Im Juli 2021 wird Deutschland von einer Hochwasserkatastrophe getroffen. Mehr als 200 Liter fallen pro Quadratmeter. Es regnet stundenlang. Der Boden kann das Wasser nicht aufnehmen, die Flüsse schwellen an. Selbst kleine Bäche werden in Rekordgeschwindigkeit zu reißenden Strömen. Die Zerstörung ist enorm. Mehr als 150 Menschen sterben. Selten zuvor hat Deutschland die Auswirkungen der Klimakrise so deutlich zu spüren bekommen. Wir müssen handeln. Die Bundesregierung muss handeln und Hochwassergefahren verringern, den Hochwasserschutz verbessern – mit der Natur, nicht gegen sie.

Es ist richtig, dass Hochwasser natürliche Ereignisse sind. Doch der Klimawandel verschärft die Gefahr: Zum einen nimmt wärmere Luft mehr Wasserdampf auf – damit steigt die potentielle Niederschlagsmenge. Zum anderen beeinflusst die Erderhitzung den Jetstream, wodurch Wetterlagen wie Regengebiete oder Trocken- und Hitzeperioden oft länger an derselben Stelle verharren.

Vor diesem Hintergrund ist Klimaschutz ganz klar auch Hochwasserschutz. Wir müssen uns an die Klimakrise anpassen. Wir dürfen dabei aber nicht vergessen, dass mit der Anpassung nur die Symptome behandelt werden, nicht die eigentliche Ursache: die Erderhitzung. Ohne ambitionierten und mutigen Klimaschutz wird Anpassung irgendwann nicht mehr leistbar.

Aktuelle Studie bestätigt Klimakrise als Ursache

Im August 2021 veröffentlichte ein internationales Team von Wissenschaftler:innen unter anderem des Deutschen Wetterdiensts (DWD) eine Studie, die zu dem Ergebnis kommt, dass die Klimakrise die Wahrscheinlichkeit extremer Regenfälle und damit von Hochwasserkatastrophen erhöht.

„Leider haben wir nun noch einmal schwarz auf weiß, dass extreme Regenfälle wie im Juli 2021 in Deutschland durch die Klimakrise wahrscheinlicher geworden sind. Es wäre verheerend, wenn auf die Fakten und Warnungen der Wissenschaften seitens der Politik noch länger nur Trost-Pflaster verteilt werden. Fieber lässt sich so nicht senken. Die nächste Legislaturperiode wird zweifelsohne entscheidend sein für den deutschen Beitrag zur Eindämmung der Klimakrise: In den nächsten Jahren müssen wir den Klimaschutz entschlossen voranbringen, um unsere Lebensgrundlagen zu bewahren und die Häufigkeit solcher Katastrophen so gut wie möglich zu verringern.“ Erklärt Viviane Raddatz, Leiterin Klimaschutz und Energiepolitik beim WWF Deutschland.

Hochwasserschutz setzt bei der Landschaft an

Industrieanlage im Hochwasser / Chiemgau © Melanie Haft / Nautilus-Film
Industrieanlage im Hochwasser / Chiemgau © Melanie Haft / Nautilus-Film

Auch andere menschengemachte Faktoren verschärfen die Hochwassergefahr: Menschen nehmen den Flüssen ihre natürlichen Überflutungsflächen, Menschen begradigen Flüsse und beschleunigen damit den Abfluss des Wassers. Zusätzlich sorgen Veränderungen in der Landschaft dafür, dass weniger Wasser zurückgehalten werden kann. Beispiele gibt es viele: In der Landwirtschaft wird zunehmend mit schwerem Gerät gearbeitet, der Boden wird verdichtet und kann so weniger Wasser aufnehmen. Wälder werden degradiert, die Bäume und der Boden nehmen weniger Wasser auf, es fließt schneller ab. Moore und Feuchtgebiete, die Wasser aufnehmen und zurückhalten, werden trockengelegt. Dabei ist längst bekannt, dass Hochwasserschutz auch beim Wasserhaushalt der Landschaft ansetzen muss.

