Heike Vesper, Meeresbiologin, WWF-Direktorin und leidenschaftliche Taucherin, erzählt hier von der Faszination des Lebens unter Wasser, vom Kampf um den Schutz der Weltmeere vor Überfischung, Ausbeutung und Verschmutzung und der Bedeutung der Meere für das Überleben der Menschheit. Sie zeigt: Es ist noch nicht zu spät, um diesen einmaligen Lebensraum zu schützen. Welche Möglichkeiten gibt es, die Dinge anders zu machen? Und wie kann jeder und jede einzelne von uns durch sein Verhalten Teil dieses längst überfälligen Umdenkens sein?

Lesen Sie hier einen exklusiven Auszug aus Heike Vespers Buch

Cover Heike Vesper: "Wenn wir die Meere retten retten wir die Welt" © Rowohlt
Cover Heike Vesper: "Wenn wir die Meere retten retten wir die Welt" © Rowohlt

Für die meisten Menschen hat das Meer eine Bedeutung. Sei es Erholung, sei es Lebensunterhalt, sei es Angst, sei es Freiheit. Für mich persönlich ist es meine innere Heimat. Ich bin dort glücklicher als anderswo. Manche Menschen ziehen ihre Kraft aus dem Wald, manche fühlen sich in den Bergen zu Hause, ich ziehe meine Energie aus dem Wasser. Wenn ich meinen Blick übers Meer schweifen lasse, er ungestört bis zum Horizont wandern kann, kommt in mir ein unbeschreibliches Hochgefühl auf. Ich atme ruhiger, bewusster, kraftvoller. Ich fühle mich befreit. 

Seit einigen Jahren wird diese unbändige Freude allerdings immer häufiger durch ein dumpfes, schweres Gefühl getrübt, weil ich weiß: Hier stimmt etwas nicht. Der Anblick der Wellen täuscht eine heile Welt vor, die unter der Wasseroberfläche nicht existiert. Die Realität stimmt nicht mit unseren positiven Assoziationen überein. Der Ort, der uns bei jedem Besuch Glück, Ruhe und Euphorie verschafft, wertvolle Momente, an die wir uns Jahre später noch erinnern, ist noch nie so bedroht gewesen wie jetzt. Der Ort, der uns unendlichen Reichtum durch seine Fische schenkt, wird von uns behandelt wie eine MüllkippeDas Meer befindet sich in einer historischen Krise. Bedroht von menschgemachter Klimaerhitzung, von Übersäuerung, Plastikmüll und Überfischung. [...] 

Wir konnten uns bisher nicht vorstellen, dass wir dem Meer jemals bleibenden Schaden zufügen könnten. Wir glaubten, das Meer sei schlicht zu groß dafür. Aber dem ist nicht so. Deswegen ist es jetzt unsere Aufgabe, das Gleichgewicht wiederherzustellen. Genau dafür kämpfe ich.

Heike Vesper

Das ist doch eine Farce!

Als ich angefangen habe beim WWF zu arbeiten, gehörte es zu meiner Aufgabe, mit dem Landwirtschaftsministerium, das auch die Fischerei regelt, über Maßnahmen für eine umweltverträgliche Fischerei zu sprechen. Als ich in eine leitende Position aufrückte, übernahmen andere Referenten diese Aufgabe. Vor drei Jahren ergab es sich, dass ich mal wieder an einem dieser Gesprächstermine beim Landwirtschaftsministerium teilnahm.

Der Zufall wollte es, dass ich genau demselben Ministeriumsmitarbeiter gegenübersaß wie vor 17 Jahren. Im Laufe des Gesprächs haben wir tatsächlich dieselben Argumente ausgetauscht wie die vielen Jahre zuvor – denn wie sich herausstellte, hatte sich in der Zwischenzeit kaum etwas getan. Dieselben Argumente und Gegenargumente wie vor 17 Jahren! Wir guckten einander etwas befremdet an – uns beiden war, glaube ich, bewusst, wie unmöglich die Situation war, und ich dachte: „Das ist doch eine Farce, was wir hier machen. Ich kann doch nicht fast zwei Jahrzehnte lang über die ewig gleichen Notwendigkeiten diskutieren! Wirkungslos!“

