Bei den Lieferketten für Konsumprodukte muss vieles besser werden: für den Schutz des Klimas, die biologische Vielfalt, indigene Völker – und für uns und den Wald.

Auf der einen Seite: Konsum von Lebensmitteln, Holz und anderen Produkten. Auf der anderen: Menschenrechtsverletzungen und Zerstörung von Regenwäldern und weiteren wichtigen Ökosystemen. Beide Seiten sind eng miteinander verbunden. Für Konsumenten ist es beim Einkauf kaum möglich bis schlicht unmöglich, in Erfahrung zu bringen, welche Produkte welche indirekten Folgen am anderen Ende der Welt nach sich ziehen. Eine Lösung: transparente und verantwortungsvoll gestaltete globale Lieferketten. Diese könnten gewährleisten, dass keine Produkte, die Naturzerstörung oder Menschenrechtsverletzungen bedingen, in die EU importiert oder dort gehandelt werden – und damit am Ende der Nahrungskette den Schutz von Natur und Menschenrechten durch gesetzlich regulierten nachhaltigen Handel und Konsum fördern. Der WWF engagiert sich dafür nicht nur auf politischer Ebene in der EU, sondern auch am anderen Ende, also am Anfang der globalen Lieferketten: Bei Kooperationen mit indigenen und lokalen Produzent:innen können soziale wie ökologische Belange Hand in Hand gehen. Hierfür brauchen wir strikte EU-Vorgaben. Die EU-Verordnung gegen Entwaldung und Walddegradierung ist der Schritt in die richtige Richtung.

90 Prozent der globalen Entwaldung durch Landwirtschaft

Luftbild auf ein direkt an natürliche Landschaft grenzendes Sojafeld © Adriano Gambarini / WWF-Brazil
Luftbild auf ein direkt an natürliche Landschaft grenzendes Sojafeld © Adriano Gambarini / WWF-Brazil

Wer sich mit dem Klimawandel und der Biodiversitätskrise sowie der eigenen Ernährung auseinandersetzt, kann sich schnell erschließen, wie eng diese drei Themen miteinander zusammenhängen. Die Ausweitung von landwirtschaftlichen Flächen bleibt laut des kürzlich veröffentlichten WWF-Berichts „Stepping up: The continuing impact of EU consumption on nature“ die größte Bedrohung für Wälder und andere natürliche Ökosysteme. Die FAO sieht die Landwirtschaft für 90 Prozent der globalen Entwaldung in der Verantwortung. Vor allem der weltweit steigende Fleischkonsum beansprucht die begrenzten Ressourcen der Erde viel zu stark. Er befeuert mit 17 bis 32 Prozent der globalen Treibhausgas-Emissionen gleichzeitig auch den Klimawandel. Nicht nur für die Etablierung von Weideflächen, sondern vor allem für den Anbau enormer Mengen Soja, das dann global als Tierfutter für die konventionelle Tierproduktion genutzt wird, holzen Menschen den Regenwald und riesige Flächen angrenzender Savannengebiete wie den Cerrado in Brasilien ab. Obwohl Wald und Savanne wichtige Kohlenstoffspeicher und Vielfaltsgaranten sind, werden sie weiterhin in industrielle Landflächen umgewandelt. 70 Prozent des Umwandlungsfußabdrucks der EU sind direkt mit der dortigen Sojaproduktion verbunden.

„Bei vielen Produkten bleibt selbst für umweltbewusste Käufer:innen völlig im Dunkeln, ob und in welchem Maße Regenwald für ihre Einkäufe vernichtet wurde“, sagt Michelle Neuhaus, Projektmanagerin für Südamerika des WWF Deutschland, die sich unter anderem entwaldungsfreien Lieferketten und dem nachhaltigen Anbau von Rohstoffen widmet. Klar ist aber, dass Verbraucher:innen nicht der Hebel sind, um das System zu ändern. Hierfür bedarf es gesetzlicher Regularien. Die Politik muss dafür sorgen, dass Menschenrechtsverletzungen und Naturzerstörung nicht in die heimischen Ladenregale gelangen. Nicht nur tierische Produkte stehen häufig mit Entwaldung und Naturzerstörung in Verbindung, sondern auch Produkte mit Palmöl, wie Fertigpizza, Waschmittel oder Schokoaufstrich, Holzprodukte, aber auch Kakao und Kaffee treiben die Abholzung deutlich voran.

