Bayerische Naturschutzverbände kritisieren Entwurf zum Mindestwasserleitfadens des Umweltministeriums und fordern Überarbeitung für mehr Leben in den Gewässern

Bayerns Naturschützer und Kanuten positionieren sich in einer gemeinsamen Stellungnahme klar gegen den aktuellen Entwurf des bayerischen Mindestwasserleitfadens, der die Mindestwasserabgabe an Ausleitungs-Wasserkraftanlagen mit weniger als 1 Megawatt sehr betreiberfreundlich regeln soll. Die zusammen mehrere Hunderttausend Mitglieder zählenden Verbände aus Naturschutz, Fischerei und Bootssport wollen so ein Zeichen gegen eine ökologisch verheerende Klientelpolitik setzen, die den verpflichtenden Gewässerschutz verschleppt. Sie fordern deutliche Nachbesserungen und eine Umsetzung der Ankündigung des Umweltministers, dass Bayern mehr naturnahe Gewässer mit hoher Biodiversität braucht.

Der am 8. Juli vom Umweltministerium einberufene Runde Tisch zeigte noch deutlichen Änderungs- und Regelungsbedarf für die Mindestwasserfestlegung. Ein Genehmigungsverfahren „light“, wie das einigen Teilnehmern gerade recht wäre, werden Naturschützer und Kanuten entgegenwirken. Den in Aussicht gestellten Praxis-Check werden sie aufmerksam und konstruktiv begleiten.

2019 wurde der damalige Leitfaden-Entwurf des bayerischen Umweltministeriums durch politische Einflussnahme der Kleinwasserkraft-Lobby abrupt gestoppt. Diese prophezeite bei Anwendung der Maßgaben das AUS für den angeblichen „Klimaretter Kleinwasserkraft“.

Im April 2021 hat das bayerische Umweltministerium nach zwei Jahren Funkstille eine neue Fassung vorgelegt. Orientierte sich der Entwurf von 2019 noch an einem wissenschaftlichen Gutachten und somit an Fakten und den Zielen der Wasserrahmenrichtlinie, wurde die aktuelle Version zugunsten wirtschaftlicher Einzelunternehmen inhaltlich weichgespült.

Dabei erzeugen die rund 4.000 Kleinwasserkraftwerke unter 1 MW Leistung lediglich knapp 9 Prozent des bayerischen Wasserkraftstroms - das sind verschwindende 1,5 Prozent der gesamten bayerischen Stromproduktion. „Mehr Mindestwasser für bayerische Bäche und Flüsse wird sich im Sektor erneuerbare Energien kaum bemerkbar machen, wohl aber in Bezug auf Naturschutzziele wie NATURA 2000 und EU-Wasserrahmenrichtlinie“, so der BN-Vorsitzende Richard Mergner. Letztere fordert die Erreichung eines guten ökologischen Zustands der Gewässer bis 2027, sonst drohen Deutschland Strafzahlungen. „Wir halten den jetzt vorgelegten Entwurf für nicht vereinbar mit den Vorgaben des Europa- und Bundesrechtes für Wasser und Naturschutz. Er schafft keine Rechtssicherheit.“

„In Zeiten des Klimawandels mit zunehmendem Abflussmangel müssen bayerische Wasserkraftwerke den Flüssen angepasst werden, und nicht umgekehrt“, mahnt Prof. Albert Göttle, Präsident des LFV Bayern. „Ein Aderlass vorwiegend nach kommerziellen Gesichtspunkten schwächt die Klimafitness unserer Gewässer und gefährdet Artenreichtum und Biodiversität.“

Die Naturschutzverbände haben erneut vorgeschlagen, Kleinwasserkraftanlagen bis 1 MW verstärkt zurückzubauen. Private Anlagenbetreiber sollten dabei durch technische Beratung und finanzielle Anreize (z.B. Rückbaufonds) beim Rückbau ihrer Anlagen unterstützt werden. Dieser Vorschlag fand auch bei der Vereinigung Wasserkraftwerke in Bayern Unterstützung.

