Waldwende statt Waldverlust. Noch ist es möglich, den Wald artenreicher, ökologischer und resilienter gegen den Klimawandel aufzustellen, damit die nächste Generation Deutschland als Waldland erleben kann. Die Forderungen fixiert das Positionspapier des Deutschen Naturschutzrings (DNR).

Was die deutschen Naturschutz- und Umweltorganisationen für den Wald in der Klima- und Biodiversitätskrise fordern, fixiert das Positionspapier des Deutschen Naturschutzrings (DNR). Mit dabei der WWF, zusammen mit weiteren 23 Organisationen. Gemeinsam entstanden Leitlinien, die eine nachhaltige, ökologische und generationengerechte Waldnutzung ermöglichen sollen. 

Großflächige Waldschäden und Räumung in Hessen 2021 © Susanne Winter / WWF
Großflächige Waldschäden durch Trockenheit und/oder Borkenkäfer sind in Deutschland keine Seltenheit mehr. Oft müssen dann ganze Fläche abgeholzt und geräumt werden, wie hier in Hessen. © Susanne Winter / WWF

Unserem Wald geht es schlecht. Die Waldschadenserhebung hat zwei Jahre nacheinander festgestellt, dass vier von fünf Bäumen Schädigungen aufweisen. Doch wer ist schuld an dieser Misere und was kann man dagegen tun? Antworten liefert das aktuelle Positionspapier des Deutschen Naturschutzrings – kurz DNR – an dessen Entwicklung auch das Waldteam des WWF beteiligt war. Das Positionspapier enthält deutliche Forderungen an die neue Bundesregierung und die Landesregierungen. Ein klarer Appell zum aktiven Handeln – und zwar jetzt. Denn nur, wenn so schnell wie möglich die Weichen für die dringend gebotene ökologische Waldwende gestellt werden, kann diese überhaupt noch gelingen. Die Alternative im ungünstigen Fall: Waldverlust, möglicherweise bis zur teilweisen Versteppung. Und das sind wenig verlockende Aussichten für die nächsten Generationen.

Die Dringlichkeit der aktuellen Waldkrise ist dabei im Wesentlichen nur ein Spiegelbild der doppelten globalen Krise – resultierend aus der Klimaerwärmung und dem Verlust der biologischen Vielfalt. Somit stehen unsere Wälder und damit wir alle vor gewaltigen Herausforderungen, um unsere Waldlandschaften mit ihren Ökosystemleistungen zu schützen. Das gelingt allerdings nur, wenn der Wald ganzheitlich betrachtet wird. Die Nutzung von Holz als langlebiger, nachwachsender Rohstoff mit in die Betrachtungen einzubeziehen, ist dabei wichtig, aber noch wichtiger ist die Artenschutz- und CO2-Senkenfunktion von Waldökosystemen

Umdenken jetzt!
Um die Widerstandskraft der Wälder vor dem Hintergrund der Klima- und Biodiversitätskrise zu erhöhen, sind laut DNR-Positionspapier besonders drei Faktoren entscheidend: 

  • klare politische Rahmenbedingungen für die künftige, ökologisch ausgerichtete Waldbewirtschaftung
  • die Ausweisung von Naturwäldern ohne forstliche Nutzung
  • und der nachhaltige Umgang mit Energie und stofflichen Ressourcen
Forstwirtschaft mit Fichtenaufforstung und Stapel Holzstämme. © IMAGO / Shotshop
Nachhaltige Waldwirtschaft braucht eine konsequentere, nachhaltigere sowie ökologischere Ausrichtung unter Berücksichtigung aller Funktionen und Leistungen der Wälder. Aufforstungen mit Fichten unterhalb von 600 Metern über NN sollten der Vergangenheit angehören. © IMAGO / Shotshop

Nur mit einem klaren Paradigmenwechsel in puncto Wald ist die durchschnittliche Erwärmung noch auf maximal 1,5 Grad zu beschränken. Neben den zahlreichen vielfältigen ökologischen Schlüsselfunktionen, die der Wald hat, sind besonders drei im Hinblick auf die Klimaanpassung und den notwendigen Klimaschutz entscheidend: erstens die Fähigkeit der Speicherung von Kohlenstoff, zweitens die Grundwassereinspeisung von Laubwäldern und drittens das kühlend-feuchtere Bestandsklima ebenfalls von Laub(misch)wäldern. Vor diesem Hintergrund müssen laut DNR-Positionspapier sowohl Bund und Länder, Gesellschaft und Wirtschaft zügig die richtigen Entscheidungen treffen und Maßnahmen ergreifen, die weit über die aktuelle Waldpolitik hinausgehen. Denn die derzeitigen rechtlichen Rahmenbedingungen werden den Herausforderungen nicht gerecht. Es braucht eine konsequentere, nachhaltigere sowie ökologischere Ausrichtung unter Berücksichtigung aller Funktionen und Leistungen der Wälder. 

