Laitaure-Delta, Rapadalen-Tal und die Berge Skierffe und Nammat im Sarek-Nationalpark © Wild Wonders of Europe / Peter Cairns / WWF
Laitaure-Delta, Rapadalen-Tal und die Berge Skierffe und Nammat im Sarek-Nationalpark © Wild Wonders of Europe / Peter Cairns / WWF

Die Sami, ihre Rentiere und die borealen Wälder bildeten über Jahrhunderte eine perfekte Symbiose, über vier Landesgrenzen hinweg. Bis die skandinavische Holzindustrie kam. 

Die Ausdehnung über 400.000 Quadratkilometer Land, auf welchem die Sami ihre Rentiere halten, scheint unendlich. Bis in die Neuzeit ein frei zugängliches Land. Erst die Moderne hat den Sami eine neue Aufteilung der vier samischen Sprachgruppen auf vier unterschiedliche Länder gebracht: Norwegen, Schweden, Finnland und die russische Kola-Halbinsel. Vereint sind sie nach wie vor auf Ihrem Land „Sapmi“ – wie sie selbst das uns bekannte Lappland nennen.

Die Umwelt-Fotografin und Climate-Impact-Storytellerin Maren Krings hat in den vergangenen vier Jahren wiederholt mit verschiedenen Sami-Gemeinden in Skandinavien zusammengearbeitet und dabei nicht nur die Traditionen und Kultur der Sami kennen gelernt, sondern auch deren Probleme. Dort nahm sie Einblick in die Zusammenhänge der Geschichte der schwedischen Sami und der voranschreitenden Ausbeutung ihres Landes. Zuerst lernte sie Lennart Pittja kennen, der am Polarkreis, in der Nähe von Kiruna ein Glamping-Camp für Touristen betreibt. Maren Krings war tief berührt von dieser ersten Begegnung und tauchte seither immer tiefer ein in die Welt der Ureinwohner des Nordens. Mehrere Wochen verbrachte sie in Grövelsjön, der südlichsten Sami-Gemeinde Schwedens und begleitete dort den Spätherbst und Winter mit ihrer Kamera.

Eine Heimat im Zerfall

Rentierherde in den Weiten Lapplands © Ola Jennersten / WWF Schweden
Rentierherde in den Weiten Lapplands © Ola Jennersten / WWF Schweden

„Unser Denken ist von der Natur geprägt, nicht vom Geld“ heißt ein Satz der Sami-Klimaaktivistin Jannie Staffansson, welche die Konflikte zwischen der schwedischen und der samischen Bevölkerung in Schweden im Kern erfasst. Gewinnstreben und Rassismus haben schon seit Jahrzehnten die schwedische Nation gespalten. Sveaskog, staatliches Holzunternehmen und größter Waldbesitzer im Land, rodet den borealen Wald und entzieht den Sami und ihren Herden damit die Lebensgrundlage. Wo einst die Herden ungestört durch die Landschaft zogen, wird nun in großem Stil Raubbau betrieben.  

Mehr als 70 Prozent der Wälder sind bereits abgeschlagen, manche von ihnen 700 Jahre alt. Den noch intakten Flächen setzt der Klimawandel zu. Flechten, die auf dem Boden und an den Bäumen wachsen, sind die Nahrung der Rentiere. Sie riechen die Flechten durch die Schneedecke hindurch. Durch die globale Erwärmung fällt der Niederschlag vermehrt als Regen. Wenn das Wasser wieder gefriert, können die Tiere den Flechtengeruch darunter nicht mehr wahrnehmen. Sie müssen weiterziehen, und oft verenden sie.

Ristin Omma, aus der norwegischen Nachbargemeinde von Grövelsjön, ist mit der Tradition der Rentierhaltung aufgewachsen und erzählt, dass diese in den vergangenen Jahrzehnten viele Veränderungen erlebt haben. In wärmeren Wintern können die Seen nicht mehr zufrieren. Das zwingt die Rentiere dazu, ihre Wanderroute zu den Weidegründen zu ändern. Sie müssen nun durch Land gehen, das von vielbefahrenen Straßen durchzogen ist. Statt großer, zusammenhängender Gebiete sind die Futterflächen der Tiere parzelliert, die Sami müssen sie von einem Waldfleck zum anderen führen. Mit der Unendlichkeit des Ursprungs von Sapmi hat das nicht mehr viel zu tun.  

Dabei gilt die schwedische Forstwirtschaft weltweit als eines der nachhaltigsten Modelle. Diese Einordnung wurde jedoch auf Basis des Geldes, nicht der Natur gemacht. Die Kahlschläge, welche die schweren Erntemaschinen verursachen, bedrohen die Biodiversität, sind Quelle für Klimagase und bedrohen das Überleben der samischen Kultur. 

Sebastian Kirppu © Maren Krings
Sebastian Kirppu © Maren Krings

Der Waldbiologe Sebastian Kirppu hilft bereits seit Jahren den Sami-Gemeinden dabei, ihre alten, flechtenreichen Wälder gegen das Abholzen zu schützen. Die winzige, seltene Flechte Carbonicola anthracophila ist für ihn eine bedeutende Entdeckung. Anhand dieser Zeigerpflanze liefert Kirppu den Behörden einen wichtigen Beweis für das Alter der Wälder. Eine Voraussetzung für ihren Schutz. Die Flechte wächst nur auf verbranntem Hartholz, welches mindestens 650 Jahre alt ist. Im Fänstjärnsskogen Naturreservat stehen einige der wenigen verbliebenen alten Kiefern, die dort Drottningen, die Königin genannt werden.