Sehenden Auges in die Katastrophe

De facto wissen wir also seit Jahrzehnten, dass sich das Meer verändert, mittlerweile und in Zukunft sogar dramatisch – aber wir tun zu wenig, um diese Entwicklung aufzuhalten. Wir wissen, dass die Ressourcen nicht unendlich zur Verfügung stehen, wenn wir weiter so leben und wirtschaften wie bisher. Aber dennoch tun wir es. Bei all den halbherzigen Beschlüssen, die auf politischen Konferenzen gefasst wurden, bei all den Erfahrungen, die ich gemacht habe, kann ich es nicht anders sagen: Die Weltgemeinschaft hat sich dazu entschlossen, die brachialen Einschnitte in das Ökosystem Meer durch Überfischung, Verschmutzung und Erhitzung zu akzeptieren und die Katastrophe geschehen zu lassen. 

30 Prozent aller kommerziell genutzten Fischarten sind massiv überfischt, 60 Prozent befinden sich am Rande des Tragbaren – doch wir denken nur an das mit ausreichend Fisch gefüllte Eisfach im Supermarkt. Wichtige Lebensräume wie Mangroven, Seegraswiesen, Salzmarschen, die so vielen Meerestieren als Kinderstube dienen und mittlerweile bekannt sind als Kohlenstoffbinder, sind bis zu 50 Prozent zurückgegangen – wir aber bebauen weiter die Küsten und befischen sensible Lebensräume, die das nicht vertragen. Pro Stunde landen bis zu 400 Tonnen Plastikmüll im Ozean, und dennoch soll die Plastikproduktion, so die Hersteller, in den nächsten Jahren noch gesteigert werden – allen Protesten und No-Plastic-Initiativen zum Trotz.

Korallenriffe, in denen zahllose Fischarten und Schalentiere groß werden, sterben, weil die Meere zu warm werden, versauern und sich dadurch die Kalkskelette auflösen. Vor vier Jahren ist durch eine Hitzewelle im Meer fast die Hälfte des Great Barrier Reefs abgestorben, das größte von lebenden Organismen errichtete Bauwerk der Erde – und wir widmen dem Thema gerade mal zwei, drei Tage in den Nachrichten. Es gibt mittlerweile zahlreiche große Gebiete im Meer, die völlig frei von Sauerstoff sind, sogenannte Todeszonen. Sie breiten sich immer weiter aus und sind ein beängstigendes Symptom dafür, wie schlecht es dem Meer geht. Eine der größten existiert übrigens in der Ostsee, gar nicht so weit weg. Aber diese Todeszonen befinden sich ja irgendwo da unten im tiefen Wasser – wir sehen sie nicht ... 

Vaquita Mexiko © Flip Nicklin / Minden Pictures / WWF
Ein gefangener Vaquita in Mexiko © Flip Nicklin / Minden Pictures / WWF

Wäre das Meer ein Mensch, müsste es dringend ins Krankenhaus, und zwar auf die Intensivstation, weil alle Organe schwer angegriffen sind. Wie lange der Patient noch durchhält? Schwer zu sagen. Ich werde oft gefragt, wann der Point of no Return wohl erreicht sein wird. Diese Frage ist allerdings sehr schwer zu beantworten, weil es so ein komplexes System ist. Wie wenig Fisch kann das Meer vertragen? Wie viele abgestorbene Korallenriffe kann es verkraften? Wie warm darf das Wasser werden?

Im Meer hängt alles miteinander zusammen – allein schon durch die Strömungen: Unter Wasser ist alles in Bewegung, die Fische wandern, sind mobil. Man kann den Punkt, an dem es kein Zurück mehr gibt, wissenschaftlich nicht berechnen. [...] 

Immer mehr, mehr, mehr

Wir sind also dabei, ein System zu zerstören, auf das wir existenziell angewiesen sind – es wird höchste Zeit, dass wir es retten. Das ist unsere Verantwortung. Aufzugeben, auch wenn die Lage noch so erdrückend ist, gilt nicht. Meine Grundhaltung ist es schon immer gewesen, dranzubleiben. Denn wer aufgibt, hat schon verloren. [...] 

