In den letzten zehn Jahren standen vor allem China und Südostasien hinsichtlich neu auftretender Infektionskrankheiten im Mittelpunkt der weltweiten Aufmerksamkeit. Über 60 Prozent der globalen Infektionskrankheiten sind Zoonosen. Ein neues von Wissenschaftlern in Zusammenarbeit mit dem WWF entwickeltes Risiko-Raster für Zoonose-Gefahren bestätigt: Wildtiermärkte bergen ein hohes Risiko für Zoonosen.

Prinzipiell ist jede Situation, die zu einem verstärkten Kontakt zwischen Wildtieren und Menschen, zwischen Wildtieren und Nutztieren oder zwischen zuvor räumlich getrenntlebenden Wildtierarten führt, als ein zoonotisches Risiko einzuschätzen. Zoonosen wie COVID-19 oder Ebola sind Infektionskrankheiten, die auf natürliche Weise von Wirbeltieren auf Menschen übertragen werden können und umgekehrt. In den letzten Jahrzehnten haben weitreichende Veränderungen der Umwelt, vor allem der Eingriff des Menschen in den Lebensraum von Wildtieren sowie die Zunahme des Wildtierhandels, die Ausbruchswahrscheinlichkeit von Infektionskrankheiten durch Zoonosen erhöht. In Südostasien kommen mehrere Faktoren zusammen, die die Region zu einem zoonotischen Hotspot machen.

Warum ist Südostasien ein Hotspot für neue Infektionskrankheiten?

Biodiversitäts-Hotspot tropischer Regenwald © Michèle Dépraz / WWF
Biodiversitäts-Hotspot tropischer Regenwald © Michèle Dépraz / WWF

Bevölkerungswachstum:
Die Bevölkerung Südostasiens hat sich in weniger als 40 Jahren mehr als verdreifacht. Die Bevölkerungsdichte erwies sich als signifikante Einflussgröße für neu auftretende Infektionskrankheiten.

Biodiversität:
Südostasien ist ein weltweit bedeutender Biodiversitäts-Hotspot. Allein in der Mekong-Region leben über 350 terrestrische Säugetierarten sowie etwa 1.200 Vogelarten, die potenziell als Reservoire oder Verstärker dienen, aus denen neue Infektionskrankheiten des Menschen hervorgehen könnten.

Entwaldung:
Südostasien ist durch eine massive Entwaldungsfront gekennzeichnet. Zwischen 1990 und 2010 wurde die Waldfläche Südostasiens von 268 Millionen Hektar auf 236 Millionen Hektar reduziert. Dadurch wird die Anzahl der Kontaktzonen von Menschen mit dem Wildtier-Reservoir von krankheitserregenden Keimen erhöht.

Wachsende Nachfrage nach tierischem Eiweiß:
Die Bevölkerungsentwicklung geht einher mit einer Verdoppelung des Pro-Kopf-Fleischkonsums aufgrund steigender Einkommen. Der zunehmende Wohlstand der Mittelschicht hat auch die Nachfrage nach Fleisch von Wildtieren geweckt und lockt somit mehr Wilderer in die Wälder. 

Verzehr und Handel von Wildtieren:
Wildtiere werden in der Region opportunistisch gejagt, konsumiert und gehandelt, so dass in stark bejagten Gebieten größere Säugetiere häufig völlig verschwunden sind. 

Delikatesse oder Medizin

Wildschwein verendet in einer Falle in Kambodscha © Lor Sokhoeurn / WWF-Cambodia
Wildschwein verendet in einer Falle in Kambodscha © Lor Sokhoeurn / WWF-Cambodia

Jedes Jahr werden in der Region dutzende Millionen Wildtiere regional und aus der ganzen Welt zu Nahrungszwecken oder zur Verwendung in der traditionellen Medizin gehandelt. Der Handel mit Wildtieren bedeutet eine Zunahme der Kontakte von Menschen mit Wildtieren und deren Produkte, wenn Wildarten aus ihrem natürlichen Lebensraum entfernt werden, während des Transports und schließlich auf dem Markt. Dieser verstärkte Mensch-Tier-Kontakt erhöht das Risiko der Übertragung von Krankheitserregern. Die häufigsten Arten, die auf Märkten in Südostasien angeboten werden, sind Nagetiere (Flughörnchen, Rennmäuse, Bambusratten), Fleischfresser (Zibetkatzen, Sonnendachse, Rothunde, Goldschakal, Marderhund und gelegentlich Katzen), Wildschweine, Vögel, Hirsche und Fledermäuse. Kleine Nagetiere, Fledermäuse und andere Arten wie Palmenroller, die keinen Handelsbeschränkungen für Wildtiere unterliegen, werden offen auf Märkten verkauft, wie sie in der Region zu finden sind.