Laut Daten der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen von 2020 werden jährlich mehr als zehn Millionen Hektar Wald in Agrarflächen wie Acker- und Weideland umgewandelt, der größte Teil davon in den Tropen. Das entspricht in etwa der gesamten Waldfläche Deutschlands, die jährlich verlorengeht. Die Agrarrohstoffe, die diese Landnutzungsänderungen und Degradierung vorantreiben, werden international gehandelt. Hochkonsumländer wie Deutschland und die gesamte EU haben nach China die größte Verantwortung für diese Zerstörung.

Mehr als man sehen kann

Sojalieferkette 2020. Illustration: Dworak & Kornmesser OHG / @WWF
Illustration: So funktioniert die Soja-Lieferkette 2020 © Dworak & Kornmesser OHG / WWF

Die globalen Lieferketten unserer Waren sind häufig intransparent, unreguliert und werden entsprechend nicht auf soziale und ökologische Kriterien kontrolliert. Deshalb haben die meisten Konsument:innen mehr Regenwald auf dem Teller, als sie ahnen und wollen. Für einen ökologisch und sozial korrekten Einkauf gibt es – abgesehen vom Bio-Sektor – kaum Orientierung, denn es fehlt an Verbindlichkeiten für Marktteilnehmer, Großhändler und den Einzelhandel. Freiwillige Zertifizierungen können Hinweise geben und sorgen punktuell für die Umsetzung von umwelt- und menschenrechtlichen Minimalstandards. Ihre Vielfalt und unterschiedlichen Zielsetzungen lassen Verbraucher:innen aber häufig ohne Überblick zurück.

Gesetzlich verankerte entwaldungs- und umwandlungsfreie sowie ethische Lieferketten würden den Druck auf die weltweite Naturzerstörung deutlich reduzieren“, so Neuhaus, „und damit die Entscheidung gegen Entwaldung im Einkaufskorb von den Schultern der Endverbraucher:innen nehmen“. Die EU hat eine entsprechende Verordnung erarbeitet, die im Laufe des Jahres 2024 in Kraft tritt – allerdings mit für den Wald schmerzlichen Übergangsfristen für die Händler von 18 Monaten nach Inkrafttreten.

Der WWF engagiert sich für eine Etablierung solcher Lieferketten auf zwei Ebenen: politisch, mit Blick auf eine konsequente Gesetzgebung, und mit Projekten, die ganz am Anfang der Lieferkette ansetzen, bei den Produzent:innen – und dabei ökologische und soziale Anliegen zusammenbringen. Eine Studie des WWF, im Auftrag des BMZ und gefördert durch die GIZ, zeigt auf, wie entwaldungs- und umwandlungsfreie Lieferketten am Beispiel Soja aus der bedrohten Savannenlandschaft Cerrado funktionieren können. Sie benennt aber auch verschiedene Barrieren, die auf dem Weg dorthin zu überwinden sind: In den Importländern müssen rechtliche Rahmenbedingungen entsprechend angepasst werden; Landwirt:innen benötigen ökonomische Anreize, nachhaltiger zu wirtschaften; Verpflichtungen und Zielsetzungen müssen einheitlich und verbindlich formuliert werden; es fehlt an Transparenz in den Lieferketten und es bedarf neuer Unternehmensstrategien. Für das EU-Gesetz zum Stopp der europäisch verantworteten globalen Entwaldung und Naturzerstörung verhandelten EU-Kommission, EU-Parlament und EU-Rat im Trilog. Der WWF hat zusammen mit rund 200 anderen NGOs hierzu viele Forderungen eingebracht.

Konsum und Waldschutz schließen sich nicht aus

Agroforstsysteme ist für den Kakaoanbau optimal © WWF
Agroforstsysteme ist für den Kakaoanbau optimal © WWF

Wie der Anbau von Konsumgütern sich mit dem Schutz des Regenwalds und angrenzender Ökosysteme vereinbaren lässt, zeigt ein weiteres deutsch-ecuadorianisches WWF-BMZ-GIZ-Projekt am Beispiel Kakao. In der Provinz Napo unterstützt der WWF indigene Kooperativen, die im traditionellen Chakra-Agroforstsystem wirtschaften: Sie bauen eine Vielzahl von Nutzpflanzen an, die sich gegenseitig Nährstoffe und Schatten spenden – von Kakao bis Bananen, Yucca, Gewürzen und Hülsenfrüchten. „Dies steigert die biologische Vielfalt auf den Agrarflächen“, erläutert Neuhaus. „Dabei werden zudem alte Kakaosorten erhalten und deren Qualität gesteigert.“ Dies verbessere auch den Marktzugang für die anbauenden Kooperativen. Ein entscheidender Baustein bei alledem: Gemeinsam mit den Kooperativen realisiert der WWF ein System zur Rückverfolgbarkeit des Rohstoffs Kakao. 
 

