Die deutsche Industrie steht am Scheideweg: Fossile Brennstoffe haben sie groß gemacht, doch nur mit Erneuerbaren, Wasserstoff und Kreislaufwirtschaft bleibt sie auch in Zukunft wettbewerbsfähig – und klimafreundlich.

Dies ist die Geschichte von der Farbenlehre in der Industrie. Sie beginnt mit der Primärfarbe Rot. Rot, das steht für Feuer, für Verbrennung. Das Verfeuern fossiler Rohstoffe hat die Industrie erfolgreich gemacht. Doch es hat auch die Klimakrise entfacht. Seit Beginn der industriellen Revolution ist die Durchschnittstemperatur weltweit bereits um rund 1,3 Grad angestiegen. Im vergangenen Jahr wurde erstmals das 1,5 Grad-Temperaturlimit aus dem Pariser Klimaabkommen gerissen, hoffentlich nur temporär.

Die Erde, sie hat nun erhöhte Temperatur. Und steuert aufs Fieber zu, wenn nicht schnell weit mehr unternommen wird, um sie abzukühlen. Rot, das ist also die Primärfarbe, die die Industrie nicht länger einfärben darf.

Sonne und Wind statt Kohle, Gas und Öl

Solarenergie © Jason Houston / WWF USA
Solarenergie © Jason Houston / WWF USA

Stattdessen brauchen wir Blau und Gelb. Gelb, das steht für die Sonne – und für ihre Energie. Wenn wir viel stärker auf Strom aus Erneuerbaren neben Sonne auch Wind – zurückgreifen und industrielle Prozesse von fossilen Quellen befreien, werden die Treibhausgasemissionen rasant sinken.

Insbesondere in der Industrie ist das bitter nötig, denn sie ist aktuell noch ein klimaschädliches Schwergewicht. Rund 30 Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen gehen auf ihr Konto. Die Elektrifizierung auf Basis Erneuerbarer ist ein zentraler Schritt auf dem Weg zur Dekarbonisierung. Aber allein genügt sie nicht, denn nicht alles lässt sich elektrifizieren. Daher ist es mit Gelb nicht getan.

Wasserstoff ist ein knappes Gut

Solarkraftwerk mit Wasserstoffspeicher © Petmal / iStock / Getty Images
Solarkraftwerk mit Wasserstoffspeicher © Petmal / iStock / Getty Images

Blau, das steht für Wasser – und für unseren Zweck, für Wasserstoff. Anders als in anderen Sektoren wie im Verkehr oder im Gebäudebereich gibt es in der Industrie Prozesse, die sich nicht direkt elektrifizieren lassen. Und hier kommt Wasserstoff ins Spiel. Doch seine Produktion ist erstens energieintensiv und zweitens muss seine Produktion noch weiter angereizt und hochgefahren werden.

Daraus folgt: Wasserstoff muss mithilfe erneuerbarer Energien erzeugt werden, denn sonst ist für die Treibhausgasbilanz wenig gewonnen. Und: Die aktuell noch geringen Mengen sollten der Industrie vorbehalten sein. Wasserstoff in Autotanks oder Heizungen – da reden wir nicht mehr über Blau, sondern Gold.

Aus Gelb und Blau wird Grün

Was braucht es also nun, um von Rot zu Gelb und Blau zu kommen – und damit letztendlich zu einer grünen Industrie in Deutschland? Zuallererst braucht es Investitionen. Und damit verbunden: die richtigen Rahmenbedingungen, die Planungssicherheit für Investitionen schaffen. Fakt ist: Die Grundstoffindustrie in Deutschland steht heute vor Investitionsentscheidungen, die maßgeblich über das industrielle Morgen in Deutschland entscheiden.

Zeigt die Regierung klar den Kurs auf und unterstützt die Transformation – etwa mit Quoten für grüne Industrieprodukte oder mit finanziellen Hilfen für den klimafreundlichen Umbau – hat das wesentlichen Einfluss darauf, welche Entscheidungen getroffen werden.

Deutsche Politik schlingert im Kurs

Leider wird die Bundesregierung dieser Aufgabe noch nicht gerecht. Doch auch ohne Kurssetzung der Regierung sollte den Unternehmen klar sein: Nur eine grüne Industrie ist eine zukunftsfähige Industrie. Nur sie erhält langfristig Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit. Investitionen in Klimaschutz sind Investitionen in den Erhalt unserer Lebens- und Wirtschaftsgrundlagen.

Denn auf der anderen Seite: Kein Klimaschutz kostet. Nicht nur wegen Produktionsausfällen aufgrund von vermehrten und stärkeren Extremwetterereignissen. Auch wegen des europäischen Emissionshandels, in dem die kostenlose Zuteilung von Zertifikaten an die Industrie bis 2034 auslaufen wird. Dann wird es teuer. Die mutigen First Movers, die schon an der klimaneutralen Umstellung ihrer Produktion arbeiten, zeigen, dass und wie es geht. Sie dürfen jetzt nicht allein bleiben oder ihre Investitionen verlieren.

Industrie braucht Klimaschutz und Kreislaufwirtschaft

Ein weiterer Hebel für die zukunftsfähige Industrie liegt in der Kreislaufwirtschaft. Wer die gesamte Wertschöpfungskette konsequent an ihr ausrichtet, spart nicht nur Emissionen, sondern auch Ressourcen. In Zeiten instabiler Lieferketten und knapper werdender Ressourcen wird das immer wichtiger. Kreislaufwirtschaft schafft Resilienz. Und hilft dabei, die Natur zu schützen.

Technologien der Kreislaufwirtschaft können die Kosten zur Klimaneutralität in der Grundstoffindustrie um bis zu 45 Prozent senken. Ein effizienterer Hausbau mit Fertigbauteilen und digitalen Lösungen hilft nicht nur schneller gegen Wohnungsnot, sondern kann zu einer Reduktion der Materialkauf- und Installationskosten um bis zu 50 Prozent im Vergl. zur traditionellen Bauweise führen. Bei den steigenden Kosten für Baumaterialien ein klares Plus für diese Techniken.

Letztlich ist der Kreislauf der Rohstoffe damit ein vierfaches Win: für das Klima, die Natur, unsere Wirtschaft und Unabhängigkeit.

Deutschland ist in der Welt ein industriepolitisches Powerhaus. Welche Dynamik könnte es weltweit entfachen, wenn es den Kurs konsequent auf Grün ausrichtet! Die kleine Geschichte der Farbenlehre könnte zu einer wahren Erfolgsstory werden.

Heike Vesper © Kathrin Tschirner / WWF
Heike Vesper © Kathrin Tschirner / WWF

Die Autorin: Heike Vesper

Vorständin Transformation Politik & Wirtschaft

Heike Vesper hat Marine Biology and Ecology in Bremen und Amsterdam studiert. Sie begann ihre berufliche Laufbahn 1999 beim WWF Deutschland, wo sie zwischenzeitlich Interims-Chief Conservation Officer Transformation & Policies war.

Seit 2023 gehört sie zum Vorstand des WWF Deutschland.

Dieser Artikel erschien zuerst am 05. September 2025 als Gastbeitrag von Heike Vesper im Handelsblatt.