Ob im Supermarkt, in der Werbung oder auf den Webseiten der Unternehmen, überall schreit es uns entgegen: „Wir sind klimaneutral!“ – schon heute, seit gestern, spätestens aber ab morgen – versprochen! Klimaneutrale Unternehmen zählen landläufig zu den „Guten“ und weil klimaneutrale Produkte vermeintlich keinen Einfluss auf die Klimakrise haben, können wir sie ohne Bedenken kaufen. Endlich wieder konsumieren, ganz ohne schlechtes Gewissen.

Ganz so einfach ist es leider nicht. Wenn gefühlt alle Unternehmen, alle Produkte plötzlich klimaneutral sind, warum steigen dann unsere Emissionen nach wie vor? Warum melden sich verstärkt Verbraucherzentralen und Wettbewerbshüter, NGOs und Presse zu Wort und schwenken die große Keule – Augenwischerei sei das! Täuschung! Greenwashing! Wenn das, was uns in den Regalen und Broschüren so freundlich anlächelt, oftmals nicht die Klimaneutralität ist, die wir als Gesellschaft so sehr brauchen, was ist dann wirklich Klimaneutralität? Was müssen Unternehmen tun, damit sie das Klima tatsächlich schützen und klimaneutral werden? Diese Fragen haben wir zuletzt in einem neuen Leitfaden aufgegriffen und dort die zentralen Bausteine für effektiven und glaubwürdigen Klimaschutz benannt:

Baustein 1 – Volle Transparenz über alle Emissionen

Steinkohlekraftwerk © Ralph Frank
Steinkohlekraftwerk © Ralph Frank

Klimaneutralität scheitert oft schon im ersten Schritt: bei der Beantwortung der Frage, für welche Emissionen sich ein Unternehmen verantwortlich fühlt. Die Antwort hierauf ist meist eine maximal pragmatische „Na, für unsere eigenen“. Das heißt dann so viel wie für die Emissionen aus Heizung und Kühlung der eigenen Büros, aus Strom und Gas für die eigene Produktion und den Kraftstoffen für die eigene Fahrzeugflotte – übersetzt in Klimasprech also nur für Scope 1 und Scope 2 Emissionen. Dass bei vielen Unternehmen der Großteil der Emissionen aber nicht im eigenen Betrieb anfällt, sondern in Scope 3 (z.B. BASF, Henkel oder Zalando), d.h. in der Lieferkette – in den eingekauften Materialien und Komponenten, bei den Logistikdienstleistern – oder in der Weiterverarbeitung und Nutzung der verkauften Produkte, wird dabei gerne vergessen.

Wenn beispielsweise ein Autohersteller seine Verwaltung und Produktion „klimaneutral“ macht, ist das ein wichtiger Schritt, hilft aber nur sehr wenig, wenn die Nutzung der verkauften Fahrzeuge schnell mehr als 80 Prozent der gesamten Emissionen verursacht. Für das Ziel der Klimaneutralität darf ein Unternehmen also nicht nur die Emissionen in den Blick nehmen, die es direkt verantwortet, sondern muss auch jene reduzieren, die es z.B. über die Auswahl der Materialien oder das Design seiner Produkte indirekt beeinflussen kann.

Baustein 2 – Ambitionierte Reduktion aller Emissionen

Setzling © James Morgan / WWF
Setzling © James Morgan / WWF

Das zweite Problem der behaupteten Klimaneutralität ist, dass sie oft auf das falsche Pferd setzt: die reine Kompensation von Emissionen. Für viele Unternehmen und ihre Produkte ist die Klimaneutralität eine bloße Rechenleistung. Wenn auf der einen Seite Emissionen anfallen, müssen sie, so die Überlegung, auf der anderen Seite eben ausgeglichen, also kompensiert werden. So wird weiter Strom aus Braunkohle bezogen, werden weiter Wälder für Agrarflächen gerodet, wird für Geschäftsreisen weiter das Flugzeug genutzt. Gleichzeitig werden massenhaft CO2-Gutschriften aus Klimaschutz-Projekten oft fragwürdiger Integrität für die rechnerische Neutralisierung zusammengekauft. Alles im Dienste der schnellen Klimaneutralität.

Diese rechnerische Neutralität aber ist u.a. deshalb ein Problem, weil damit niemals die globalen Ziele des Pariser Abkommens zu erfüllen sind: Dieses Nullsummenspiel schürt die Illusion, ein Weiter-So wäre eine ernsthafte Option und lässt so die weltweiten Emissionen weiter gefährlich anwachsen. Aber genau das Gegenteil ist der Fall: Wir müssen bis Mitte des Jahrhunderts unsere Emissionen auf nahezu null senken. Faktisch, nicht rechnerisch. Das ist die eigentliche Aufgabe.

Wissenschaftsbasierte Klimaziele

Es gibt auf der ganzen Welt kein Reservoir, das unseren gegenwärtigen gewaltigen Fußabdruck auch nur ansatzweise „kompensieren“ könnte. Unternehmen, die dies verstanden haben, verkünden keine schnelle Klimaneutralität. Sie setzen sich wissenschaftsbasierte Klimaziele. Sie machen sich jetzt an die Arbeit und verschieben die Reduktion ihrer Emissionen nicht in die Zukunft.

