Ob die neue EU-Verordnung zum Stopp der von der EU verursachten globalen Entwaldung wirklich einen historischen Meilenstein zum Schutz der Natur weltweit darstellen oder voller Schlupflöcher sein wird, hängt von vielen Detailfragen mit großer Wirkung ab.
Der internationale Handel der EU steht auf dem zweiten Platz der globalen Waldzerstörer. Als Folge der Zerstörung leidet die Biodiversität und Kohlendioxid wird freigesetzt. Der internationale EU-Handel sowie unser hoher Konsum an Rohstoffen und deren Produkte sorgen dafür, dass die Wälder und weitere natürliche Ökosysteme in landwirtschaftliche Nutzflächen umgewandelt werden. Jetzt kann eine neue EU-Verordnung die dringend nötige Wende bringen. Dafür macht sich der WWF seit Jahren stark.
Es war ein zähes Ringen, aber es ist vollbracht: Die neue EU-Gesetzgebung kann ein historischer Meilenstein zum Stopp der von der EU verantworteten globalen Entwaldung werden. Damit die EU-Verordnung wirklich Geschichte schreibt, kämpft der WWF mit vielen Verbündeten zusammen. Die Forderung: ein starkes Gesetz, das weitreichend greift und wirksam umgesetzt wird.
Die Europäische Union (EU) und die Waldgebiete sind weltweit eng miteinander verbunden: ökonomisch, ökologisch und sozial – sind die Wälder und waldnahen Ökosysteme doch Lebensraum für viele indigene Völker, lokale Gemeinschaften sowie für Tier-, Pflanzen- und Pilzarten. Auch wir als EU-Bürger brauchen den Wald als Klimaregulator, als Süßwasserspeicher, als Lebens- sowie Erholungsraum. Zugleich ist er für uns forst- und landwirtschaftlicher Produktionsraum: Der Wald liefert uns nicht nur die Ressource Holz als Rohstoff, sondern auch neue Agrarflächen. Denn der EU-Markt steht – hinter China und vor Indien und den USA – auf dem zweiten Platz der mit dem internationalen Handel verbundenen Waldzerstörung.
Die (über)-lebenswichtigen Funktionen des Waldes setzen die volle Funktionsfähigkeit des Ökosystems Wald voraus. Wer meint, diese enge Verbundenheit, gar Abhängigkeit der EU gegenüber den Wäldern mündet in eine Achtung vor dem Wald, der irrt. Leider! In den Entwaldungsgebieten wird der Wald weiterhin rasant durch die industrielle Landwirtschaft umgewandelt – überwiegend, um Futtermittel für die Hochkonsumländer herzustellen. Also für uns! Denn in den letzten Jahrzehnten fand global keine adäquate ökologische, ökonomische und sozial nachhaltige Landnutzung statt. In den Jahren 2005 bis 2017 verursachten EU-Importe eine Abholzung von 3,5 Millionen Hektar. Das entspricht einem Drittel der gesamten Waldfläche Deutschlands. Der CO2-Ausstoß der Importe betrug 1,807 Millionen Tonnen.
Schockierende Zahlen, die – so scheint es – endlich auch von der EU aufgenommen wurden. Denn erstmals werden neue gesetzliche Verpflichtungen zum Stopp der von der EU verantworteten globalen Entwaldung zur Reduktion des durch unseren Konsum angerichteten Schadens ermöglicht. Die Grundlage dafür haben unter anderem über 1,2 Millionen Bürger:innen und fast 200 NGOs gelegt, als sie sich im Herbst 2019 in einer öffentlichen Anhörung, einer sogenannten Public Consultation, für eine starke EU-Gesetzgebung eingesetzt haben. Die zweiterfolgreichste Konsultation in der Geschichte der EU und die erfolgreichste im umweltpolitischen Kontext! Daraufhin hat die Europäische Kommission im November 2021 ihren Gesetzesvorschlag vorgelegt, der den Weg für die neue EU-Verordnung geebnet hat und als solcher ein Meilenstein für den Naturschutz werden könnte.
Fragen und Antworten – Hintergrund der neuen EU-Verordnung
Noch ist die EU-Verordnung nicht in Kraft getreten. Folgende Etappen wurden bisher gemeistert:
- Den Startschuss gab die Europäische Kommission. Diese forderte mit ihrem Gesetzesvorschlag am 17.11.2021 neue Regeln zum Stopp der von der EU verantworteten globalen Entwaldung. Würden diese Regeln in die neue EU-Gesetzgebung einfließen, wäre das ein großer Schritt in Richtung Waldschutz.
- Rückschritt: Diesen Vorschlag jedoch schwächte am 28.06.2022 der EU-Umweltrat ab und legte einen eigenen Vorschlag vor.
