Das übliche Gartenjahr hält viele wiederkehrende Arbeiten bereit, vom „Winterfein-Machen“ im Herbst bis zum sogenannten Frühjahrsputz. Vieles davon ist für die Artenvielfalt keine gute Idee.
Gärten sind besondere Orte, ein Zwischending von Wildnis und Wohnzimmer. Trotz Besitzurkunde oder Pachtvertrag haben wir Menschen diese Stückchen Land von der Natur nur geliehen. So sollten wir sie auch behandeln. Denn wir teilen uns diesen Platz mit ganz vielen Tieren, Pflanzen und Pilzen, für die es ihr überlebenswichtiger Lebensraum ist.
Über den – aus der Sicht eines Rotkehlchens, eines Laufkäfers, einer Spitzmaus – regelmäßige Katastrophen hereinbrechen: Angefeuert durch Arbeitskalender in Gartenzeitschriften und Handlungsaufrufe auf Social Media startet die Garten-Community schon mit den ersten Strahlen der Januarsonne: Gräser schneiden, Laub aus den Beeten holen, die Stauden schön machen, Leimringe anbringen.
Viele dieser To-dos stammen aus Zeiten, als kaum jemand wusste, dass es Wildbienen gibt und Läuse überlebenswichtig sind; als Igel laut Roter Liste noch nicht als „potentiell gefährdet“ galten. Als es jede Menge Hecken und Bäume gab – in der freien Natur. Aus Sicht der Artenvielfalt sind viele dieser Regeln sehr schädlich. Das Gute: Vieles ist für einen guten Garten auch gar nicht nötig!
Beispiel Leimringe: Die klebrigen Streifen unterscheiden nicht zwischen Frostspanner-Weibchen und anderen Insekten. So bleiben auch viele andere Arten daran hängen, sogar Fledermäuse oder Vögel. Frostspanner sind dabei längst nicht so gefräßig wie Apfelwickler. Die können aber fliegen und werden vom Leim nicht aufgehalten.
Hecken müssen nicht geschnitten werden
Oder der Hecken-Schnitt-Countdown: Viele denken, dass Hecken noch im Winter geschnitten werden müssen, bevor es ab März dann verboten ist. Beides ist falsch. Erstens: Hecken müssen – aus Sicht der Pflanzen – nicht geschnitten werden, zumindest nicht regelmäßig und nicht rigoros. Es sei denn es gibt Sicherheitserfordernisse oder der Kleingartenvorstand hat Abmahnungen verschickt.
Der Stichtag richtet sich nach der Vogelbrutzeit, damit keine Nester zerstört werden. Ein radikaler Rückschnitt davor nimmt Vögeln aber viele Möglichkeiten, überhaupt zu nisten.
Dass in vielen Hecken auch Igel, Haselmäuse, Spitzmäuse oder Insekten überwintern, berücksichtigt das Gesetz erst recht nicht.
Zweitens: Verboten sind drastische Fällarbeiten. Einen ganzen Baum umsägen, die Hecke auf den Stock setzen, die Efeu-Wand komplett entfernen. Kleinere Pflegemaßnahmen sind auch nach dem Stichtag erlaubt. Wenn etwas nötig sein sollte – damit die Hecke nicht zu raumgreifend wird – sollte man das so gut wie möglich verteilen auf verschiedene Zeiten und immer nur stückchenweise schneiden. So, dass immer genug Lebensraum bleibt und nie eine ganze Tier-WG wohnungslos wird.
Not-To-Use
Alle nötigen Arbeiten sollten wenn möglich ohne Maschinen erledigt werden. Ja, das ist mühsam und mit Handgeräten kommt man nur sehr langsam voran. Genau das ist das Problem an Motorsensen, Fadentrimmer, Laubsaugern. Damit ist es verführerisch leicht, den Garten bis unter die letzte Heckenecke leer zu machen. Bis in die letzte Rückzugsecke kleiner Tiere. Wer von den Maschinen nicht getötet wird, stirbt später. Das Dach über dem Kopf ist weg, das Futter vernichtet. Wer das Laub mit dem Rechen einsammelt, hört auf, wenn das Wichtigste erledigt ist.
Komposthaufen sind Winterquartiere
Ebenfalls zum Wohle der Winterschläfer sollten wir behutsam mit dem Kompost umgehen. Auch wenn Umsetzen und Durchs-Sieb-werfen auf der To-do-Liste stehen. Komposthaufen sind aber mehr als eine natürliche Düngerfabrik – sie sind wichtige Winterquartiere für Eidechsen, Ringelnattern, Spitzmäuse und viele andere Tiere. Sie alle würden aufgespießt und wohnungslos.