Im Einklang mit der Natur

Fänstjärnsskogen Naturreservat, Schweden © Maren Krings
Fänstjärnsskogen Naturreservat, Schweden © Maren Krings

Während ihrer Lebenszeit binden die borealen Nadelbäume eine große Menge Kohlenstoff. Wälder wie im Fänstjärnsskogen Naturreservat sind in Schweden selten geworden. 71 Prozent der wertvollen Wälder wurden von der Forstindustrie abgeholzt. Obwohl die Sami formal in den Abstimmungsprozess über eine Fällung der Bäume mit einbezogen werden, stellt man sie immer wieder vor vollendete Tatsachen.

Einmal im Jahr findet ein großes Round-up statt, dabei treiben die verschiedenen Sami-Gemeinden ihre Rentier Herden zusammen und dividieren sie auseinander – ein Teil der Tiere wandert direkt in das mobile Schlachthaus, der andere darf weiterleben. Die 95-jährige Aahka Omma (Aahka ist südsamisch für Oma) kennt ihre Tiere anhand der Markierungen genau. Während des jährlichen Rentiertreibens sortiert sie die Tiere nach Widerstandsfähigkeit und ihrer Fähigkeit, den Winter zu überleben. Auch ihr Wissen muss sich dem wandelnden Klima anpassen. Ihre Enkelin Elle Merete Omma sucht den Rat ihrer Großmutter Aahka, welche Rentiere sie für die Zucht behalten und welche sie zum Schlachten aussortieren soll. Aahka bleibt dabei auf der anderen Seite des Zauns, um nicht von den im Kreis rennenden Rentieren umgestoßen zu werden, aber das Geschehen verliert sie nicht aus den Augen. 

Alter Kiefernstumpf mit grünem Moos, Flechten und Polyporen in der sibirischen Taiga © imago images / Olga Berlet
Alter Kiefernstumpf mit grünem Moos, Flechten und Polyporen in der sibirischen Taiga © imago images / Olga Berlet

Während der Wintermonate ernähren sich die Rentiere hauptsächlich von Flechten. Sie wachsen an alten Bäumen und auf dem Boden der Ebenen und Wälder. Diese semi-Wildtiere müssen aber mittlerweile von vielen Sami-Gemeinden im Winter gefüttert werden, da sie nicht mehr genügend alten Wald und das darin enthaltene Futter haben. Das könnte das hochwertige Fleisch der Rentiere negativ beeinflussen. Ernähren sich die Tiere von Flechten, Beeren und Kräutern, so ist ihr Fleisch reich an Omega-3-Fettsäuren. Mit dem Verzehr kompensieren die Sami das fehlende Sonnenlicht im Winter. Nebst dem Eigenverzehr ist der Verkauf des Rentierfleischs ein Haupteinkommen für viele Sami Familien. Daher hat das Rentier in der samischen Kultur den gleichen Stellenwert wie Kinder und Hütehunde, wie ein Verkehrsschild in Grövelsjön zeigt. 

Die unsichtbaren Indigenen

Mittlerweile ist die samische mit der schwedischen Kultur eng verwoben, wie das Haus von Peter und Helena Andersson zeigt. Die Sami verbringen den größten Teil des Jahres draußen, um ihre Rentiere zu hüten. Das Verhältnis zu ihren Häusern ist bei den ehedem nomadischen Sami anders. Jedoch findet man viele Gegenstände aus Rentiergeweihen, Leder und Fell auch in schwedischen Häusern.  

Die Unsichtbarkeit des samischen Erbes ist genau das, was wiederholt zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Sami und Schweden geführt hat. Schweden erkennt die Rechte der Sami an ihrem Land nach wie vor nicht an, aus Angst die schwedische Bevölkerung könnte sich benachteiligt fühlen. Die unzähligen Gerichtsprozesse der Sami können meist nur gewonnen werden, wenn sie Zeichen ihrer Besiedlungsgeschichte vorweisen können.

Moderne Tipi nach traditioneller Art der samischen Lavoo-Behausung, Sápmi Nature Camp © Maren Krings
Moderne Tipi nach traditioneller Art der samischen Lavoo-Behausung, Sápmi Nature Camp © Maren Krings

Das Lavvu, ein typisches samisches Ahnentipi, das Peter Anderssons Familie über den Sommer bewohnte, liefert eine solche architektonische Struktur, allerdings ist es für das ungeübte Auge fast nicht sichtbar. Da es den Sami so schwer fällt zu beweisen, dass sie schon seit Jahrhunderten bestimmte Regionen besiedeln, hat Lennart Pittja sich die Wissensverbreitung über die samische Kultur auf die Fahnen geschrieben. In seinem Wildnisresort, Sápmi Nature Camp in Nabrreluokta beherbergt er Touristen in modernen Tipis, welche einen kleinen Geschmack der traditionellen samischen Lavvu-Behausung vermitteln. Während der Ausflüge in die umliegende Natur erzählt Lennart seinen Besuchern die gleichen Geschichten, welche auch er von seinem Vater erzählt bekam und vermittelt so ein authentisches Bild seiner Kultur. Wenn die Besucher die herrliche Natur erleben und das Leben der Sami kennenlernen, kehren sie mit einem neuen Verständnis nach Hause zurück. Viele dieser Besucher sind zu Botschaftern für die Natur, das friedliche Zusammenleben und die Sami geworden, genauso wie die Fotografin Maren Krings.

Print für Charity

Die Bilder von Maren Krings zu den Sami und ihrer Lebensweise können erworben werden. 30 Prozent des Erlöses gehen in das #Luoktamavas Projekt via Sofia Jannok. Mehr dazu im Maren Krings Photography Shop

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