Standards zur Nachhaltigkeitsberichtserstattung ESRS veröffentlicht. WWF kritisiert die starke Schwächung der Empfehlungen der Beratungsgruppe EFRAG.

Die EU-Kommission hat heute ihren delegierten Rechtsakt zu den Europäischen Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung (ESRS) veröffentlicht. Dieser versetzt der Hoffnung einen Dämpfer, dass Investoren einen Zugang zu verlässlichen und vergleichbaren Nachhaltigkeitsdaten von Unternehmen erhalten. Dieser Zugang wäre notwendig, um die Wirtschaft auf einen Pfad zu lenken, der mit unseren planetarischen Grenzen vereinbar ist.

Der delegierte Rechtsakt, der den ersten Teil der Standards zur Umsetzung der Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (CSRD) darstellt, schwächt wesentliche Teile des Entwurfs ab, der im November 2022 von den Experten der European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) vorgelegt wurde.

Diese Standards zielen darauf ab, die Transparenz bei der Berichterstattung über Nachhaltigkeitsauswirkungen durch Unternehmen zu verbessern und aussagekräftige Berichterstattungspraktiken für Nachhaltigkeitsthemen zu fördern.

Philippe Diaz, Experte für Sustainable Finance beim WWF Deutschland und EFRAG-Mitglied, sagt:

„Nachhaltigkeitsberichterstattung ist nichts Neues – die Global Reporting Initiative gibt es schon seit Jahrzehnten. Dennoch hat die Europäische Kommission dem Druck konservativer Industriegruppen nachgegeben und die Standards so weit abgeschwächt, dass sie zu Schlupflöchern für Greenwashing geworden sind. Das ist ein schwerwiegender Vertrauensbruch und untergräbt den Führungsanspruch Europas beim Aufbau einer sozial gerechten und mit den planetarischen Grenzen verträglichen Wirtschaft.“

Im Juni hatte die Kommission bereits einen deutlich abgeschwächten Entwurf für den Delegierten Rechtsakt veröffentlicht. Zusammen mit Finanzinstituten und vielen anderen Organisationen forderte der WWF die Kommission auf, einige der Schlupflöcher rückgängig zu machen. Leider hat die Kommission jedoch die vier Hauptforderungen des WWF aus der öffentlichen Konsultation fast vollständig ignoriert:

1. Das Schlupfloch, das es Unternehmen ermöglicht, selbst zu entscheiden, ob sie über ihre Transformationspläne zur biologischen Vielfalt berichten wollen, muss geschlossen werden.

Entgegen dem Rat der EFRAG-Experten hat die EU-Kommission eine wesentliche Maßnahme zur Verringerung der Risiken im Finanzsystem gestrichen: die Verpflichtung für Unternehmen, offenzulegen, ob sie einen Transformationsplan für die biologische Vielfalt haben. Und das, obwohl die obligatorische Berichterstattung über die Natur von Hunderten von Unternehmen im Rahmen der Kampagne "Make it Mandatory" und des Finance for Biodiversity Pledge unterstützt wird. Die Europäische Zentralbank hat außerdem festgestellt, dass fast 75 Prozent der Bankkredite in der EU an Unternehmen gehen, die in hohem Maße von der Natur abhängig sind.

2. Die Unternehmen müssen erklären, warum sie ein Thema als nicht "wesentlich" einstufen

Die EU-Kommission hat den Großteil der Berichterstattung von einer "Wesentlichkeitsbewertung" abhängig gemacht - einer Selbsteinschätzung des Unternehmens, um zu verstehen, ob ein Thema wie die biologische Vielfalt finanzielle Auswirkungen auf das Unternehmen hat und das Unternehmen Auswirkungen auf die Biodiversität hat. Während eine Lücke geschlossen wurde, die es den Unternehmen erlaubte, die Schlussfolgerungen ihrer Wesentlichkeitsbewertung zur Klimakrise nicht zu erläutern, sind die Unternehmen bei allen anderen Themen nicht verpflichtet zu erklären, warum sie zu dieser Schlussfolgerung kommen.

3. Verpflichtende Offenlegung der Angaben, die für andere EU-Vorschriften erforderlich sind

Die Kommission hat Banken in der Verordnung über die Eigenkapitalanforderungen und Investoren in der Verordnung über die Offenlegung nachhaltiger Finanzierungen verpflichtet, über die Auswirkungen der Unternehmen in ihrem Portfolio zu berichten. Da die Kommission die Offenlegung jedoch von einer Wesentlichkeitsprüfung abhängig gemacht hat, sind die Unternehmen nicht verpflichtet, alle Auswirkungen offenzulegen, die für diese Rechtsvorschriften relevant sind: Sie müssen lediglich eine Tabelle erstellen, in der sie zusammenfassen, ob sie die geforderten Datenpunkte offengelegt haben oder nicht, und angeben, wann ein Datenpunkt als nicht wesentlich angesehen wird. Dies bedeutet, dass es für Banken und Investoren schwierig sein wird, diesen Angaben zu vertrauen, da sie möglicherweise auf falschen Einschätzungen der Wesentlichkeit beruhen, und somit die oben genannten Vorschriften ordnungsgemäß einzuhalten - dies bedeutet eine zusätzliche Belastung für sie.

4. Abschaffung der unnötigen Verzögerung bei der Berichterstattung für Unternehmen mit weniger als 750 Mitarbeitern

Die EU-Kommission hat eine weitere unnötige Verzögerung eingeführt, die es Unternehmen mit weniger als 750 Mitarbeitern ermöglicht, ihre Berichte über Biodiversität und Sozialstandards und teilweise auch ihre Berichterstattung über wichtige Klimakriterien wie Scope-3-Emissionen aufzuschieben. Das dem ESRS zugrundeliegende Gesetz, die so genannte Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), hat bereits Übergangsfristen für Kleine und Mittlere Unternehmen (KMU) sowie Unternehmen aus Nicht-EU-Ländern eingeführt. Weitere Einführungsphasen verzögern nur den Tag, an dem Nachhaltigkeitsdaten die gleiche Bedeutung haben werden wie Finanzdaten.

Der WWF fordert die EU-Kommission auf, unverzüglich mit den verpflichtenden Angaben in den sektorspezifischen Standards fortzufahren, um einige der Fehler zu korrigieren, die bei den heute veröffentlichten sektorunabhängigen Standards gemacht wurden.

Kontakt

Julian Philipp

Pressesprecher für Transformation von Wirtschaft und Finanzmarkt / Berlin

  • Amur-Tiger © Ola Jennersten / WWF Schweden Bedrohte Arten

    Der Rückgang der biologischen Vielfalt wird maßgeblich durch menschliches Handeln verursacht. Der WWF setzt sich weltweit für den Schutz bedrohter Arten ein. Erfahren Sie mehr zum Artenschutz