Schutz für die Wälder, Schutz für die Einheimischen

Txai Suruí © Mboakara Uru Eu Wau Wau / WWF-Brazil
Txai Suruí © Mboakara Uru Eu Wau Wau / WWF-Brazil

„Eine oft unterschätzte, aber enorm wichtige Rolle, sowohl für den Schutz der Regenwälder als auch innerhalb globaler Lieferketten, nehmen indigene Völker ein“, sagt Konstantin Ochs, Projektmanager für Südamerika des WWF Deutschland, der sich für die Rechte traditioneller und indigener Völker einsetzt. Zum Beispiel in Brasilien: Das Land hat den größten Anteil am Amazonas-Regenwald. Insgesamt leben dort etwa 305 indigene Völker. Deren Bevölkerung umfasst über 800.000 Menschen, die 274 verschiedene Sprachen sprechen.

Ihr vielfältiges Kulturerbe ist eng mit dem Lebensraum Regenwald verknüpft. Menschen, die seit unzähligen Generationen in und von ihrer unmittelbaren Umwelt leben, haben unweigerlich nachhaltiges Wirtschaften kultiviert. Andernfalls hätten sie sich den sprichwörtlichen Ast, auf dem sie sitzen, schon längst abgesägt. So sind die Territorien indigener Völker bislang eine der wichtigsten Barrieren gegen die Abholzung unersetzbarer Regenwaldflächen: Nur 1,6 Prozent der Entwaldung zwischen 1985 und 2020 entfielen auf indigenes Land. 

Immerhin 97 Prozent der natürlichen Vegetation sind in den indigenen Gebieten der Amazonasregion noch erhalten. Aber auch dieser Bestand ist durch Wirtschaftsmaßnahmen gefährdet: Illegaler Goldabbau, Abholzung, neue Wasserkraftwerke und die Ausweitung von Land- und Viehwirtschaft werden zunehmend zur Bedrohung. Gerade unter dem brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro hatte der Druck auf indigenes Land stark zugenommen. Die Regierung hat unter seiner Ägide Gesetzesvorschläge erlassen, die bislang geschützte Gebiete künftig einer wirtschaftlichen Ausbeutung öffnen würden. Nach der Wahl Lulas besteht Hoffnung, dass diese nicht verabschiedet werden.

„Wenn indigene Aktivist:innen gegen die Ausbeutung ihrer Territorien und die Beschneidung ihrer Rechte Widerstand leisten, kann das für sie lebensgefährlich werden“, betont Ochs. „Während ihre Gebiete zunehmend bedroht werden, lassen der brasilianische Staat und andere Stellen sie im Stich.“ Deshalb unterstützt der WWF die indigene und traditionelle Bevölkerung dort mit einem weiteren Projekt im Kampf um ihr Überleben und ihr Land. Es ist das größte des WWF Deutschland in Südamerika: 30 indigene Territorien, zwei Territorien traditioneller Völker und damit insgesamt fast 50.000 Menschen werden unterstützt. Es geht darum, eine Fläche von rund 10,7 Millionen Hektar zu schützen. „Die Gebiete liegen in der größten Entwaldungsfront der Erde“, so Ochs. „Neben den bereits bestehenden Schutzgebieten sind das die letzten großen, relativ intakten zusammenhängenden Waldlandschaften, die sich der Abholzung entgegenstemmen.

Entlang der Lebensadern

Paranuss-Ernte © Adriano Gambarini / WWF Living Amazon Initiative
Paranuss-Ernte © Adriano Gambarini / WWF Living Amazon Initiative

Die Lebensadern der indigenen Gemeinschaften im Amazonasgebiet sind Flüsse und Bäche. Fische zählen zu deren wichtigsten Grundlagen. Eine der Bedrohungen für dieses Leben ist der Goldabbau. Um das Edelmetall aus den Sanden oder dem Gestein zu lösen, wird in großem Umfang Quecksilber eingesetzt. Dieses starke Nervengift kontaminiert die Gewässer, alle Lebewesen darin – und die Menschen, die an und von den Flüssen leben. Das Gift hinterlässt auch flussabwärts der Einbringungsstelle seine tödlichen Spuren. Damit einher gehen die Ausbaggerung der Böden und die Abholzung der Wälder. In den vergangenen zehn Jahren hat sowohl die legale als auch die illegale Goldsuche im Amazonasbecken stark zugenommen. Allein die derzeit offiziell vorliegenden Goldabbauanträge betreffen rund 6,2 Millionen Hektar auf indigenem Land und in Schutzgebieten.

