WWF und mehr als 120 Akteure fordern wissenschaftsbasierte Regeln für EU-Taxonomie

Die EU-Kommission hat Ende November die ersten beiden Gesetzesentwürfe (delegierte Rechtsakte) zur Festlegung der Kriterien zur EU-Taxonomie-Verordnung veröffentlicht. Der Entwurf legt die technischen Kriterien fest, welche wirtschaftlichen Aktivitäten und damit welche Wirtschaftssektoren als klimaverträglich gelten. Der WWF kritisiert insbesondere bei den Festlegungen der Klimaverträglichkeit, dass die EU-Kommission in Punkten wie Bioenergie, Wasserkraft und Forstwirtschaft nicht den Empfehlungen der unabhängigen Technischen Expertengruppe (TEG) folgt. Diese hatte detaillierte, vom Stand der Wissenschaft abgeleitete Kriterien unter Einbeziehung vieler Expert:innen als Grundlage für die Regeln über ein Jahr lang ausgearbeitet. Zusammen mit 129 weiteren zivilgesellschaftlichen Akteuren fordert der WWF in einem offenen Brief an EU-Kommissionspräsident Ursula von der Leyen die EU-Kommission auf, bei zehn Punkten die wissenschaftlich-fundierten Empfehlungen einzuhalten. 
 
Matthias Kopp, Leiter Sustainable Finance beim WWF Deutschland, sagt: „Wenn die EU-Kommission einzelne Empfehlungen der Technischen Expertengruppe ignoriert, dann wird die Grundidee der EU-Taxonomie, auf der Basis eines klaren und stringent aufgestellten Regelbuchs, Kapital in nachhaltige wirtschaftliche Aktivitäten zu leiten, geschwächt oder gar durchkreuzt. Die EU-Taxonomie ist das beste Regelwerk für nachhaltiges Wirtschaften, das wir haben. Bei der Bekämpfung der Klimakrise gibt es keine Alternative zur Nutzung von wissenschaftlichen Erkenntnissen. Deswegen muss die EU-Kommission dringend zu den Empfehlungen der Technischen Expertengruppe zurückkehren. Klimaschädliche Aktivitäten dürfen in der Taxonomie keinen ‚grünen‘ Anstrich erhalten. Die Taxonomie würde mit Blick auf ihre weitere Ausarbeitung damit bereits im Ausgangspunkt ohne Not geschwächt und beschädigt.“
 
Die vorgeschlagenen Regeln stehen noch bis Freitag zur öffentlichen Konsultation. Die EU- Kommission muss dann bis zum 31. Dezember den delegierten Rechtsakt verabschieden, um die Taxonomieverordnung in Kraft zu setzen. Die Koalition aus 130 Akteuren der Zivilgesellschaft fordert in zehn Punkten, den Gesetzesentwurf dringend zu überarbeiten, um die Taxonomie nicht zu verwässern: 

1. Fossile Brennstoffe (einschließlich Erdgas)
Der durch die TEG festgelegte Schwellenwert für fossile Brennstoffe liegt bei 100 gCO2/kWh. Fossile Brennstoffe verursachen Emissionen, die weit über dem von der TEG festgelegten Schwellenwert liegen. Es ist lobenswert, dass dieser Schwellenwert für die Emissionen bisher nicht aufgeweicht wurde und klimaschädliche Technologien damit eine falsche Einordnung bekämen. Eine Schwächung dieses Schwellenwerts würde die gesamte Taxonomie in Misskredit bringen.
 
2. Verbrennung
Der Entwurf folgt der TEG-Empfehlung, die Abfallverbrennung auszuschließen. Problematisch ist jedoch die Streichung der TEG-Empfehlung, die Verbrennung von Ersatzbrennstoffen (RDF) in Zementwerken auszuschließen. Die Verbrennung von RDF mit ihrer hohen Schadstoffbelastung untergräbt die Bemühungen zur Abfallminimierung.
 