Forderungen des DNR zur Waldwende

Die 24 unterzeichnenden Natur- und Umweltschutzorganisationen fordern daher Bund und Länder sofort auf, in den folgenden vier Bereichen einzelne Schritte zur Stärkung der Waldökosysteme umzusetzen:

1. Strategischer und rechtlicher Rahmen

See in der Zerweliner Heide (brandenburgische Uckermark) © Albert Wotke / WWF
Es braucht den Wald als natürliche Kohlenstoffsenke. © Albert Wotke / WWF

Im ersten Bereich, dem rechtlichen Rahmen, bezieht sich das DNR-Positionspapier unter anderem auf die LULUCF (Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft-Verordnung), die auf die natürliche CO2-Speicher- wie Senkfunktion des Waldes fokussiert. Diese Fähigkeit muss durch den Erhalt und die Mehrung von alten Wäldern im Einklang mit Arten- und Naturschutz ausgebaut werden. Denn es braucht den Wald als natürliche Kohlenstoffsenke, um die Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre über Jahrzehnte zu reduzieren. Nur so können die ambitionierten Ziele der Klimaneutralität bis 2050 realisiert werden. Neben weiteren Forderungen auf rechtlicher Ebene wie die dringend benötigte Novelle des Bundeswaldgesetzes sollen zudem alle Daten zum Wald öffentlich zur Verfügung gestellt werden. 

2. Förderpolitik

Einsatz von Pferden bei der WWF-Pflanzaktion in der Uckermark 2021. © Sonja Ritter / WWF
Das Waldmanagement der Zukunft braucht auch eine andere Art von Förderung, die nachhaltige Ansätze berücksichtigt. © Sonja Ritter / WWF

Wer fördert was in welchem Maße? Für die Honorierung von Ökosystemleistungen schlagen die Unterzeichner die Einrichtung eines Waldnaturschutzfonds vor, welcher den Wald ganzheitlich betrachtet. Förderfähig sollte damit das Waldmanagement nur dann sein, wenn neben Klimaschutz zugleich und auf Augenhöhe Biodiversitäts- und andere Ökosystemleistungen gestärkt werden. Es ist eine Abkehr einer verengten Klimaschutzpolitik notwendig, die primär auf Kohlenstoffemissionen und -bindung im Wald und in Holzprodukten beruht. Auch soll die Bewirtschaftung weniger durch noch stärkere Mechanisierung mit hohem Fußabdruck im Waldökosystem erfolgen, sondern naturnäher, wie beispielsweise über weniger Rückegassen und mehr Pferdeeinsatz. 

3. Waldwirtschaftliche Rahmenbedingungen

Am umfangreichsten sind die Forderungen bei den waldwirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Das Positionspapier beinhaltet dabei unter anderem, dass bis 2030 mindestens zehn Prozent der Waldfläche dauerhaft als Naturwälder ohne forstliche Nutzung ausgewiesen sein sollen. Dabei soll auch das 2-Prozent-Wildnisziel verfolgt werden. Die EU-Biodiversitätsstrategie muss national vollständig integriert und umgesetzt werden. Besonders wichtig ist, dass alle verbleibenden Primär- und Altwälder erfasst, überwacht sowie geschützt werden. Kahl- und Großschirmschläge müssen gänzlich untersagt sowie Entwässerungen der Landschaft gestoppt werden. Wasserrückhalt ist somit deutlich zu optimieren. Neben weiteren Maßnahmen ist wichtig, dass der Wald als Lieferant von Gemeinwohlleistungen für die Gesellschaft verstanden werden soll. Eine Privatisierung oder der Einstieg privater Großinvestoren soll deshalb nicht weiter ausgebaut werden.