„Wir müssen entlang von Flüssen den Hochwasserschutz in die Land- und Gewässernutzung integrieren. Naturschutz, Gewässerschutz und Hochwasserschutz müssen sich dabei ergänzen. Eine Landschaft, die auf Höchsterträge und schnellen Abfluss getrimmt ist, verfehlt wesentliche Ziele des Gemeinwohls – sie gefährdet Menschen sogar.“

Forderung des WWF Deutschland zum Hochwasserschutz

Der WWF ruft die Bundesregierung zum Handeln auf

Hochwasserschutz ist in erster Linie Ländersache. Die Länder stellen bis zum Ende des Jahres 2021 ihre Hochwasserrisiko-Managementpläne für die nächsten sechs Jahre fertig. Dennoch ist auch der Bund – und insbesondere die künftige Bundesregierung – gefordert: Rahmenbedingungen müssen verbessert werden, die länderübergreifende Zusammenarbeit muss gefördert werden und die guten Ansätze des Nationalen Hochwasserprogramms müssen fortgesetzt werden.  

Der WWF sieht fünf große Faktoren, mit denen der Hochwasserschutz in Deutschland im Einklang mit der Natur vorangebracht werden kann.

Die Forderungen für mehr Hochwasserschutz in der Klimakrise:

1. Natürliche Überschwemmungsgebiete an Flüssen wiederherstellen

Überflutete Auenwälder an der mittleren Elbe © Bernd Eichhorn / WWF
Überflutete Auenwälder an der mittleren Elbe © Bernd Eichhorn / WWF

Nur noch ein Drittel der einstigen Überschwemmungsflächen an großen Flüssen können heute überflutet werden. Dabei gibt es hierzulande viel Potential, Flüsse wieder an Auenflächen anzubinden und diese als natürliche Rückhalteräume zu nutzen. Laut Auenzustandsbericht des Bundesamtes für Naturschutz könnten mehrere 10.000 Hektar Auen wieder angeschlossen werden. In den vergangenen zehn Jahren wurden erst etwa rund 4.000 Hektar reaktiviert.

WWF-Forderungen an die Bundesregierung: Überschwemmungsgebiete
  • Projekte des Nationalen Hochwasserprogramms zügig umsetzen
  • Deiche rückverlegen und so naturnahen Hochwasserschutz im Nationalen Hochwasserschutzprogramm stärken und dessen Finanzierung sichern
  • Bundesprogramm „Blaues Band“ fortführen und Budget für Auenprojekte sichern
  • Potentielle Rückdeichungsgebiete in einem länderübergreifenden Bundesraumordnungsplan für den Hochwasserschutz sichern

2. Natur- und hochwasserverträgliche Schifffahrt auf Bundeswasserstraßen

Containerschiff an der Unterelbe © Sabine Vielmo
Containerschiff an der Unterelbe © Sabine Vielmo

Für die Schifffahrt werden Flüsse ausgebaut und begradigt, Schleifen komplett vom Fluss abgeschnitten. Auf diese Weise konzentrieren sich die Wassermassen auf die Fahrrinne. In der Folge fließt das Wasser deutlich schneller ab und gleichzeitig werden Rückhalteräume verkleinert. Bei Hochwasser führt dies zu höheren Wasserständen. In Deutschland sind alle großen Flüsse als Bundeswasserstraßen für die Schifffahrt ausgebaut – mit erheblichen negativen Folgen für die Natur und den Hochwasserschutz. Wir müssen jetzt damit beginnen, Flüsse und Auen zu renaturieren.  

WWF-Forderungen an die Bundesregierung: Schifffahrt
  • Auf den weiteren Ausbau von Flüssen für die Schifffahrt auf Kosten von Natur- und Hochwasserschutz verzichten
  • Die Regierungsvereinbarungen mit Polen zum Ausbau der Oder und mit Tschechien zur Schiffbarkeit der Elbe revidieren 

3. Gewässerschutz und Hochwasserschutz verknüpfen

Ammerschlucht © Sylvia Becker / WWF
Ammerschlucht © Sylvia Becker / WWF

Wir müssen die naturnahe Entwicklung von Gewässern als Beitrag zum Hochwasserschutz voranbringen. Dazu gehört, Altarme und andere Laufverlängerungen wieder an die Flüsse anzubinden und den Abflussquerschnitt der Flüsse wieder zu verbreitern. Wir müssen den Flüssen wieder erlauben, über die Ufer zu treten. Dazu müssen wir ihnen Überflutungsflächen bereitstellen. Statt dafür zu sorgen, dass das Wasser schnellstmöglich abfließt, müssen wir den Abfluss verlangsamen und dafür sorgen, dass das Wasser stetig abfließen und versickern kann.