Schmelztiegel für Zoonosen

Der Großteil der in Südostasien gehandelten Wildtiere ist für den menschlichen Verzehr bestimmt, sei es als Lebensmittel oder für medizinische Zwecke. In ländlichen Gegenden sind viele Gemeinden zur Ernährungssicherung noch immer auf die Jagd angewiesen, insbesondere in abgelegenen Gebieten mit hoher Mangelernährung bei Kindern. Zunehmend werden Wildtiere allerdings für den Verkauf auf städtischen Märkten gejagt. Riesige, überfüllte Märkte, auf denen Wildfleisch verkauft wird, sind besonders riskant für die Übertragung von Zoonosen. Auf Lebend-Tiermärkten wie sie in weiten Teilen Chinas und Südostasiens existieren, werden Wild- und Haustiere nebeneinander verkauft und geschlachtet. Restaurants, die Gerichte mit Wildtieren zubereiten, Wildtierfarmen sowie Online- und Straßenverkäufe sind ebenfalls potenzielle Schmelztiegel für neue Krankheitserreger.

In den letzten Jahrzehnten wurden Wildtierfarmen als Ansatz zur Verringerung des Jagddrucks auf wildlebende Populationen, Armutsbekämpfung und Ernährungssicherung für ländliche Gemeinden gefördert. Diese Praxis steht jedoch derzeit in der Kritik, da durch solche Farmen mehr Menschen mit Wildtier-Krankheitserregern in Kontakt kommen, gegen die bisher keine Immunität besteht. Somit steigt das Risiko einer Krankheitsübertragung von infizierten Tieren auf Farmangestellte und Konsumenten, insbesondere bei niedrigen Hygiene- und Sicherheitsstandards.

Wilderei, Handel und Konsum von Wildtieren

Wildtiermarkt in Laos © E. John / TRAFFIC
Wildtiermarkt in Laos © E. John / TRAFFIC

Die nationalen Gesetze für Schutzgebiete, Jagd, Waffenbesitz, Landwirtschaft, Handel und Verzehr von Wildtieren variieren von Land zu Land. Allen gemeinsam ist, dass Wilderei, Handel und Konsum von Wildtieren oft nicht wirksam kontrolliert werden. Der Ausbruch von COVID-19 könnte diese Situation jedoch nachhaltig verändern. China hat begonnen, das Angebot von Wildfleisch einzudämmen, sei es von Farmen oder aus der Wildnis. Im Februar 2020, nur wenige Wochen nach Ausbruch der Krankheit und im krassen Widerspruch zur früheren staatlichen Politik der Förderung der Produktion von Wildfleisch, erließ China ein dauerhaftes Verbot der Zucht von Wildtieren für die Produktion von Fleisch. Im Januar 2020 erließ Vietnam ein vorübergehendes Verbot aller Wildtierimporte. Die offiziellen Leitlinien des Ministeriums für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung vom Februar nahmen jedoch Teile von Wildtieren, die zu Arzneimitteln, Parfums und anderen Artikeln verarbeitet werden, von diesem Verbot aus.

Wildtiermärkte und der legale und illegale Handel mit Wildtieren bringen potenzielle Krankheitserreger in Kontakt mit Jägern, Händlern, Transporteuren, Verbrauchern und allen an diesem Handel Beteiligten. Ein effektiver Weg, um in Südostasien ein pandemisches Risiko zu verringern, besteht darin, Chinas Beispiel zu folgen, den Verkauf von Wildtieren, insbesondere von Hochrisikoarten, vollständig zu verbieten und Handelssituationen mit hohem Risiko zu vermeiden.

Makaken auf einem indonesischen Markt © Traffic SE Asia / Chris R. Shepherd
Makaken auf einem indonesischen Markt © Traffic SE Asia / Chris R. Shepherd

Die Einstellung des illegalen und unregulierten Wildartenhandels ist dabei ebenso wichtig wie die Durchsetzung von Hygiene- und Sicherheitspraktiken auf Wildtiermärkten und in Restaurants. Regionale Netzwerke und nationale Behörden, die den Handel mit Wildtieren überwachen und geltendes Recht durchsetzen, sind jedoch stark unterfinanziert, und die Kapazitäten zur Gewährleistung von Hygiene- und Sicherheitspraktiken sind häufig begrenzt. Daher ist die Vorhersage und Identifizierung von Orten mit hohem zoonotischen Potenzial unerlässlich.