Zur Erreichung der Klimaziele sehen die Verbände klar die Energieeinsparung an vorderster Stelle, denn die Kleinwasserkraftnutzung zeigt als erneuerbare Energie bereits heute erhebliche Auswirkungen auf Bayerns Gewässer, ohne nennenswerte Beiträge zur Sicherung der Stromversorgung zu leisten. „Die Erzeugung von Strom aus der kleinen Wasserkraft hat negative Auswirkungen auf die Artenvielfalt unserer Fließgewässer. Diese Art der Stromerzeugung mit dem Argument Klimaschutz zu rechtfertigen ist allein schon bezogen auf das Leistungsvermögen der Anlagen ökologisch gefährliche Augenwischerei“, so Dr. Norbert Schäffer, Vorsitzender des LBV.

Aus Sicht von Naturschützern und Kanuten ist nicht nachvollziehbar, warum im Leitfaden bei Kleinanlagen am Restwasser gespart werden soll, wo doch gerade diese Anlagen durch die Novellierung des EEG 3 Cent Förderung mehr pro kWh beziehen können, um die durch den Klimawandel verursachten Ertragseinbußen abzufedern. Allein bei bayerischen Wasserkraftanlagen belaufen sich diese zusätzlichen Förderungen auf mehr als 30 Millionen Euro, wie eine Bundestagsanfrage ergab.

Heftige Kritik übt Stephan Zirpel vom WWF Deutschland an der neuerdings im Entwurf enthaltenen „energiewirtschaftlichen Bewertung“, die durch das bayerische Wirtschaftsministerium eingeschleust wurde und in Form einer aktiven Beteiligung der Industrie- und Handelskammern erfolgen soll.

„Im energiewirtschaftlichen Bereich mangelt es an einer nachvollziehbaren Bewertungs-Methodik und Transparenz. Demgegenüber steht eine unsinnige Fülle an Prüfschritten für Zu- oder Abschläge bei der Mindestwasserbemessung. Zielführender wäre ein ökologischer Ausgangswert mit Anpassungen im Ausnahmefall.“

Zudem fördert die reguläre Einbeziehung der IHKs ein weiteres Ungleichgewicht. Denn die Naturschutzorganisationen werden nicht aktiv beteiligt, sondern müssen in den öffentlichen Bekanntmachungsorganen der bayerischen Behörden in mühseliger Detektivarbeit selbst herausfinden, wann und wo ein entsprechendes Verfahren zum Mindestwasser anhängig ist. Da der Naturschutz stark vom Ehrenamt lebt, verstößt diese Ungleichbehandlung nach Auffassung von Gewässerschützern und Kanuten gegen die bayerische Verfassung, die eine Förderung des Ehrenamts vorsieht.

 

Zusätzlich sieht BKV-Präsident Oliver Bungers die Sozialfunktion der Gewässer in Gefahr: „Nicht nur Corona hat gezeigt, wie wichtig Erholung an und auf dem Wasser für die Bevölkerung ist - auch in Zeiten des Klimawandels werden Möglichkeiten zur CO2-sparenden Naherholung immer wichtiger. Mehr durchgängig nutzbare Fließgewässerstrecken mit ausreichend Wasserführung für Fische, Bootfahrer und Badegäste wären ein Gewinn für alle und können helfen, Konflikte zwischen Mensch und Natur zu entzerren!“.

 

Gemeinsame Forderungen der fünf Naturschutzverbände für die Wasserkraft Bayern:

  • Kein Neubau von Wasserkraftanlagen
  • Bestehende Wasserkraftanlagen naturverträglich umgestalten
  • Rückbau insbesondere von unrentablen Kleinstwasserkraftanlagen fördern
  • Mindestwasserleitfaden an die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie anpassen
  • Renaturierungs-Offensive starten: Künstliche Barrieren in den Flüssen entfernen und freie Fließstrecken schaffen

Kontakt

Roland Gramling

Pressesprecher, Berlin