Mit den Direktiven „Green Claims“ und „Empowering Consumers for the Green Transition“ will die EU Konsument:innen stärken und ihnen informierte und bewusste Entscheidungen  ermöglichen. Der WWF erklärt, was die neuen Umwelt-Scores damit zu tun haben, was sie können - und was (noch) nicht.

Der Earth Overshoot Day (auf Deutsch: Erdüberlastungstag oder auch Ökoschuldentag) markiert alljährlich jenes Datum, ab dem die natürlichen Ressourcen der Erde über den Punkt der Regeneration hinaus genutzt werden. Im Jahr 2020 lag er Anfang Oktober, 2024 hatte die Menschheit durch ihre Art zu wirtschaften, zu produzieren und konsumieren bereits Anfang August den Ökoschuldentag erreicht.

Dass sich unser Konsumverhalten ändern muss, ist offensichtlich. Wirtschaft und Politik tragen hier eine maßgebliche Verantwortung. Aber auch Konsument:innen können durch ihr Einkaufsverhalten täglich Einfluss nehmen.

Dafür müssen Qualität und Preis nachhaltigerer Alternativen stimmen – aber auch Transparenz. Konsument:innen müssen gut über die Umweltwirkungen zur Auswahl stehender Produkte informiert zu sein – unabhängig, umfassend und leicht verständlich. Eine neue Art von Umwelt-Label haben das Ziel, dies zu ermöglichen.

Die Qual der Wahl: Welcher Joghurt hat die beste Ökobilanz?

Produkte in einem Supermarkt.
Viel Auswahl, aber welches Produkt ist am nachhaltigsten © gopixa / iStock / GettyIMages

Stellen Sie sich vor, Sie haben im Supermarkt die Wahl zwischen Joghurts von drei unterschiedlichen Molkereien. Auf der Verpackung aufgedruckt ist gut erkennbar eine Skala, die von Dunkelgrün bis Dunkelrot reicht. Einer der Joghurts hat ein dunkelgrünes A auf der Skala markiert, ein anderer ein hellgrünes B, der dritte ein orangefarbenes D. Eine ähnliche Gestaltung kennen Konsument:innen bereits vom Nutriscore.

Würde eine solche Produktbewertung Ihren Einkauf beeinflussen, wenn Sie wüssten, dass die Umweltwirkung wissenschaftsbasiert, unabhängig und entlang des gesamten Lebenszyklus‘ (nach Ökobilanz, bzw. der Life Cycle Assessment – LCA – Methodik) berechnet wurde?

Wer bewusst umweltfreundlich einkaufen möchte, hat zwar schon jetzt die Möglichkeit, auf eine Vielzahl von Siegeln zu achten. Doch diese informieren nicht immer umfassend über relevante Wirkungen und ermöglichen häufig keinen direkten Vergleich. Meist decken sie nur ausgewählte, als besonders positiv wahrgenommene Umweltkategorien ab.

WWF Perspektive auf drohenden Green Claims-Rückzug

Die Verhandlungen über den im März 2023 unterbreiteten Vorschlag der EU Kommission für eine „Green Claims Direktive“ hätten Ende Juni 2025 mit Europäischen Parlament und Europäischem Rat zum Abschluss gebracht werden sollen. Mangels absehbarer Mehrheiten kündigte die EU Kommission stattdessen zunächst den Rückzug ihres Vorschlags an – weicht davon nun aber wieder ab. Die Green Claims Directive befindet sich derzeit also in der Schwebe. Klar ist aber: Der Verzicht auf eine stärkere Regulierung des Umwelt-Marketings von Unternehmen, würde nicht nur vertrauenswürdige Umwelt-Kommunikation verhindern, sondern auch jene Initiativen bestrafen, die sich darum bemühen, Verbraucher:innen transparent über die Umweltwirkung von Produkten zu informieren – beispielsweise mittels wissenschaftlich fundierter, LCA-basierter Umwelt-Label. Diese würden dadurch nicht obsolet, aber aufgrund des hohen Aufwandes, der mit ihnen verbunden ist, weniger attraktiv und damit weniger wahrscheinlich.