Nur durch verstärkte Strafverfolgung, Anwendung hygienischer Regeln und die Prüfung hochpathogener viraler Erreger bei Menschen und Tieren lassen sich pandemische Risiken im Keim ersticken.

Wie lassen sich Zoonosen eindämmen?

Risiko-Raster zur Bewertung von Zoonose-Gefahren

Mitarbeiter des WWF entwickelten gemeinsam mit internationalen Wissenschaftlern von zwei Universitäten in Hong Kong ein Risiko-Raster für Zoonose-Gefahren. Entstanden ist es im Rahmen einer Analyse von Wildtiermärkten in Asien, wie etwa jener in Wuhan, auf dem die ersten Corona-Fälle weltweit beobachtet wurden. Die Naturschützer analysierten mit ihrer neuen Methode gesammelte Daten von 46 Wildtier-Märkten und -Verkaufsständen in Laos und Myanmar. Das Ergebnis: Im Beobachtungszeitraum wurde an 46 Prozent der Beobachtungstage ein „hohes Risiko“ und an elf Prozent ein „mittleres Risiko“ für die Übertragung von Zoonosen festgestellt. 43 Prozent der Stichproben lieferten ein „niedriges Risiko“. Veröffentlicht wurde die Untersuchung im Juli 2021 in der renommierten Zeitschrift „One Health“.

Wildtiermarkt in Myanmar © Tom Svensson / WWF-Sweden
Wildtiermarkt in Myanmar © Tom Svensson / WWF-Sweden

„Besonders auffällig sind kleinstädtische Wildtiermärkte, auf denen der Handel von Wildtieren mit hohem Risiko scheinbar permanent stattfindet“, so Dr. Stefan Ziegler, einer der Autoren  der Studie und Asien-Referent beim WWF Deutschland. Gerade solche urbanen Räume seien problematisch, da dort ein Virensprung von einem Wildtier auf einen Menschen schnell zu einem großflächigen Krankheitsherd führen kann. Kleine dörfliche Märkte und Märkte am Straßenrand wiesen fluktuierende Risiken auf, da dort die zum Verkauf dargebotene Palette an Wildtieren am stärksten variiert.

Das neue Tool soll das öffentliche Gesundheitswesen der Länder dabei unterstützen, die Risiken schwerwiegender neu auftretender Infektionskrankheiten im Zusammenhang mit dem Wildtierhandel zu bewerten. So kann es die Entwicklung geeigneter Richtlinien und Vorschriften zur Kontrolle des Wildierhandels unterstützen. „Nur durch regelmäßige Überwachung der Wildtiermärkte und die Untersuchung auf pathogene Erreger bei Menschen und Tieren lassen sich pandemische Risiken im Keim ersticken. Ziel müsse es sein, dass Risiken im legalen Handel mit Wildtieren minimiert werden. Das von uns entwickelte Risiko-Raster kann dazu einen sinnvollen Beitrag leisten“, so Ziegler.

Der WWF und seine Partner fordern die politischen Entscheidungsträger auf:

  • Den Handel mit Wildtieren und deren Produkten nach Risikoklassen einzustufen.
  • In erster Linie den hochriskanten Handel mit Wildtieren zu beenden, insbesondere in städtischen Gebieten mit hoher Bevölkerungsdichte.
  • Verstärkte Anstrengungen zur Bekämpfung des illegalen Artenhandels umzusetzen.
  • Den legalen Handel mit Wildtieren verstärkt zu kontrollieren und verbesserte Hygienestandards flächendeckend einzuführen.
  • Anstrengungen zur Reduzierung der Nachfrage nach Produkten des Hochrisiko-Wildtierhandels zu verstärken.
  • Den mit hohem Risiko verbundenen Kauf, Verkauf, Transport und Konsum von Wildtieren auf Märkten und in Restaurants sowie auf virtuellen Marktplätzen zu verhindern.
  • Bußgelder, strafrechtliche Sanktionen und Lizenzentzugsmaßnahmen wirksam anzuwenden.
  • Gesetzeslücken zu schließen.
  • Wirksame Mechanismen zur Überwachung von Märkten und Restaurants einzuführen, um sicherzustellen, dass Risiken im Handel mit Wildtieren durch die Einhaltung von Hygienestandards, Kontrolle der gehandelten Arten usw. minimiert werden.

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  • Veterinär in Dzangha-Sanga überwacht den Zustand der Gorillas © David Santiago / WWF One Health - Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt

    Durch die Corona-Pandemie wurde die untrennbare Verbindung von Mensch, Tier und Gesundheit mehr als deutlich. Erfahren Sie mehr über das Konzept One Health. Weitere Infos