WWF warnt: 10 Gründe, warum die EU-Kommission ihre Taxonomie gefährdet

Die EU-Taxonomie steht kurz davor zu einem Instrument für Greenwashing zu werden. Wenn die EU-Kommission Erdgas und Atomkraft in die Klassifizierung für nachhaltiges Investieren aufnimmt, könnten Milliarden von Euro die Klima- und Biodiversitätskrise verschärfen. Eine wissenschaftsbasierte Taxonomie müsste Erdgas und Atomkraft ausschließen – wegen der hohen Emissionen von fossilem Gas und dem ungelösten Problem des radioaktiven Abfalls. Diese können einen „signifikanten Schaden” an anderen Umweltzielen verursachen und stehen somit im Widerspruch zu den Prinzipien der Taxonomie. Investorengruppen warnen davor, dass die EU-Kommission den wissenschaftlich fundierten Weg verlässt und der Taxonomie die Glaubwürdigkeit nimmt. Die UN Principles for Responsible Investment (UN PRI) betonen, dass die EU-Taxonomie wissenschaftlich fundiert sein muss. Eine unglaubwürdige Taxonomie wird nicht in der Lage sein, Investitionen in ökologisch nachhaltige Aktivitäten zu lenken. 
 
Matthias Kopp, Leiter Sustainable Finance beim WWF Deutschland, sagt: „Die Folgen einer unglaubwürdigen und nicht wissenschaftsbasierten Taxonomie wären verheerend. Der Finanzmarkt wird kein Vertrauen in die Taxonomie entwickeln und seine Entscheidungen bei der Kapitallenkung nicht an der Taxonomie ausrichten. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gefährdet ihren eigenen Green Deal – zusammen mit den EU-Klimazielen und der Führungsrolle der EU bei nachhaltigen Finanzen. Sie ist kurz davor, ein glaubwürdiges Instrument zur Finanzierung der Transformation für politische Interessen zu opfern.“
 
Weiter sagt Kopp: „Die EU-Kommission überfrachtet die Taxonomie mit existenziellen Fragen zu Energietechnologien. Der Ausschluss von Erdgas und Atomkraft bedeutet nicht, dass Kraftwerke abgeschaltet werden müssen oder diese Technologien kein Kapital mehr erhielten. Der Ausschluss bedeutet, dass Investitionen in und Finanzierungen dieser Technologien nicht als nachhaltig bewertete Finanzprodukten gelten können.  Olaf Scholz muss sich endlich auf der EU-Ebene positionieren. Der nächste Bundeskanzler hat Atomenergie längst als nicht nachhaltig klassifiziert und somit aus einer glaubwürdigen Taxonomie ausgeschlossen. Erdgas und Kernenergie gehören nicht in eine grüne Taxonomie. Die Wissenschaft ist hier klar, auch wenn politisch damit nicht vereinbare Motive aktuell die Debatte bestimmen.“
 
10 Gründe, warum die EU-Taxonomie zu einem nutzlosen Instrument werden könnte, wenn fossiles Gas und Atomkraft in die grüne Taxonomie der EU aufgenommen werden:

1. Die EU-Taxonomie wäre ein Rückschritt im Vergleich zur aktuellen Marktpraxis. Der globale Markt für grüne Anleihen schließt fossiles Gas und Kernenergie aus.

2. Die EU-Taxonomie wäre ein Rückschritt im Vergleich zur Emission grüner Anleihen in der EU. Die Kommission hat bekannt gegeben, dass ihre eigene Emission grüner Anleihen für das EU-Konjunkturpaket weder fossile Brennstoffe noch Kernenergie enthalten wird.

3. Die EU-Taxonomie wäre ein Rückschritt im Vergleich zur Politik der Europäischen Investitionsbank (EIB). Die EIB unterstützt keine Kernenergie, und ihre Kreditvergabepolitik für 2019 schließt fossiles Gas aus: EIB-Präsident Werner Hoyer stellte klar: „Gas is out“.

4. Die EU-Taxonomie würde hinter der chinesischen Taxonomie zurückbleiben, die fossiles Gas aus der Stromerzeugung ausschließt, und hinter der südkoreanischen Taxonomie, die die Kernkraft ausschließt.

5. Die EU-Taxonomie würde dem 1,5-Grad-Szenario der Internationalen Energieagentur (IEA) zuwiderlaufen. Die IEA stellt fest, dass die Elektrizität bis 2035 in der OECD und bis 2040 weltweit zu 100 Prozent emissionsfrei sein muss. Dies bedeutet, dass alle Gaskraftwerke innerhalb des gleichen Zeitrahmens abgeschaltet werden müssen. 

6. Die EU-Taxonomie würde dem EU-Klimaziel für 2030 zuwiderlaufen. Die Folgenabschätzung der EU-Kommission kommt zu dem Ergebnis, dass die EU ihren Gesamtverbrauch an fossilem Gas bis 2030 um etwa 30 Prozent senken muss, um ihr Klimaziel von 55 Prozent weniger Treibhausgase bis 2030 zu erreichen. Die Aufnahme von Gas in die grüne Taxonomie würde zu mehr Gas führen, nicht zu weniger.

7. Die EU-Taxonomie stünde im Widerspruch zu der von der EU und den USA auf der Weltklimakonferenz COP26 abgegebenen globalen Methanverpflichtung, die Methanemissionen bis 2030 um mindestens 30 Prozent zu senken. Mehr Gaskraft würde wahrscheinlich mehr Methanleckagen bedeuten.

8. Die EU-Taxonomie würde in mehrfacher Hinsicht gegen die Taxonomie-Verordnung verstoßen – und infolgedessen wahrscheinlich vor Gericht angefochten werden. Sie würde gegen den Grundsatz der Technologieneutralität verstoßen, da sie ungleiche Kriterien für gasbefeuerte und erneuerbare Energien festlegt. Sie würde voraussichtlich auch gegen die Definition einer „Übergangstätigkeit“ verstoßen, die für Gaskraftwerke verwendet wird, da es kohlenstofffreie erneuerbare Alternativen gibt.

9. Die EU-Taxonomie stünde im Widerspruch zu der von zahlreichen EU-Mitgliedstaaten unterstützten und vom Vereinigten Königreich angeführten COP26-Zusage, die internationale Unterstützung für fossile Brennstoffe bis 2022 auslaufen zu lassen.

10. Die EU-Taxonomie wäre hinderlich mit der Mitgliedschaft bzw. Unterstützung von sechs EU-Mitgliedstaaten in der Beyond Oil & Gas Alliance, die sich zum Ausstieg aus der Gasförderung verpflichtet hat.

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Julian Philipp

Pressesprecher, Berlin