- Erneute Stärkung: Am 13.09.2022 legte das EU-Parlament mit ihrer Beschlussfassung nach, indem es der Vorlage der Europäischen Kommission in wesentlichen Punkten folgte, sie erweiterte und ihren Vorschlag des Gesetzestextes verabschiedete.
- Erfolg: Das Europäische Parlament, die EU-Kommission und der Rat haben sich am 6. Dezember 2022 über eine EU-Verordnung zu entwaldungsfreien Produkten und Lieferketten geeinigt.
Gemessen am Durchschnitt für neue EU-Verordnungen liefen die Prozesse in diesem Fall erstaunlich schnell und in Teilen parallel in den beteiligten EU-Organen ab. So fand die Beschlussfassung von EU-Umweltrat und EU-Parlament innerhalb weniger Wochen statt: Ende Juni die des Rates und Mitte September die des Parlaments.
Status quo und Ausblick?Der Trilog zur Verordnung ist abgeschlossen. Es wurden die drei Positionen in Form von drei beschlossenen Papieren verhandelt: der Vorschlag der Kommission, die Position des Umweltrates und die Position des EU-Parlaments. Der Trilog-Prozess konnte jetzt mit der Einigung auf einen gemeinsamen Verordnungstext unter der derzeitigen EU-Ratspräsidentschaft der Tschechischen Republik beendet werden.
Neue EU-Verordnung: Meilenstein oder Papiertiger?
Der globale Waldschutz hängt an der Definition von Wald, Entwaldung und Waldschädigung
Aktuell ist nur die Umwandlung von Wald in eine landwirtschaftliche Nutzung als Entwaldung definiert. Die Waldschädigung im Sinne der Degradierung des Waldes mit dem Verlust von wichtigen Serviceleistungen ist bisher noch schwächer definiert.
Beim Thema Entwaldung stellen sich die folgenden zwei Fragen: Wann ist ein Wald ein Wald? Wann ist er es nicht mehr? Eine international anerkannte Definition nach der FAO hilft bei der Bestimmung, was ein Wald ist, weiter: Ein Wald ist ein Stück Land mit einer Fläche von mindestens 0,5 Hektar, bei der mehr als 10 Prozent des Bodens von Baumkronen überschirmt ist. Die Bäume müssen eine Höhe von mindestens fünf Metern erreichen können. Baumarme Flächen oder Buschland, das keine Höhe von 5 Meter erreicht, werden als „andere gehölzbestandene Flächen“ definiert und sind kein Wald. Der EU-Rat will die Entwaldung von Wald zu Buschland nicht als Entwaldung akzeptieren!
Waldschädigung hingegen wird mit Degradierung gleichgesetzt. Dürfen die letzten Primärwälder weiterhin in Holzplantagen oder struktur- und naturferne Forste umgewandelt werden? Es sieht mit dem Schutz unserer wertvollsten Primärwälder schlecht aus. Diese für den Biodiversitäts- und Klimaschutz extrem wichtigen Wälder dürfen zwar nach dem jetzigen Verordnungstext nicht in Forstplantagen gewandelt werden. Im Umkehrschluss aber bedeutet dies, dass die unbewirtschafteten Wälder noch in die Bewirtschaftung aufgenommen werden können. Hinzu kommt, dass alle Sekundärwälder, also alle unsere Wirtschaftswälder in Deutschland und Europa, in Holzplantagen degradiert werden dürfen. Dies ist inakzeptabel. Dies bedarf einer klaren Nachbesserung!
Sowohl für den Erhalt des Waldes als auch für den Biodiversitäts- und Klimaschutz sowie die nachhaltige Holznutzung dürfte laut WWF-Forderung überhaupt kein „Wald nach der Definition der FAO“ in landwirtschaftliche Flächen oder nur gehölzbestandene Nicht-Waldflächen umgewandelt werden. Zudem sind unsere Primär- und Sekundär-Waldgesellschaften nicht weiter in ihrer Qualität zu schädigen. Dies würde innerhalb der EU nicht nur der EU-Biodiversitätsstrategie zuwiderlaufen, sondern auch dem Konzept von Lebensraumschutz über Natura2000 in Europa.
Hier wird deutlich, dass die EU die Wichtigkeit des Waldschutzes noch nicht in voller Tragweite verstanden hat. Da diese Formen von Entwaldung und Degradierung trotz des EU-Gesetzes weiter erlaubt sind, ist dies ein Schlupfloch für eine weitere Zerstörung und läuft dem Ansinnen des EU-Gesetzes zuwider.
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In Europa führt Deutschland die Rangliste der Waldzerstörer an. In Deutschland liegt der „Import von Entwaldung“ mit großem Abstand vor Italien und Spanien. Zwischen 2005 und 2017 wurden durchschnittlich jährlich 43.700 Hektar Wald für deutsche Importe vernichtet.