Nur das Nötigste und das nach und nach
Auch beim Kompost gibt es nicht den perfekten Zeitpunkt, denn Ringelnattern legen auch ihre Eier gerne in Kompost und auch Nashornkäfer lassen den Nachwuchs dort groß werden. Idealerweise hat ein Garten zwei Haufen: der eine wird – vorsichtig und erst nach dem Gartenerwachen – genutzt. Alles, was beim Abräumen auftaucht an Lebewesen, wird in den zweiten Haufen umgesiedelt. Im nächsten Jahr ist dann dieser Haufen dran. So haben die Tiere immer einen Rückzugsort.
Auch alte Stauden und Gräser sind Winterquartier: Ohrkneifer bohren sich gern in hohle Stängel, Streifenwanzen schlummern an den Wurzeln, und auch Eier hängen überall in den Pflanzen. An, in und unter dichtem Gestrüpp überwintern durchaus auch Amphibien. Sie alle wollen ausschlafen, teils bis in den April. Also: noch nicht schneiden. Und das restliche Laub zwischen den Stängeln liegen lassen. Laub-Absammeln wird oft empfohlen zur Wühlmaus-Prophylaxe – hilft aber nicht. Sondern tötet Insekten und andere Kriech- und Krabbeltiere. Von denen sich dann keine Igel ernähren können. Außerdem zersetzt sich das Laub zu Kompost und ist der beste natürliche Dünger!
Wenn das Laub unbedingt weg soll: Nicht wegschmeißen. Sondern kleine Haufen daraus machen, zum Beispiel am Heckenfuß. Dann können die Insekten teils noch schlüpfen, die Haufen sind schöne Sommerquartiere für Amphibien. Ein gutes Ventil für Arbeitseifer wäre auch einen Miniteich anzulegen, die Bepflanzung nachverdichten mit Wildsträuchern oder Strauch-Efeu und als Pflanzerde Maulwurfshügel abzuernten. Statt Gartenerde in Plastiksäcken und womöglich sogar mit Torf zu kaufen. Oder: kleine Lücken im Zaun und Mauerwerk schaffen. Für Igel und Kröten, die auf ihren Wanderungen oft genug an Barrieren stoßen.
Nistkästen nicht reinigen – lieber noch ein paar mehr aufhängen
Ein wichtiges Not-To-do im Winter und Frühling: Nicht noch schnell die Nistkästen sauber machen. Auch die werden von vielen Arten, vom Gartenschläfer bis zur Fledermaus als Winterquartier genutzt. Die wollen jetzt noch ihre Ruhe.
Im alten Nistmaterial überwintern auch sehr gerne Hummelköniginnen, Florfliegen oder Zitronenfalter. Die würden einfach mit ausgeputzt. Wenn überhaupt, ist der Zeitpunkt für Reinigen im Spätsommer, Ende August. Dann sind die Bruten durch und die Winterschläfer noch nicht im Bett.
Wer jetzt Sorge hat, die Vögel könnten keinen „sauberen“ Platz finden: Einfach noch ein paar mehr Nistkästen aufhängen. Der Mensch ist beschäftigt und die Tiere und Pflanzen können in weiterschlafen – solange, bis sie von allein aufwachen.
Astronomisch startet der Frühling am 20. März, meteorologisch am 1. März. Tatsächlich beginnt der Frühling jedes Jahr und in jedem Garten an einem anderen Tag. Solange die Weidenkätzchen nicht blühen, ist maximal Vorfrühling. Auch dann sollte im Garten aber kein Frühjahrsputz gestartet werden.
In der Natur muss nichts geputzt werden
Leider denken wir viel zu viel in solchen Haushaltskategorien – und Aufräumen hat ein gutes Image. Ordnung und Sauberkeit mögen im Haushalt sinnvoll sein, aber ein durchgestylter, ordentlich durchgeputzter Garten ist steril und tot.
Sigrid Tinz ist Diplom-Geoökologin und arbeitet seit 20 Jahren freiberuflich als Journalistin und Buchautorin zu allen Themen rund um Artenvielfalt und Garten.
Außerdem gibt sie Seminare, liest vor Publikum aus ihren Büchern und postet auf Instagram unter @kraut_und_buecher regelmäßig Fotos und interessante Tipps für alle, die das Thema #WenigerArbeitmehrArtenreich am Herzen liegt. Auch auf ihrer Website veröffentlicht sie regelmäßig Tipps rund um den Garten.
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