Die meisten von uns sind mit kapitalistischen Werten groß geworden. Das Motto: Nur mehr ist gut. Mehr Geld, mehr Essen, mehr Urlaub, mehr Kleidung, ein größeres Haus, ein schnelleres Auto, vielleicht sogar zwei oder drei Autos. Das alles bitte möglichst billig. Oder so teuer, dass es jeder bemerkt. 

Wie bekommen wir es hin, dass wir es als einen Mehrwert und Zugewinn empfinden, weniger zu wollen und damit schließlich auch etwas Gutes für die Umwelt, für das Meer zu tun? Indem wir begreifen, dass Meeresschutz schon bei jedem Einzelnen zu Hause anfängt. 

Jetzt sind Sie dran

Was jede:r von uns selbst tun kann, wird im Buch unter der Rubrik „Ich hoch Wir“ erklärt. Hier finden Sie einige der hilfreichen Tipps:

  • Eine gute Maßnahme, selbst mit anzupacken, sind Aufräumaktionen am Strand und an Flussufern. Sogenannte Coastal Clean Ups werden weltweit von etlichen Verbänden, Vereinen oder auch kleinen privaten Initiativen organisiert.  
  • Um sich gegen die Überfischung zu stellen, ist es das Beste, Fisch als begrenzte Ressource und daher als Delikatesse anzusehen. Wer es schafft, nur einmal die Woche Fisch zu essen, würde seinen jährlichen Verrauch auf sieben Kilogramm senken.  

  • Am meisten Landfläche geht für die Viehzucht verloren, etwa, um Soja für Tierfutter anzubauen. Weniger oder gar kein Fleisch oder Milchprodukte zu essen, trägt dazu bei, Flächen und CO2-Emissionen „einzusparen”. 

  • Urlaub, den braucht jeder. Aber muss es auf dem Rücken der Umwelt sein? Ich finde nicht. Ist die Sehnsucht nach einem Schiffsurlaub trotzdem groß, sollte man den Anbieter sorgfältig aussuchen und auf ein Schiff mit umweltschonendem LNG-Treibstoff-Antrieb achten.   

  • Beim Kauf von elektronischen Geräten können wir mit Bedacht vorgehen. Bei neuen Geräten zeigt der Blaue Engel oder das Umweltzeichen EPEAT vergleichsweise unweltschonende Produkte an. Schmeißen wir weniger weg und wird mehr wiederverwertet, sinkt automatisch der Bedarf an neuen Rohstoffquellen.  

Zur Autorin

Heike Vesper © Sonja Ritter / WWF
Heike Vesper © Sonja Ritter / WWF

Heike Vesper ist Meeresbiologin und Direktorin des WWF Deutschland am Internationalen WWF-Zentrum für Meeresschutz, wo sie u. a. die Strategie des Ozean-Programms mit den Schwerpunkten internationale Meerespolitik, Erhaltung wichtiger Meereslebensräume, nachhaltige Fischerei sowie die Reduzierung von Plastikmüll verantwortet. Bereits 1999 trat sie dem marinen Team des WWF Deutschland bei, dort initiierte sie u. a. den Fischereimarktansatz, um nachhaltige Fischerei in europäischen Meeren zu etablieren. Heike Vesper lebt mit ihrer Familie in Hamburg. 

Das Buch entstand gemeinsam mit Janina Jetten. Sie lebt und arbeitet als freiberufliche Autorin und Ghostwriterin in Hamburg. Zuvor war sie acht Jahre stellvertretende Chefredakteurin von PetraBella und Mädchen. Als Redakteurin hat sie außerdem für das TV-Format Beckmann, für die Gala, die Hamburger Morgenpost sowie für TV Hören und Sehen gearbeitet. 

Das Buch ist am 16.02.2021 mit 256 Seiten als Taschenbuch im Rowohlt-Verlag erschienen. 

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