmen mit Plastikflößen in neue Regionen

Toter gestrandeter Fisch umgeben von Plastikmüll © GettyImages
Toter gestrandeter Fisch umgeben von Plastikmüll © GettyImages

Weniger bekannt ist, dass Tiere, Pflanzen oder auch Krankheitserreger als "Beifahrer" auf Plastikteilen in Regionen reisen, wo sie als invasive Arten großen Schaden anrichten können. Auf solchen Plastikflößen bildet sich in kurzer Zeit ein dünner Film aus Algen und Mikroorganismen, bis schließlich ganz neue schwimmende Ökosysteme entstehen.

Mit Plastiktrümmern, die 2011 nach dem Tsunami in Japan ins Meer getrieben wurden, schwammen Fische aus zwei untersuchten Gruppen sogar rund 8.000 Kilometer bis zur pazifischen Nordwestküste der USA, wo sie normalerweise gar nicht vorkommen.

Bisher wurde nur bei wenigen Arten untersucht, ob Aufnahme oder Kontakt mit Plastikmüll schädliche Auswirkungen auf marine Arten hat. Aber bei 88 Prozent der untersuchten Arten waren negative Auswirkungen nachweisbar. Das ist ein Indiz dafür, dass Plastikmüll negative Auswirkungen auf die meisten der im Meer lebenden Arten hat.

Korallenriffe, Tiefseeböden und Seegraswiesen unter dem Einfluss von Plastikmüll

Plastiktüte auf Koralle © Steve De Neef / National Geographic Creative
Plastiktüte auf Koralle © Steve De Neef / National Geographic Creative

Korallenriffe gehören zu den bekanntesten Ökosystemen der Ozeane und sind besonders bei Tauchtourist:innen beliebt. Diese äußerst empfindlichen und komplexen Lebensräume werden wegen ihres Artenreichtums auch die Regenwälder der Meere genannt. Von Fischernetzen umfangen und von Plastikfolien bedeckt erhalten sie nicht genug Licht und Nährstoffe.

Schon jedes dritte Korallenriff in der asiatisch-pazifischen Region ist mit Makroplastikteilen belastet. Ganze Riffe ersticken hier unter dem Plastikmüll und sind dadurch einem höheren Krankheitsrisiko ausgesetzt.

Auch der Meeresboden der Tiefsee bildet ein eigenes Ökosystem. Der ursprünglich aus weichen und weitgehend homogenen Sedimenten bestehende Boden bekommt durch abgesunkene Plastikteile eine ganz andere Struktur. Dort können sich neue Lebensgemeinschaften ansiedeln, die ursprünglich dort lebende und hochspezialisierte Arten verdrängen könnten.

Seegraswiesen schützen Küsten, reinigen das Wasser und speichern Kohlenstoff. Sie sind damit für den Menschen wichtige Ökosystemdienstleister. Zwischen den langen Halmen der Seegraswiesen finden Seekühe und Meeresschildkröten Schutz und Nahrung.

Seegraswiesen filtern jedoch auch wie ein Kamm Plastikpartikel heraus, die an den Halmen der Gräser hängenbleiben. In einer Untersuchung auf den schottischen Orkneyinseln wurde auf 94 Prozent aller Halme einer untersuchten Seegraswiese Mikroplastik gefunden. Eine Katastrophe für alle dort lebenden Pflanzenfresser.

Marine Ökosysteme im Dauerstress

Korallenbleiche © Jürgen Freund / WWF
Korallenbleiche © Jürgen Freund / WWF

Leider fehlen immer noch Langzeitstudien, die nicht nur einzelne Effekte untersuchen, sondern ein ganzheitliches Bild der Auswirkungen von Plastikmüll auf marine Ökosysteme zeichnen.

Die zahlreichen in der aktuellen Studie analysierten Forschungsprojekte lassen trotzdem keinen Zweifel: Nicht eine einzelne, sondern die Vielfalt der Belastungen summiert sich für die Ökosysteme der Meere zur existenziellen Bedrohung.

Ein gesundes Korallenriff, das zum Teil von Plastiktüten bedeckt ist, kann den Verlust vielleicht an anderer Stelle ausgleichen. Solche gesunden Riffe gibt es jedoch kaum noch. Korallen leiden weltweit erheblich unter der Erwärmung der Meere durch den Klimawandel, an der Zunahme von Stürmen, an Übersäuerung und Massentourismus. Das Phänomen der Korallenbleiche breitet sich mehr und mehr aus. Forscher:innen betonen, dass die Summe all dieser Stressfaktoren ein Ökosystem so stark schwächen kann, dass es die Folgen nicht mehr kompensieren kann und schließlich darunter zusammenbricht.

Besonders beunruhigend ist aus Sicht der Forscher:innen auch die Belastung von Zoo- und Phytoplankton mit Mikroplastik, denn sie sind die Grundlage für fast alles Leben im Meer. Mikroplastik wird von diesen kleinsten Krebsen, Würmern, Algen und andere Organismen aufgenommen oder heftet sich an sie und belastet so die Basis aller Nahrungsversorgung im Ozean.

Am Ende der Nahrungskette steht auch der Mensch

Lachsfilet mit Gemüse © Getty Images
Lachsfilet mit Gemüse © Getty Images

Vom angriffslustigen Barrakuda bis zum friedlichen Karpfen: Dass Fische Plastik aufnehmen, ist gut dokumentiert. 688 Fischarten wurden in 225 Studien untersucht. Das Ergebnis ist dramatisch: Drei von vier Fischen hatten Plastik im Verdauungstrakt!

Nicht nur unappetitlich, sondern auch bedenklich wird es, wenn Kabeljau, Hering oder Sardine am Ende auf unserem Teller landen. Bei der Untersuchung von Sardinenkonserven wurde in vier von 20 Marken Mikroplastik gefunden. In einer Studie mit Miesmuscheln fanden Forscher:innen Kunststoff in jeder zweiten Muschel.

Auch der Mensch nimmt über die Nahrung oder die Atemluft Mikroplastik auf. Die aufgenommenen Mengen sind stark von Lebensgewohnheiten der Menschen abhängig und können daher stark schwanken. Welche Auswirkungen Mikroplastik und seine chemischen Zusatzstoffe genau auf die menschliche Gesundheit haben, ist noch völlig unklar.

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