Über Effizienzmaßnahmen, die Umstellung von Produktionsprozessen oder die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle reduzieren sie konsequent alle ihre Emissionen. Auch die, für die sie nur indirekt verantwortlich sind (Scope 3). Nur über die Umsetzung eines solch wissenschaftsbasierten Reduktionspfades rücken die Ziele des Pariser Abkommens in greifbare Nähe. Kompensation hilft dabei nicht.

Baustein 3 – Zusätzliche Finanzierung von Klimaschutz

Aber unterstützt die Kompensation nicht gute Klimaschutz-Projekte? Das kommt sehr darauf an. Wenn ein CO2-Zertifikat – also der Nachweis, dass in einem Projekt eine Tonne CO2 eingespart wurde – oftmals für weit unter 10 Euro zu bekommen ist, ist nur schwer vorstellbar, wie damit sinnvolle Projekte mit hohen Qualitätsstandards finanziert werden sollen. Und selbst wenn CO2-Gutschriften aus qualitativ hochwertigen, zertifizierten Projekten stammen, torpediert ihre Verwendung für die vorgezogene Klimaneutralität das eigentliche Ziel: die konsequente und tiefgreifende Emissionsreduktion. Mit der Kompensation scheint die Arbeit schon getan. Dies gilt umso mehr, wenn ihre Preise jeden finanziellen Anreiz für die oftmals teurere CO2-Reduktion im eigenen Unternehmen aushebeln.

Unternehmen müssen also ihre Hausaufgaben machen und konsequent eigene Emissionen und wesentliche Emissionen entlang ihrer Wertschöpfungskette reduzieren. Auch für weiterhin anfallende, noch zu reduzierende Emissionen sollten sie Verantwortung übernehmen – nämlich finanzielle. Dafür braucht es aber weder das Vehikel der Kompensation noch CO2-Gutschriften. Stattdessen sollten Unternehmen ihre verbleibenden Emissionen bepreisen und das so errechnete Budget in vielseitig wirksame Projekte investieren – idealerweise in

naturbasierte Lösungen mit positiver Wirkung sowohl für Klima, Mensch und Natur

. Solche Investitionen stärken das Pariser Abkommen und sind ein wesentlicher Beitrag zur Abwendung sowohl der Klima- als auch der Biodiversitätskrise.

Baustein 4 – Engagiertes öffentliches Eintreten für Klimaschutz

Klimastreikdemo © Andi Weiland / WWF
Klimastreikdemo © Andi Weiland / WWF

Klimaschutz ist eine Teamleistung. Produkte werden nicht durch einfache Kompensation weniger klimaschädlich, sondern erst dadurch, dass beispielsweise Zulieferer die Emissionen ihrer Vorprodukte, Komponenten und Materialien reduzieren oder Kunden sie anders zu nutzen lernen. Unternehmen müssen also ihre Lieferkette und Kunden auf den Pfad der Transformation mitnehmen.

Gleichzeitig braucht es zur effektiven Emissionsreduktion marktreife technologische Lösungen, einheitliche Standards für alle, moderne öffentliche Infrastruktur etc. Diese Rahmenbedingungen für progressiven Klimaschutz müssen Unternehmen und ihre Partner:innen in der Wertschöpfungskette mit der Politik gemeinsam entwickeln. Daher tun Unternehmen gut daran, sich zu organisieren und ihre fachliche und politische Öffentlichkeitsarbeit genau auf das Ziel effektiven Klimaschutzes auszurichten. Dabei geht es nicht darum, Verantwortlichkeiten auf andere abzuwälzen oder sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu verständigen. Es geht darum, gemeinsam die Rahmenbedingungen zu schaffen, die ambitionierten Klimaschutz ermöglichen.

Dazu zählt auch die ehrliche Kommunikation gegenüber Verbraucher:innen. Schnelle, über Kompensation vermeintlich erreichte Klimaneutralität vermittelt das falsche Bild. Die Arbeit ist nicht schon getan. Ein Weiter-So ist keine Option. Vielmehr sollten Unternehmen transparent mit ihrer Verantwortung umgehen, mit ihren Zielen und dem nötigen Weg bis zu ihrer Erreichung. 

Verbraucher:innen müssen als aufgeklärte und kooperationswillige Alliierte bei der Bewältigung der Klimakrise mitgenommen, nicht als leichtgläubige oder träge Konsument:innen begriffen und mit halbgaren Lösungen abgespeist werden. Sie über schnelle Klimaneutralität psychologisch zu entlasten, mag zwar kurzfristig den Umsatz erhöhen, vergibt aber die Chance, sie für die Unterstützung der notwendigerweise langwierigen Transformation zu gewinnen.

Weitere Informationen

  • Pathways to Paris © Getty Images Pathways to Paris – Transformation als Chance

    Wie bewältigen wir die Klimakrise? Eine Antwort darauf zu finden, stellt Wirtschaft und Gesellschaft in den kommenden Jahren und Jahrzehnten vor enorme Herausforderungen. Weiterlesen...

  • Pathways to Paris © Getty Images Pathways to Paris – Projektwebsite

    Um die Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit der Wirtschaft zu sichern, müssen wir sie beschleunigen und verstärken. Jetzt gilt: Den Wandel als Chance begreifen und aktiv gestalten. Zur Projektwebsite

Kontakt

Laura Niederdrenk

Projektmanagerin Sustainable Finance

Dr. Sebastian Öttl

Senior Manager Sustainable Business & Markets

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