Meeresschutzgebiete werden eigentlich als Ruhezonen für die Natur gebraucht, doch eine aktuelle Analyse des WWF Deutschland zeigt: In der deutschen Nordsee erzielt die deutsche Grundschleppnetzfischerei rund 76 Prozent ihrer Fänge an Plattfisch, Weißfischen, vor allem aber an Nordseekrabben, innerhalb von Meeresschutzgebieten. Die untersuchten Fischereien halten sich zu knapp 72 Prozent ihrer Aktivität in diesen Schutzgebieten auf. Der WWF fordert, die wirtschaftliche Nutzung der Nordsee dringend so zu ordnen, dass Schutzgebiete nicht weiter zur Kulisse werden und sich das Meeresökosystem, das in einem schlechten Zustand ist, wirklich erholen kann.
„Vor allem in den Nationalparken des Wattenmeers hat die Natur gesetzlichen Vorrang, doch in der Unterwasserwelt ist dies noch nicht umgesetzt”, erklärt Dr. Philipp Kanstinger, Fischereiexperte des WWF. „Die enorme Belastung durch die Grundschleppnetzfischerei verträgt sich nicht mit den Schutzzielen eines Nationalparks.”
Die Grundschleppnetzfischerei produziert von allen Fangtechniken den meisten Beifang, beschädigt sensible Lebensräume wie Seegraswiesen und Riffe und sorgt für erhöhte CO2-Emissionen, weil sie den Meeresboden aufreißt.
Mit Blick auf die Krabbenfischerei bilanziert Dr. Kanstinger: „Für ein vergleichsweise teures Luxusprodukt entsteht flächendeckend eine große Beeinträchtigung der Schutzgebiete. Praktisch überall, wo die Kutter hinfahren können, wird nach Krabben gefischt. Die Krabbenfischerei gehört zur Küste dazu, doch der deutlich überwiegende Teil der Nationalparkfläche muss künftig fischereifrei sein.” Der WWF fordert deshalb fischereifreie Zonen auf insgesamt 75 Prozent der Nationalparkflächen im Wattenmeer und den Ausschluss der grundberührenden Fischerei aus den deutschen Schutzgebieten der Ausschließlichen Wirtschaftszone fernab der Küste.
Mit dem „Fischerei-Explorer Nordsee” stellt der WWF ein Analysewerkzeug vor, mit dem die Nutzungskonflikte zwischen der Fischerei, den Schutzgebieten und den Offshore-Windparks in der Nordsee sichtbar werden.
„Auf der Nordsee wird es eng. Der Meeresumweltschutz kämpft heute nicht mehr nur gegen Vermüllung und Verklappung, sondern vor allem für notwendige Ruhe- und Rückzugsräume, während parallel die industriellen Ansprüche in der Nordsee wachsen”, sagt Dr. Philipp Kanstinger. „In großen Teilen der deutschen Meeresschutzgebiete findet Fischerei, vor allem eben auch die schädliche Grundschleppnetzfischerei, ganz legal statt. Außerhalb der Schutzgebiete konkurrieren Fischerei, Schifffahrt, der Ausbau von Offshore-Windanlagen plus Kabeltrassen, militärische Übungen und in Zukunft weitere Nutzungen wie CCS zunehmend um Fläche. Das erhöht auch den Druck auf die Meeresschutzgebiete der Nordsee. Für eine Meeresraumordnung, die Schutz und Nutzung in eine bessere Balance bringt, stellt unser Fischerei-Explorer hilfreiche Informationen zur Verfügung“.
Der WWF fordert:
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Wirksamere Schutzgebiete: Der WWF fordert den vollständigen Ausschluss der Grundschleppnetzfischerei aus den Schutzgebieten der ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ). Für die küstennahen Schutzgebiete und Nationalparke fordert der WWF ein Zonierungskonzept, das die Überschneidung von Fischerei und sensiblen Lebensräumen minimiert und die Erholung wertvoller Arten und Lebensräume ermöglicht. Insgesamt sollte in 75 Prozent der Fläche der Nationalparke Wattenmeer eine von Menschen ungestörte Entwicklung der Natur möglich sein.
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Platz für die Zukunft: Der WWF fordert, den Schutz der Meere gegen wachsende industrielle Ansprüche zu verteidigen. Dem Ökosystem muss auch in Zukunft und bei immer stärkerer Nutzung der Nordsee ausreichend ungestörte Fläche zur Verfügung stehen.
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Weniger vom Schädlichen: Der WWF fordert, die Kapazitäten der deutschen Grundschleppnetzflotte konsequent anzupassen. Nur so werden fischereifreie Zonen und der Ausschluss der aktiven Fischerei aus den Offshore-Windparks nicht dazu führen, dass die Fischerei in andere sensible Gebiete ausweicht. Auch die Forderung nach alternativen Fanggeräten bleibt bestehen, um Beifänge zu reduzieren und mit leichteren oder passiven Geräten den Meeresboden so weit möglich zu schonen.
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Dem Meer endlich Recht geben: Der WWF fordert die Umsetzung aller rechtlichen Anforderungen zum Schutz der Meeresumwelt. Das gilt für die EU-Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie (MSRL), die FFH- und Vogelschutz-Richtlinie, aber auch für die EU-Wiederherstellungsverordnung und die EU-Biodiversitätsstrategie. Meeresschutz ist ein politisches Querschnittsthema und muss auch so behandelt werden.
Hintergrund:
Der interaktive WWF Fischerei-Explorer Nordsee macht Konflikte sichtbar, die auf der begrenzten Fläche der Nordsee zwischen der grundberührenden Fischerei, weiteren industriellen Nutzungen und dem Meeresschutz entstehen. Er richtet sich vor allem an Behörden und die Fachöffentlichkeit. Das Onlinetool fasst die Aktivitäten der deutschen Grundschleppnetzfischerei der Jahre 2017-2022, ihre räumliche Verteilung und ihre Fänge in der deutschen Nordsee zusammen. Untersucht wurden neben der größten deutschen Grundschleppnetzfischerei auf Nordseekrabben auch die Fischereien auf Plattfische, Weißfische sowie auf Kaisergranat.
Im Explorer lassen sich die Daten der Fischerei über Gebietsfilter mit bestehenden und geplanten Offshore-Windparks sowie mit Meeresschutzgebieten verschneiden. Auch eine Aufschlüsselung über Fischereifilter für einzelne Segmente, wie beispielsweise die Krabbenfischerei, ist möglich. So werden ertragreiche Flächen für die Fischerei identifiziert und lassen sich Überlappungen von Fischereiaktivitäten mit besonders empfindlichen Lebensräumen erkennen. Die Darstellung der Aktivitäten der deutschen Grundschleppnetzfischereien in der deutschen Nordsee basiert auf den Daten des „Vessel Monitoring System” (VMS) und der elektronischen Logbücher. Über Geschwindigkeitsfilter lässt sich feststellen, wo Schiffe nur fahren und wo sie fischen. In der Diskussion um die Ausweisung von nutzungs- und fischereifreien Zonen sind diese Informationen von zentraler Bedeutung.
„Fischerei-Explorer Nordsee”: https://experience.arcgis.com/experience/65633b6ff530418dafdef013c0d2bf4e/page/Fischerei-Explorer