4. Nutzung der Ressource Holz

Rauchende Schornsteine in Oberstenfeld, Baden-Württemberg © IMAGO / avanti
Das Verbrennen von Holz als Energiequelle ist nicht klimaneutral. Die steigende Nachfrage nach Holz lässt zudem den Nutzungsdruck auf den Wald steigen. © IMAGO / avanti

Aktuell explodieren die Holzpreise. Geschuldet ist dies der zunehmenden Holznachfrage. Bei der Markttransformation von fossilen Brennstoffen wie Gas, Erdöl und Kohle hin zu klimaneutralen Ressourcen wird fälschlicherweise zunehmend auf Holz zurückgegriffen. Das Verbrennen von Holz ist aber nicht klimaneutral. Trotzdem befeuert der Krieg in der Ukraine die Holznachfrage, um die Unabhängigkeit von fossilen Rohstoffen möglichst kurzfristig zu reduzieren. Der Nutzungsdruck auf den Wald steigt.

Die klare Forderung an Bund und Länder bezieht sich auf den Ausstieg aus der Nutzung fossiler Energien. Dieser darf nicht auf Kosten des Klimas, des Waldes und der biologischen Vielfalt stattfinden. Die Verbrennung von Holz belastet das Klima zusätzlich, so dass dies eingeschränkt werden muss. Für die Holznutzung brauchen wir eine konsequente Ausrichtung auf eine Kreislauf- und Kaskadennutzung, die die Ressource Holz stärker als bisher als langlebiges Produkt fördert. Auch eine Verwendung als beispielsweise Papier und Pappe muss reduziert werden. Holz ist Baumaterial, ein natürlicher, nachwachsender, wärmedämmender Kohlenstoffspeicher. „Langlebige Holzprodukte“ sollen laut des WWF-Waldteams im Rahmen des DNR-Positionspapiers über eine Mindestgarantie von fünf Jahren abgesichert werden, damit auch so der Kohlenstoff-Produktspeicher erhöht wird.

Warum braucht es klare Forderungen?

Abtransport abgestorbener und gerodeter Fichten im Waldgebiet nördlich des Ortes Oeventrop, Stadtteil von Arnsberg. © IMAGO / Jochen Tack
Langlebigkeit vor Effizienzmaschinerie: Wälder werden weiterhin zu oft konventionell bewirtschaftet und gefördert. © IMAGO / Jochen Tack

Die derzeitige Waldpolitik muss verbessert werden – dringend. Denn unser Wald steht unter (Zeit-)Druck. Die aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen genügen dafür nicht, sind nicht verbindlich, konkret und ganzheitlich genug. So fehlt beispielsweise die Festlegung von ökologischen Mindeststandards im Bundeswaldgesetz, die den Klimawandel ebenso einbeziehen wie den Verlust der Biodiversität. Viel zu sehr wird der Wald noch konventionell bewirtschaftet und gefördert. Hierzu zählen großflächige Räumungen abgestorbener Bestände, nicht nur dabei entstehende starke Bodenbeeinträchtigungen und Pflanzungen von mitunter nicht-heimischen Nadelbaumarten.

Immer schnelleres und immer mehr Holz: Der Mensch strebt nach Optimierung weniger Nutzungsfaktoren. Das hat viele Vorteile. Unstrittig. Aber noch mehr Nachteile für Mensch und Natur. Um den Wald zu bewahren, diesen einzigartigen, faszinierenden, Kraft- und Inspirationsspender mit seinen Leistungen zu stärken, braucht es Verlangsamung. Die Wälder sollten älter, kohlenstoff- und biodiversitätsreicher werden. Die Effizienzmaschinerie sollte Pause machen. Wenn die Bewirtschaftung am Takt der Natur ausgerichtet würde, wäre dies die benötigte Kehrtwende für die Waldwende. Die Resilienz der Wälder gegen die Wetterextreme würden erhöht und der Wald bliebe uns im Klimawandel länger erhalten.  

„Die Waldökosysteme sind in ihren Funktionen eine unverzichtbare Lebensgrundlage für uns Menschen.“

WWF-Programmleiterin Dr. Susanne Winter

Der Wald gibt vor, was er leisten kann. Wir als Nutznießer erkennen die Leistung – trotz stressigem Umfeld – an und folgen dem Angebot. Nur so können wir noch lange Nutznießer sein. 

