Die Bundesregierung bleibt bei der EU-Ratspräsidentschaft hinter ihren Möglichkeiten zurück

Berlin, 22.12.2020: Die Bilanz des WWF zum Ende der deutschen EU-Ratspräsidentschaft am 31. Dezember 2020 fällt durchwachsen aus. Eberhard Brandes, geschäftsführender Vorstand des WWF Deutschland kommentiert: „EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat letztes Jahr mit dem European Green Deal eine Vision von einem nachhaltigen Europa vorgestellt. Die Bundesregierung hat es während ihrer EU-Ratspräsidentschaft verpasst, wichtige Weichen für diese nachhaltige Zukunft zu stellen.“ Erfolge sieht der WWF in den Entscheidungen zur Biodiversitätsstrategie und zur EU-Taxonomie für nachhaltige Finanzen. In der Klimapolitik wurde aus Sicht des WWF zwar gut von der Bundesregierung verhandelt, die Ergebnisse sind allerdings nicht ausreichend, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Die Entwicklungen bei der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) bezeichnet die Umweltorganisation als ungenügend.

Den wohl größten Erfolg erzielte die deutsche Ratspräsidentschaft bei der EU-Biodiversitätsstrategie. Die EU-Kommission schlug in ihrem Entwurf unter anderem vor, 30 Prozent der europäischen Land- und Meeresfläche unter Schutz zu stellen. Zudem soll es einen verbindlichen Plan zur Wiederherstellung der Natur in Europa geben und mindestens 20 Milliarden Euro in die Umsetzung der Strategie fließen. Brandes lobt: „Das hohe Ambitionsniveau des Vorschlags der EU-Kommission konnte unter deutscher Verhandlungsführung im Umweltministerrat größtenteils erfolgreich verteidigt werden.“ Ein positives Fazit zieht der WWF auch für den Beschluss zur „Farm-to-Fork-Strategie“. Hierunter fällt unter anderem das Ziel, den Pestizideinsatz bei der Lebens- und Futtermittelproduktion zu reduzieren.

Ganz anders sah es bei den GAP-Verhandlungen aus, die Agrarpolitik ist nicht an den strategischen Zielen des Green Deals ausgerichtet. „Hier hat die Bundesregierung die Chancen für eine zukunftsfähige und nachhaltige europäische Landwirtschaft verspielt. Durch die ambitionslose Leitung der Verhandlungen durch das Bundeslandwirtschaftsministerium sind wir bei der GAP auf einem katastrophalen Kurs entgegen jeglicher Umwelt- und Klimaschutzziele der EU. Statt Fördergelder in Höhe von 380 Milliarden Euro für eine notwendige Transformation der Landwirtschaft einzusetzen, wurden die Subventionen wie bisher ohne nennenswerte Gegenleistungen zementiert. Die Leidtragenden dieser Agrarpolitik werden letztendlich die Landwirte und Landwirtinnen sein – und die Natur.“ Der WWF fordert die Abkehr vom bisherigen System der pauschalen Direktzahlungen und eine deutliche Kopplung der Subventionen an verbindlichen sowie messbaren Klima- und Umweltschutz.

Ein gemischtes Bild zeichnet sich bei den Klimaentscheidungen ab. Der Bundesregierung ist es nach zähem Ringen gelungen, alle Mitgliedstaaten auf das Ziel einer 55-prozentigen Reduzierung des Treibhausgasausstoßes bis 2030 im Vergleich zu 1990 einzuschwören. Brandes kommentiert: „Die Mitgliedsstaaten hinter dem 55 Prozent Ziel zu einen, war ein Verhandlungserfolg. Allerdings ist die EU mit diesem Klimaziel noch weit davon entfernt, ihren wissenschaftlich notwendigen Beitrag zur Erreichung des 1,5-Grad-Ziels zu leisten. Dazu sind mindestens 65 Prozent Treibhaugasminderungen nötig. Die Einbeziehung von CO2-Speichern wie Wälder, Moore und Meere rechnet das Klimaziel zudem schöner als es ist. Bleibt zu hoffen, dass der letzte Punkt in der Endrunde zwischen EU-Parlament, -Kommission und -Rat während der portugiesischen EU-Ratspräsidentschaft korrigiert werden kann.“

Positiv bewertet der WWF, dass Teile der EU-Taxonomie auf die Konjunktur- und Wiederaufbauprogramme während der Corona-Pandemie angewendet werden: Die geförderten Aktivitäten dürfen die Klimaziele der EU nicht gefährden. Brandes sagt: „Das ist ein Erfolg, den wir auch der guten Verhandlungsführung der Bundesregierung zu verdanken haben. Die junge Generation wird den Preis für die Konjunkturpakete bezahlen, deshalb dürfen die Gelder nicht die Zerstörung ihrer Lebensgrundlage befeuern.“ Bei der EU-Taxonomieverordnung bleibt es bis zum Ende der deutschen Ratspräsidentschaft spannend. Die Verordnung soll regeln, welche technischen Kriterien für wirtschaftliche Aktivitäten und damit Wirtschaftssektoren gelten, um diese als klimaverträglich auszuweisen. Das ist wichtig, da die Mittelvergabe der EU zukünftig an diese Kriterien geknüpft werden könnte, um die Ziele des Green Deals zu erreichen. Die EU-Kommission hatte ursprünglich bis zum 31. Dezember 2020 Zeit, um die delegierten Rechtsakte zur Taxonomieverordnung zu verabschieden und in Kraft zu setzen. Dies wurde auf Mitte Januar 2021 verschoben. Mit der Fristverlängerung endet die deutsche Verantwortung nicht, Eberhard Brandes fordert: „Hier hat die Bundesregierung nochmal die Chance nachzubessern. Beispielsweise um sicherzustellen, dass die energetische Nutzung von Holzbiomasse streng wissenschaftsbasiert eingestuft wird und damit zielgerichtet erfolgt - und nicht das Klima weiter angeheizt wird.“

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Rebecca Gerigk

Pressesprecherin, Berlin