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Europa ist der Vizeweltmeister der Waldzerstörung. Auf diesen zweiten Platz kann die Europäische Union nicht stolz sein: 16 Prozent der mit dem internationalen Handel verbundenen globalen Entwaldung geht auf das Konto der EU – nur China liegt auf dieser Rangliste noch vor der EU.
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Im Jahr 2018 stammten 23 Prozent der EU-Einfuhren aus dem Cerrado, Südamerika. Ganze 70 Prozent des in die EU importierten Sojas, das mit Naturzerstörung in Verbindung gebracht wird, konzentrierte sich auf diese Region. Der Cerrado ist ein Mosaik aus Wald, Busch- und Grasland. Das arten- und kohlenstoffreiche, natürliche Busch- und Grasland ist bisher in der Verordnung nicht erhalten.
Die EU-Verordnung muss mehr als Wald schützen
Die erzielte Einigung der EU klammert allerdings andere Ökosysteme neben dem Wald bisher aus. „Ein starker Wermutstropfen“, erklärt dazu Dr. Susanne Winter, WWF Programmleiterin Wald. „Da die Verordnung noch nicht alle wertvollen Ökosysteme vor der Naturzerstörung durch den EU-Konsum und -handel schützt, ist zu befürchten, dass statt der Waldgebiete noch stärker als schon jetzt andere natürliche Ökosysteme durch unseren Konsum zerstört werden. So laufen beispielsweise Ökosysteme wie Grasland und Feuchtgebiete im Cerrado oder Pantanal Gefahr, weiter zerstört zu werden und das sogar noch verstärkt.“
Eine wirklich umfassend wirksame EU-Verordnung muss nach Ansicht der WWF-Expert:innen im Wesentlichen noch mindestens die folgenden Punkte komplettieren:
- Umfassende Definitionen von Entwaldung und Waldschädigung, die eine Umwandlung der Wälder in struktur- und biodiversitätsarme Forste und Holzplantagen und nur locker gehölzbestandene Flächen, die kein Wald sind, verhindert.
- Umfassender Schutz von Wäldern und darüber hinaus von anderen natürlichen Ökosystemen wie Gras- und Buschland und Feuchtgebieten: Denn diese Ökosysteme gehen in einem alarmierenden Tempo verloren. Hier entscheidet sich zusammen mit dem Wald der Fortbestand der biologischen Vielfalt und der natürlichen Kohlenstoffspeicherung.
- Die Integration aller relevanten Produkte und Waren, die mit Naturzerstörung in Verbindung stehen – einschließlich des Finanzsektors.
- Die Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen: Die Gesetzgebung muss eindeutige Bestimmungen zum Schutz der Rechte indigener Völker und lokaler Gemeinschaften, zur Wahrung gewohnheitsrechtlicher Eigentumsrechte und zur Gewährleistung der freien, vorherigen und informierten Zustimmung (FPIC) enthalten.
- Eine umfassende Sorgfaltspflicht, unabhängig davon, aus welchen Ländern Unternehmen ihre Produkte beziehen, und diese muss für Unternehmen jeder Größe gelten.
- Eine öffentliche Transparenz bei Produktinformationen sowie bei Kontrollen innerhalb aller EU-Mitgliedsländer, damit eine Umsetzung der Rechtsvorschriften effektiv ist. Die Umsetzung funktioniert nur, wenn die Strafen verhältnismäßig und insbesondere auch abschreckend sind.
Welche potenzielle Wirksamkeit hat die EU-Verordnung?
Diese Frage ist abhängig davon, wie die gesetzlichen Verpflichtungen umgesetzt werden. „Noch sind im Verordnungstext deutliche Schwachstellen enthalten. Diese sollen in den nächsten zwei Jahren nochmals verhandelt werden. So sollen bereits in zwölf Monaten die waldähnlichen Ökosysteme und in 24 Monaten die darüberhinausgehenden Ökosysteme und der Finanzsektor nochmals für ihre Aufnahme in den Gesetzestext begutachtet werden“, erklärt Thorsten Steuerwald, Leiter des Themenschwerpunktes „Schutz der Wälder“ und Senior Campaigning Strategist des WWF. „Alles wird darauf ankommen, ob die vom WWF und der NGO-Koalition geforderten Punkte es dann hinein schaffen. Sollte dem so sein, wäre es ein großer Schritt für den Naturschutz und ein starker Hebel, um unsere Naturschädigungen zu reduzieren." Eine starke EU-Verordnung, die untersagt, Rohstoffe und Produkte einzuführen, die mit Entwaldung, Degradierung und Umwandlung von Wald sowie anderen Ökosystem oder Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang stehen, wäre ein Bollwerk für die Artenvielfalt und den Klimaschutz.
- Die Nahrungskette der Entwaldung
- Fronten der Entwaldung