Echter Produktvergleich statt Marketing und Greenwashing

Eine Frau steht in einer Drogerie vor einem Kosmetikregal.
Mehr Vergleichbarkeit der Produkte für Käufer:innen © Traimak Ivan / iStock / GettyImages

Bestes Beispiel sind die weit verbreiteten, offset-basierten „klimaneutral“-Label, die auf dem Kauf von CO2-Zertifkaten beruhen. Diese geben keine Auskunft darüber, wie umweltfreundlich oder -schädlich ein Produkt tatsächlich ist, sondern einzig das Versprechen, dass die vom Hersteller errechneten CO2-Emissionen durch den Kauf von Zertifikaten aus Klimaprojekten bilanziell ausgeglichen werden.

Die Grundregeln des Klimaschutzes – erst vermeiden und reduzieren, dann kompensieren – werden dadurch sogar vollständig ausgeblendet. Mit offset-basierten Umweltlabeln, insbesondere dann, wenn diese Praxis nicht transparent gemacht wird, betreiben Unternehmen vor allem Marketing und teilweise sogar nur Greenwashing. Sie geben den Konsument:innen ein (falsches) gutes Gefühl, ermöglichen es ihnen jedoch nicht, Produkte miteinander zu vergleichen und eine bewusste Entscheidung für das Produkt mit der besseren Ökobilanz zu treffen.

Rechtliche Regulierung der Umwelt-Label auf EU-Ebene

Bislang fehlte eine rechtliche Regulierung in Europa und Deutschland für Umwelt- und Nachhaltigkeits-Label. In diesem Vakuum entstand ein für die Konsument:innen unübersichtlicher Label-Dschungel. Dieser Praxis will die EU nun mit zwei Direktiven –einen Riegel vorschieben. Die Direktive „Empowering Consumer for the Green Transition“ ist bereits in Kraft. Der „Green Claims Direktive“, die Umweltaussagen noch weiter regulieren sollte, droht aktuell der Rückzug.

Wenn Unternehmen künftig grüne Umweltaussagen treffen wollen, müssen sie ihre Produkte ganzheitlich und mittels wissenschaftlich anerkannter Methoden bewertet lassen; zudem muss jedes neuartign Label vor seiner Einführung geprüft und freigegeben werden.

Erste Umwelt-Label bereits auf Produkten

Eines der ersten Umweltlabel im Lebensmittelbereich ist der Planet Score, der von einer Vielzahl von Umwelt- und Verbraucherverbänden in Frankreich entwickelt wurde. Neben einer übersichtlichen Gesamtbewertung gibt er auch Auskunft über den Einsatz von Pestiziden und die Auswirkungen auf Biodiversität und Klima. Neben dem ökobilanziellen Ansatz werden weitere Faktoren im Rahmen eines Bonus-Malus-Systems berücksichtigt.

Mitte 2025 kommt außerdem der EcoBeautyScore für Kosmetikprodukte auf den Markt. Auf einer fünfstufigen Skala bewertet er verschiedene Kosmetikprodukte innerhalb eines Segments. So werden beispielsweise verschiedene Shampoos zueinander ins Verhältnis gesetzt und bewertet mit dem Ziel nachhaltigere Optionen kenntlich zu machen.

Die EU-Direktive sieht vor, dass standardisierte und anerkannte Methoden – wie der ökobilanzielle Ansatz der Product Environment Footprint (PEF)-Methodik – verwendet werden, die die Umweltwirkung von Produkten für eine Vielzahl ökologischer Wirkungskategorien (zB Klimawandel, Landnutzung, Toxizität) betrachten, und zwar entlang des gesamten Lebenszyklus also von der Gewinnung benötigter Rohstoffe und Materialien über Logistik und Verarbeitung  bis hin zur Nutzung und Entsorgung bzw. Wiederverwertung des Produktes.

Der WWF erklärt, was Verbraucher:innen von den neuen Umwelt-Scores erwarten dürfen und worin (noch) ihre Grenzen liegen.

Methodisch robustere Bewertung, aber Einschränkung bei Biodiversität und Süßwasser

Erdbeeren © Kari Schnellmann
Erdbeeren © Kari Schnellmann

Chancen: Die von der Europäischen Kommission vorgeschlagene PEF-Methodik ermittelt die Umweltwirkung von Produkten für eine Vielzahl ökologischer Wirkungskategorien – nicht nur für den Klimawandel, sondern beispielsweise auch Landnutzung oder Toxizität, und zwar entlang des gesamten Lebenszyklus.

Eine solche Analyse stellt Umweltaussagen auf methodisch verlässlichere Beine, macht sie robuster und Produkte vergleichbar. Für einige alltagsrelevante Produktgruppen, etwa für Waschmittel und Molkereiprodukte, wurde die PEF-Methodik bereits spezifiziert. Andere Produktgruppen stehen noch aus.

