Wehre, Dämme, Wasserkraft: 57.000 Querbauwerke in bayerischen Flüssen / Knapp 85 % der Flüsse in kritischem Zustand: WWF fordert Stopp bei Wasserkraft-Ausbau

Weilheim/Berlin 19.08.2020: Knapp 57.000 Querbauwerke wie Abstürze, Wehre und Staudämme zerschneiden Bayerns Flüsse. Nur 11 % dieser Barrieren sind „frei durchgängig“, können also problemlos von Fischen überwunden werden. Das ist das Ergebnis einer am Mittwoch vorgelegten Analyse des WWF Deutschland auf Basis von Daten des Bayerischen Landesamts für Umwelt. Bei einer Gesamtlänge der analysierten Gewässer von rund 28.000 Kilometern blockiert damit rein rechnerisch alle 500 Meter eine Barriere den Weg der Fische sowie den Durchgang des Sediments in Form von Sand und Geröll. „Die bayerischen Flüsse leiden an Verstopfung, fließen kaum noch natürlich“, kritisiert Wolfgang Hug, Leiter des WWF-Büros in Bayern. „Und obwohl kein größerer Fluss in Bayern frei von Wasserkraft ist, sind trotzdem zahlreiche weitere Projekte in Planung.“ Der WWF fordert daher den konsequenten Schutz der letzten Wildflussabschnitte, den sofortigen Stopp des Neubaus von Wasserkraftwerken und stattdessen ein ambitioniertes „Rückbau-Programm“ für Barrieren. Ziel einer zukunftsgerichteten Flusspolitik müsse es sein, mehr frei fließende Flussabschnitte zu schaffen und Auenlebensräume wiederzubeleben.

Bayernweit sind nur 24 Flusskilometer in einem „sehr guten ökologischen Zustand“, was einem nahezu natürlichen Zustand entspricht. Und selbst diese werden nicht konsequent frei von Nutzung gehalten, wie die Planung eines neuen Wasserkraftwerks an der Saalach bei Schneizlreuth zeigt. Etwa 15 % der Flusssysteme sind in einem „guten ökologischen Zustand“. Alle anderen entsprechen nicht den Anforderungen des deutschen und europäischen Wasserschutzes – und das 20 Jahre nach Erlass der Wasserrahmen-Richtlinie. Kritisch betrachtet der WWF daher das „Bayerische Aktionsprogramm Energie“. Die Staatsregierung forciert darin den Ausbau der Kleinwasserkraft - trotz geringer Stromausbeute. Gerade einmal 1,5 % des bayerischen Stroms werden derzeit von den rund 4000 Kleinwasserkraftwerken (Leistung < 1MW) erzeugt.

Vor allem für wandernde Fischarten wie Huchen, Barbe oder Aal wären die Ausbaupläne ein Fiasko. „Selbst der Einsatz innovativer Technik bringt nicht immer mehr Fischschutz, wie aktuelle Studien der TU München zeigen. Bei der Turbinenpassage werden Fische verletzt, amputiert oder getötet. Viele Flüsse werden dadurch zu No-Go-Areas für Fische“, warnt Hug. Aktuell werden laut Fischzustandsbericht 57 % der heimischen Fischarten in der Roten Liste Bayerns geführt. Langdistanz-Wanderer wie Stör oder Lachs sind im Freistaat bereits ausgestorben. Erst im Juli hatte der WWF eine Studie mit neuen, alarmierenden Zahlen veröffentlicht: Demnach sind seit 1970 Bestände wandernder Süßwasserfischarten weltweit um durchschnittlich 76 Prozent zurückgegangen – in Europa gar um 93 %.

Weitere negative Effekte der Kraftwerke und Barrieren im Fluss ergeben sich aus der verringerten Fließgeschwindigkeit bis hin zum Stillstand des Wassers vor Wehranlagen. Feinsedimente werden im Staubereich abgelagert. „Wenn die Flüsse nicht mehr fließen verlieren sie ihre Selbstreinigungskraft, außerdem sind Stauhaltungen insbesondere für strömungsliebende Arten nicht bewohnbar.“, so Hug. „Unterhalb des Staubereichs fehlt dann der Kies und damit die Fischlaichplätze sowie der Lebensraum für Kleinlebewesen.“ Zudem kann es an großen Stauhaltung zu vermehrten Methan-Emissionen kommen, ein Gas, das 25-mal klimaschädlicher ist als Kohlenstoffdioxid. Außerdem gräbt sich der Fluss in den Untergrund, was zur Sohlenerosion und zur Eintiefung der Gewässersohle führt.

Auch wenn vielerorts Renaturierungen umgesetzt werden: Momentan ist Bayern weit davon entfernt, die Vorgaben zum Gewässer- und Auenschutz zu erfüllen. Besonders für die Flüsse der Alpen und des Alpenvorlandes trägt Bayern eine besondere Verantwortung: „Am Beispiel der oberen Isar lässt sich beobachten, wie ein Wehr verbunden mit einer Wasserableitung diese letzte großflächige Wildflusslandschaft verändert und sukzessive zum Verschwinden bringt.“

 

Hintergrund

Naturnahe Gewässerlandschaften und Auen gehören zu den am stärksten bedrohten Lebensräumen Deutschlands. Der WWF arbeitet daher in zahlreichen Projekten in der ganzen Bundesrepublik an dem Erhalt und der Wiederherstellung dieser Ökosysteme, u.a. seit 2010 im engen Schulterschluss mit Behörden, Grundeigentümern und Interessensgruppen an der bayerischen Ammer. Datengrundlage der WWF-Analyse bilden die nach Wasserrahmenrichtlinie berichtspflichtigen Flüsse und Bäche mit einem Einzugsgebiet von mehr als 10 km2.

Kontakt

Roland Gramling

Pressesprecher, Berlin