Blick über den Tellerrand der Nationalgrenzen hinaus

Zwei Frauen ernten Mate-Blätter beim M.A.T.E. Projekt in Paraguay. © Sonja Ritter / WWF
Ganzheitlich. Global. Fair. Eine nachhaltige Lebensweise und Waldwirtschaft stellt den Erhalt von Lebensräumen und der biologischen Vielfalt mit in den Mittelpunkt. © Sonja Ritter / WWF

Ganzheitlich. Global. Fair. So müssen wir zukünftig denken und handeln, wenn eine Waldwende gelingen soll. Das bedeutet auch, die Wälder auf der ganzen Welt in ihrem Wert anzuerkennen. Für den Walderhalt sollen dieselben Vorgaben und gleichen Rechte im Handel mit Lebensmitteln und Holz sowie ihren Produkten, die mit Entwaldung und Waldschädigung zusammenhängen, gelten. Für die Bekämpfung der Klimakrise und den Verlust biologischer Vielfalt müssen zudem andere Ökosysteme wie Savannen, Gras- und Buschlandschaften, Feuchtgebiete wie Mangroven und Moore in die neue EU-Gesetzgebung gegen Entwaldung und Waldschädigung einbezogen werden. Dem Erhalt des Waldes darf nicht die Zerstörung von anderen Lebensräumen innewohnen, indem die Landwirtschaft sich dann statt in den Wald in andere Ökosysteme ausbreitet. 

Die meisten Verbraucher und Verbraucherinnen haben täglich Entwaldung auch auf dem Teller. Mais, Fleisch, Eier und Milchprodukte, Kakao, Kaffee und Produkte mit Palmöl, aber auch Luxusartikel wie Garnelen sind mit Naturzerstörung verbunden. Die gesamte Produktpalette der Lebensmittel, aber auch die Ressource Holz und Kautschuk müssen legal, frei von Abholzung und Waldschädigung gewonnen werden. Doch Gesetzesinhalte sind ohne Durchsetzung inklusive abschreckender Sanktionen wirkungslos. Die Regierung wird aufgefordert, die Gesetzgebung ohne Schlupflöcher zu gestalten.

Fakten

Auch mit dem, was wir essen, kann jeder einen Beitrag zur Kohlenstoffbilanz leisten … und die Arbeit des Waldes für uns unterstützen. Denn für die voranschreitende Waldzerstörung sind insbesondere die weltweite Tierhaltung und die durch die Tiere selbst abgegebenen Gase wie Methan verantwortlich. Sie gehören mit rund 20 Prozent der Treibhausgasemissionen zu den Hauptemittenten, die zur globalen Erwärmung führen. 

Tipp: Bio-Lebensmittel setzen bei der Produktion bedeutend weniger Treibhausgase frei. Und durch vegane Ernährung können jedes Jahr 670 Kilogramm CO2 eingespart werden. 

Kohlenstoffbilanz nach Lebensmitteln:
Bei der Produktion werden viele Kohlendioxidäquivalente freigesetzt:

  • 1 Kilo Rindfleisch ca. 13,3 Kilo CO2
  • 1 Kilo Mischbrot ca. 0,75 Kilo CO2 
  • 1 Kilo Kartoffeln ca. 0,62 Kilo CO2

Fazit: Das DNR-Positionspapier ist ein dringender Appell an alle – Bund und Länder und jeden Einzelnen. Die vielleicht letzte Möglichkeit, aus der Waldkrise eine Waldwende zu gestalten. 

Über den DNR

Logo des DNR Deutscher Naturschutzring
Logo des DNR Deutscher Naturschutzring

Mitglied im Deutschen Naturschutzring e. V. (DNR), der 1950 gegründet wurde, sind aktuell rund 100 Verbände, Vereine, Stiftungen, Netzwerke und andere Akteure. Gemeinsam treten sie dafür ein, die Natur- und Lebensräume zu schützen, um die Schönheit wie volle Funktionsfähigkeit unserer Landschaft für die nächsten Generationen zu schützen. Dafür wird der DNR sowohl auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene aktiv. Der DNR sieht es als seine Aufgabe, auf Problemlagen und politische Fehlentwicklungen hinzuweisen und Lösungsangebote zu erarbeiten. Ein Lösungsangebot ist das DNR-Waldpositionspapier. Der WWF ist Mitglied im DNR und hat die Waldposition zusammen mit anderen Naturschutzverbänden entwickelt.