WWF-Forderungen an die Bundesregierung: Gewässer
  • Fördermöglichkeiten für naturnahe Gewässerentwicklung im Rahmen der Biodiversitätsstrategie erhalten und ausbauen 
  • Die Renaturierung von Flüssen, Auen und Feuchtgebieten zu einem Schwerpunkt der nationalen Biodiversitätsstrategie machen  
  • Sofort verbindliche Vorgaben zur Berücksichtigung von Klimaanpassung und Hochwasserschutz in den Wasserrahmenrichtlinie-Bewirtschaftungsplänen schaffen 
  • Gemeinsam mit den Ländern eine nationale Gewässerschutzinitiative für eine fristgerechte Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie schaffen 
  • Flächen für Gewässerentwicklungskorridore sichern 

4. Landnutzung anpassen, Wasserrückhalt und Abflussminderung fördern

Nationalpark Bayerischer Wald © WWF
Nationalpark Bayerischer Wald © WWF

Dort wo Hochwasser entstehen kann, muss das Wasser dezentral zurückgehalten werden können: im Boden und in den Wäldern. Das ist eine Aufgabe, bei der Land- und Forstwirtschaft sowie Gewässerunterhaltung zusammenarbeiten müssen. Wasser muss auf landwirtschaftlichen Flächen versickern können, Moore und ehemalige Feuchtgebiete sind ideale Wasserspeicher, die reaktiviert werden sollten. Auch Wälder schützen vor Hochwasser, wir müssen also dringend daran arbeiten, Wälder zu mehren und aufzuwerten statt sie zu degradieren.

WWF-Forderungen an die Bundesregierung: Landnutzung
  • Hochwasserentstehungsgebiete verbindlich ausweisen
  • Im Kontext der kommenden Nationalen Wasserstrategie die Wiederherstellung des naturnahen Landschaftswasserhaushalts zum Handlungsfeld machen
  • Ein bundesweites Moorschutzprogramm zur Wiederherstellung von natürlichen Mooren und Moorlandschaften auflegen
  • Länder beim Rückbau von Drainagen und Entwässerungsgräben im Wald und in der Agrarlandschaft unterstützen
  • Agrarförderung konsequent an extensiven Landnutzungsformen ausrichten.

5. Versiegelung von Flächen stoppen und Flächen entsiegeln

Hochwasser in Passau © Melanie Haft / Nautilus-Film
Hochwasser in Passau © Melanie Haft / Nautilus-Film

Versiegelte Böden können kein Wasser aufnehmen. Derzeit werden in Deutschland pro Tag 52 Hektar versiegelt. Zum Schutz der natürlichen Ressourcen und des Wasserhaushaltes hat bereits 2016 der Sachverständigenrat für Umweltfragen einen „Netto-Null“-Flächenverbrauch bis 2030 gefordert. Die Alternative zum weiteren Flächenverbrauch durch Siedlungsbau, Gewerbe und Verkehr ist eine Flächenkreislaufwirtschaft. Um dieses Ziel zu erreichen, muss gesetzlich geregelt werden wie wir künftig mit Flächen umgehen.

WWF-Forderungen an die Bundesregierung: Versiegelung
  • Auflegen eines ressortübergreifenden Aktionsplans Flächen- und Bodenschutz, um den Flächenverbrauch auf „Netto Null“ bis 2030 zu senken und eine Flächenkreislaufwirtschaft zu etablieren
  • § 13b Baugesetzbuch (BauGB) zum „Vereinfachten Verfahren“ ohne Bebauungsplan in Außenbereichen streichen 
  • Gesetzliche Meilensteine für den jährlichen Flächenverbrauch festlegen 
  • Gesetzliche Vorgaben für „Schwammstädte“ schaffen
  • Einsatz für eine EU-Bodenrahmenrichtlinie, die unter anderem verbindliche Ziele zur Senkung des Flächenverbrauchs und der Bodenversiegelung bis 2030 festlegt 

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