Amazonas: Quecksilberverseuchung durch Goldabbau größer als angenommen / Grenzwerte um das 34-Fache überschritten

Berlin, 04.08.2021: Die Verschmutzung mit Quecksilber im Amazonas ist deutlich höher als bisher angenommen. Das geht aus einer neuen Geo-Plattform hervor, die von WWF, Oswaldo Cruz Foundation, Amazonian Scientific Innovation und weiteren Institutionen ins Leben gerufen wurde. Die Plattform fasst Studien und andere Daten auf einer Landkarte zusammen, wodurch sich erstmals ein umfassendes Bild der Belastung von Mensch und Umwelt durch Quecksilber in der größten Regenwaldregion der Erde ergibt. Insgesamt sind über 2.500 illegale Goldminen verzeichnet, die die Gewässer im Amazonas jährlich mit rund 30 Tonnen Quecksilber verseuchen. Die als sicher geltenden Grenzwerte werden dadurch durchschnittlich um das 34-Fache übertroffen.

„Brasilien erlebt einen brutalen Goldrausch, der die Natur und Millionen Menschen bedroht“, sagt Tobias Kind-Rieper, Referent für Bergbau beim WWF Deutschland. „Tonnenweise Quecksilber landen jedes Jahr in den Flüssen und Seen. Die Umwelt wird damit weit über die Orte der Goldförderung hinaus vergiftet – mit schweren gesundheitlichen Folgen für die Menschen.“

70 Prozent des im Bergbau verwendeten Quecksilbers gelangt in die Atmosphäre, 30 Prozent in den Boden und das Wasser. Das Gift gelange zu den Menschen, weil sie Fische und belastete landwirtschaftliche Lebensmittel konsumieren. Dabei ist die Quecksilberkonzentration in der Regel höher bei Fischen und Lebensmitteln, die in der Nähe der Bergbauregionen gefangen bzw. angebaut werden. Teilweise werden hohe Belastungen aber auch in weit entfernten Orten Brasiliens wie Manaus, Cametá, Belém oder Tucuruí gefunden, wie die Plattform zeigt. Dies führe zu drastischen Gesundheitsproblemen, wie etwa chronischen Schäden an Organen und des Nervensystems, oder dauerhaften Hirnschäden bei ungeborenen Kindern.

Durch regelmäßige, wenn auch geringe Aufnahme von Quecksilber häuft sich das Gift im menschlichen Körper über die Jahre an. So zeigt eine Studie über die Auswirkungen von Quecksilber auf Schutzgebiete und Waldbewohner im östlichen Amazonasgebiet hohe Konzentrationen von Quecksilber bei vier von zehn Kindern unter fünf Jahren. Quecksilber wirkt sich im menschlichen Körper direkt auf das zentrale Nervensystem aus und kann unter anderem Erblindung, Hirnfunktionsstörungen, Beeinträchtigung der Lungenfunktion und Missbildungen bei ungeborenen Kindern verursachen. Eine hohe Quecksilberkonzentration bei Kindern unter fünf Jahren ist besonders besorgniserregend, da sich Gehirn und Körper noch in der Entwicklung befinden.

Für jedes Kilogramm Gold verbrauchen die Schürfer 1,3 Kilogramm Quecksilber, um das Edelmetall zu extrahieren. Dabei gelangt es meist vollständig und ungefiltert in die Umwelt. Laut offiziellen Statistiken werden in Brasilien jedes Jahr rund 100 Tonnen Gold produziert. Laut dem Nationalen Inventar der Quecksilberemissionen und -freisetzungen, das 2018 vom brasilianischen Ministerium für Technologie, Wissenschaft, Innovationen und Kommunikation veröffentlicht wurde, ist die illegale Produktion von Gold jedoch achtmal höher als die offizielle. Der Großteil des gewonnenen Edelmetalls wird exportiert, insbesondere in die Schweiz, wo zwischen 60 und 70 Prozent des weltweit geförderten Goldes landet.

„Brasiliens Regierung muss der illegalen Goldförderung endlich entgegentreten“, fordert Tobias Kind-Rieper. „Die Verantwortung liegt aber auch bei den importierenden Staaten. Die Politik muss auf deutscher und europäischer Ebene durchsetzen, dass Unternehmen ihre Lieferketten kontrollieren und dafür einstehen, dass die von ihnen eingekauften Produkte weder Mensch noch Umwelt schädigen. Und schließlich sollten sich auch die Konsumentinnen und Konsumenten fragen, ob es wirklich Gold sein muss. Der Griff nach zertifizierter Ware kann helfen, am besten ist aber immer noch der Verzicht.“

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