3. Bioenergie
Die Kommission muss ihre Entscheidung, die Verbrennung von Holzbiomasse zur Energiegewinnung als klimafreundlich einzustufen, rückgängig machen. Bioenergie-Rohstoffe, die nicht im Einklang mit wissenschaftsbasierten Klimareduktionszielen stehen, dürfen nicht als  Taxonomie-konform aufgenommen werden. 
 
4. Wasserkraft
Die TEG hat den Neubau kleiner Wasserkraftwerke nach Expertenkonsultationen ausgeschlossen. Diese haben massive negative Auswirkungen auf die Süßwasser-Biodiversität. 
 
5. Forstwirtschaft
Der aktuelle Entwurf der EU-Kommission würde Aktivitäten wie Aufforstung oder Wiederaufforstung innerhalb von 20 Jahren zulassen. Aufgrund des freigesetzten Kohlenstoffs kann dies nicht als „klimaneutral“ eingeschätzt werden. Der Zeitraum von 20 Jahren ist nicht ausreichend, um Wälder zu ersetzen, die durch Abholzung verloren gegangen oder die stark degradiert sind.
 
6. Binnenschifffahrt
Bei der Personenbeförderung in der Binnenschifffahrt ist die Verwendung von Biokraftstoffen bis 2025 erlaubt. Dies steht in völligem Widerspruch zum Pariser Abkommen und birgt die Gefahr, dass „business as usual“ im Wassertransportsektor als nachhaltig angesehen wird. Hiervon differenziert zu betrachten sind Anforderungen an Binnengütertransporte. Die EU-Kommission sollte den genannten Schwellenwert von 50 Prozent auf mindestens 85 Prozent anheben oder Emissionen der saubersten Schiffe als Maßstab heranziehen.
 
7. Biokraftstoffe und Biogasnutzung 
Der Entwurf schwächt den TEG-Vorschlag zu Biogas ab, indem er vorschlägt, dass Biogas auch aus Lebens- und Futtermittel von der Taxonomie als klimafreundlich eingestuft wird. 
Diese Einbeziehung ist inakzeptabel, weil der weltweite Hunger und die Unterernährung auch als Folge der Klimakrise verschärft werden.
 
8. Wasserstoff 
Der Entwurf setzt den Emissionsgrenzwert höher an als den der TEG. Es besteht hier jedoch das Spannungsfeld, wie der in naher Zukunft benötigte Wasserstoff über rein regenerative erzeugte Quellen bereitgestellt werden kann. Insofern ist klarzustellen, dass Wasserstoff, welcher mit fossiler oder nicht erneuerbarer Energie hergestellt wird, nicht als klimaverträglich im Sinn des Zwecks der Taxonomie ausgewiesen werden sollte. Allerdings ist hier eine Strategie erforderlich im Übergang ausreichende Volumen an Wasserstoff zu erzeugen, anfänglich ggf. auch über nicht rein regenerative Quellen, solange dies in Einklang mit den Transformationsplänen zu Klimaneutralität deutlich vor 2050 steht. 
 
9. See- und Küstenschifffahrt
Diese Aktivitäten stoßen große Mengen an Treibhausgasen aus und wurden ohne vorherige Konsultation aufgenommen. Sie sollten nicht als klimafreundlich klassifiziert werden, bis sie, wie geplant von der seitens der EU-Kommission eingesetzten Plattform für nachhaltige Finanzen, anhand der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse bewertet wurden.
 
10. Viehzucht
Wir empfehlen, die Viehwirtschaft vorerst nicht in die Taxonomie aufzunehmen. Die Bewertung der verbundenen Treibhausgasemissionen ist schwierig, komplex und methodisch noch nicht vereinbart. Die Zusammenhänge entlang der mit der Viehzucht verbundenen Liefer- und Wertschöpfungskette sind sehr kohlenstoffintensiv und umweltschädlich, nicht zuletzt durch die Verbindung mit der Abholzung von Wäldern. 
 
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Julian Philipp

Pressesprecher, Berlin