Der WWF arbeitet schon lange mit der Bevölkerung im Amazonasbecken zusammen. Seit 2021 wird dies im Zuge eines Projekts intensiviert, das bis Ende 2024 vier Ziele verfolgt: Erstens sollen die Territorien gegen illegale Eindringlinge geschützt werden: „Wir fördern die Ausbildung indigener Ranger:innen und unterstützen ihre Überwachungsmissionen“, erläutert Ochs. Dazu nutze man unter anderem moderne Technologie wie etwa Kameradrohnen. „Außerdem unterstützen wir sie, Vorfälle an die zuständigen Strafverfolgungsbehörden weiterzuleiten.“ Zweitens soll durch den Aufbau nachhaltiger Wertschöpfungsketten, die den Wald und die indigene Kultur in Wert setzen, die wirtschaftliche Emanzipation der Indigenen Völker gefördert werden. Dies ermöglichen etwa Waldprodukte wie die Paranuss. Der WWF unterstützt Fortbildungen, Zertifizierungen und das Erschließen neuer Märkte. 

Drittens soll die Gesundheit der Menschen im Amazonasbecken geschützt werden: „Wir fördern wissenschaftliche Untersuchungen zur Quecksilberbelastung und klären die örtliche Bevölkerung über Ursachen und gesundheitliche Folgen auf“, sagt Ochs. „Zudem entwickeln wir gemeinsam mit den Indigenen Völkern Vermeidungsstrategien, damit kein Kontakt mit dem Quecksilber erfolgt: „So werden Wasserversorgungssysteme in besonders betroffenen Gemeinden installiert.“ Der WWF schult außerdem Personal in verschiedenen Bereichen und vergrößert die verantwortlichen Teams für das öffentliche Gesundheitswesen sowie für eine bessere Strafverfolgung des illegalen Goldabbaus. Das vierte Ziel ist die Erhöhung einer politischen Beteiligung. Ein erster Schritt ist die Vernetzung der indigenen und traditionellen Völker im Projektgebiet. Lokale zivilgesellschaftliche Organisationen werden vom WWF bei der Öffentlichkeitsarbeit gefördert. Hinzu kommen Angebote zur Rechtsberatung und Maßnahmen, die Aktivist:innen vor physischen Angriffen und Rufmord schützen sollen.
 
Mit diesem umfassenden Ansatz beschreitet der WWF Deutschland neue Wege. Entscheidend für den Erfolg ist die Kooperation mit lokalen zivilgesellschaftlichen Partnerorganisationen wie Kanindé, CPI-Acre oder Projeto Saude e Alegria, die sich schon seit über 30 Jahren für die Rechte der Indigenen Völker in Amazonien einsetzen. Hinzu kommen Dachorganisationen der Indigenen Völker Brasiliens wie APIB und COIAB. Sie haben sich überregional miteinander vernetzt, um ihre Position auf nationaler Ebene gegenüber der Regierung und Konzernen zu stärken. Aus früher vereinzelten Stimmen in den verschiedenen Regionen ist so eine abgestimmte Interessenvertretung geworden. „Diese Kooperationen“, so Ochs, „stärken uns auf dem Weg zu gemeinsamen Zielen: den Regenwald und andere wichtige Ökosysteme als elementare Naturressource sowie als Lebensgrundlage zu erhalten, die sozialen und ökonomischen Rechte der indigenen Völker zu schützen und globale Lieferketten zu schaffen, die nachhaltig, fair und transparent sind.“ 

Ohne eine Konsumreduktion in den Hochkonsumländern wird dies aber nicht gehen. So zeigen Daten von OECD-FAO einen zusätzlichen Bedarf von mindestens 7,8 Millionen Hektar an neuem Land allein für die Sojaproduktion bis 2028 auf, wenn wir so weiter konsumieren wie bisher.

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