Grenzen: Auswirkungen auf die Biodiversität und das Süßwasser können durch die PEF-Methodik und den dahinter liegenden LCA-Ansatz nur unzureichend erfasst werden, da hier kontextabhängige und mehrdimensionale Faktoren hineinspielen.

Beispiel Erdbeeren: Der wasserintensive Anbau der Früchte in einer von Trockenheit bedrohten Region muss anders bewertet werden als der in niederschlagsreichen Gegenden. Eine solche Differenzierung ist in der lebenszyklischen Betrachtung bislang nur schwer abbildbar.

„Methodisch ist der ökobilanzielle Ansatz somit ein Start, der im Bereich Klima ein Gewinn ist. In den Bereichen Biodiversität und Süßwasser stößt er allerdings an seine Grenzen und kann nur eine begrenzte Annäherung an die Umweltauswirkungen liefern. Deshalb sollten die Produktbewertung- und Kommunikation in diesen Bereichen ergänzend andere Methoden und Zertifizierungen zum Einsatz kommen“.

Paul Grot, WWF-Nachhaltigkeitsexperte

Umwelt-Scores bieten einfachen Produktvergleich, aber keine absolute Bewertung

Papierprodukte © Sean Kuma / iStock / Getty Images Plus
Papierprodukte © Sean Kuma / iStock / Getty Images Plus

Chancen: Die Ergebnisse der mehrteiligen Ökobilanzierung werden normalisiert und gewichtet und schließlich zu einem einzigen Score zusammengefasst. Dieser ist, zumal optisch aufbereitet, für Konsument:innen auf den ersten Blick verständlich.

Grenzen: Der Score bewertet ein Produkt im Verhältnis zu anderen im selben Segment, beispielsweise Gesichtspflege auf dem europäischen Markt. Er trifft jedoch keine Aussage darüber, ob ein Produkt per se „gut“ oder „schlecht“ ist.

„Wie gut ein Produkt abschneidet, hängt also immer vom Marktumfeld zum Zeitpunkt der Berechnung ab“, ordnet Grot ein. Und für die Verbraucher:innen ist nicht immer ersichtlich, wie breit das Segment gewählt und wie viele Produkte miteinander verglichen wurden.

Die Teilnahme am Bewertungsverfahren ist den Unternehmen je nach Anforderungen des Labels freigestellt, ebenso die anschließende Kennzeichnung des Produktes mit dem Ergebnis. So kann es sein, dass Unternehmen nur ihre Vorreiter-Produkte mit einem Umwelt-Score versehen, nicht aber die schlechter bewerteten.

Umwelt-Score ist Indiz für Nachhaltigkeit eines Unternehmens, aber kein Garant

Chancen: Die neuen Scores markieren eine Abkehr von der bisherigen Praxis „grüner“ Umweltaussagen wie den offset-basierten „klimaneutral“-Labels und sollten als ernsthafte Bemühungen der Unternehmen anerkannt werden. Konsument:innen werden dadurch in ihrem Informationsbedürfnis ernst genommen. Das gilt umso mehr, je mehr Produkte eines Segments gelabelt werden.

Grenzen: Durch einen A-Score allein wird beispielsweise ein Shampoo nicht zum Bestseller – für den Kunden spielen auch der Nutzen des Produktes, der Preis sowie individuelle und soziale Faktoren eine Rolle bei der Kaufentscheidung. Wollen Unternehmen ein nachhaltigeres Konsumverhalten ihrer Kund:innen bewirken, sind weitere flankierende Maßnahmen und Kundenanreize nötig. Dazu gehört auch das Ausschleichen weniger gut bewerteter und die Entwicklung nachhaltiger neuer Produkte. „Der Umwelt-Score ist ein Indiz, aber kein Garant dafür, dass ein Unternehmen eine nachhaltige Gesamtstrategie verfolgt“, betont WWF-Referent Grot.

Konsument:innen sind wichtige Partner bei der nachhaltigen Transformation von Unternehmen. Wie entschieden diese vorangetrieben wird, hängt jedoch von den Unternehmen selbst sowie von gesetzlichen Bestimmungen ab. Die EU-Direktiven „Green Claims“ (sollte sie wider Erwarten nicht zurückgezogen werden) und „Empowering Consumers“ sind wegweisende Schritte in die richtige Richtung.

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