Tonnenweise Lebensmittel – Obst, Gemüse, Brot und vieles mehr – landen täglich in Müllcontainern hinter deutschen Supermärkten. Lebensmittel, die zum Großteil noch essbar wären. Es gibt Menschen, die diese Lebensmittel „retten“ wollen. Doch das, was sie tun – „Containern“ genannt – ist illegal. Noch. Von FDP und Grünen kommt im Januar 2023 der Vorschlag, dass Containern straffrei werden soll. Doch das Problem ist eigentlich ein anderes.

Erdbeeren © Kari Schnellmann
Erdbeeren © Kari Schnellmann

Containern oder Mülltauchen (englisch Dumpster Diving) wird das Mitnehmen von weggeworfenen Lebensmitteln aus Mülltonnen und -containern bezeichnet. Noch ist das eine Straftat, denn um an die Müllcontainer zu gelangen, müssen in der Regel Privatgrundstücke betreten werden oder sogar Zäune überwunden und Tore aufgebrochen werden. Und das wird als Hausfriedensbruch und Diebstahl gewertet. Der Abfall ist rechtlich als Eigentum der Handelsketten zu betrachten.

Weggeworfen werden die Lebensmittel, weil das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten ist, weil Obst und Gemüse Druckstellen haben oder faul sind – oder schlicht und ergreifend, weil es zu viel davon gibt. Viele der Produkte könnte man ohne Weiteres noch essen.

Laut der WWF-Studie “Das große Wegschmeißen” entstehen etwa 18 Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle pro Jahr. Supermärkte und Co. sind für etwa 2,58 Millionen Tonnen verantwortlich.

Die Gründe, warum Menschen sich weggeworfene Lebensmittel nehmen, sind vielfältig: Oft sind es bedürftige Personen, häufig aber auch Menschen, die sich gegen die Verschwendung von Lebensmitteln stellen möchten, die ein Zeichen setzen wollen gegen Wegwerfgesellschaft und maßlosen Konsum.

Containern soll straffrei werden

Titelbild WWF-Studie "Das große Wegschmeißen" © Getty Images
Titelbild WWF-Studie "Das große Wegschmeißen" © Getty Images

Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) und Justizminister Marco Buschmann (FDP) machen Mitte Januar 2023 mit einem Vorschlag, das Containern nicht länger unter Strafe zu stellen, von sich Reden. Sie wollen, dass der Straf- und Bußgeldkatalog für Containern geändert wird. Menschen sollen, so schreibt die Tagesschau, nicht mehr bestraft werden, „wenn sie noch genießbare Lebensmittel aus Abfallcontainern holen“. In einem Schreiben an die Justizminister:innen der Länder schlagen Özdemir und Buschmann vor, sich einer Initiative des Landes Hamburg von 2021 anzuschließen.

Allerdings macht Minister Buschmann eine Einschränkung: Straffreiheit soll nur dann gewährleistet sein, wenn zum Hausfriedensbruch keine Sachbeschädigung hinzukommt. Das heißt also: Wird ein Tor aufgebrochen, um an den Container zu gelangen, ist der Vorgang weiterhin strafbar. Muss eine Mauer oder ein Zaun überwunden werden und es entsteht dabei kein Schaden, soll das Containern straffrei bleiben. 

Containern muss überflüssig werden

Die Entkriminalisierung des Containerns ist ein guter und wichtiger Schritt. Jedes gerettete Lebensmittel ist ein positiver Beitrag für die Umwelt, das Klima und den Ressourcenschutz. Zudem kann das „Retten“ von Lebensmitteln Transparenz über das Ausmaß der Verschwendung schaffen und somit zu einem erhöhten Bewusstsein in der Bevölkerung beitragen.

Gleichzeitig packt die Regierung das Problem damit nicht an der Wurzel. Es geht hier nur um die bessere Umverteilung der Überschüsse – ganz am Ende der Lieferkette. Der WWF fordert stattdessen konkret, dass die Überschussproduktion schon am Anfang der Lieferkette verhindert wird. Dafür müssen Lebensmittelunternehmen gesetzlich zu einer branchenspezifischen Reduktion verpflichtet werden und darüber transparent berichten.

„Die Entkriminalisierung ist ein guter Schritt. Mittelfristig muss die Politik aber dafür sorgen, dass das Containern überflüssig wird.“

Dr. Rolf Sommer, Leiter Landwirtschaft & Landnutzungswandel WWF Deutschland

Einkaufen im Supermarkt © Shutterstock
Einkaufen im Supermarkt © Shutterstock

Besonders der Einzelhandel hat dabei eine wichtige Stellung in der Lieferkette und muss in Zusammenarbeit mit den Lieferanten in der Bestellpolitik sowie in den eigenen Märkten und der Kundenkommunikation zur Reduzierung der Verschwendung beitragen.

Auch die Frage nach der Ernährungsarmut in Deutschland ist mit der Möglichkeit des Containerns längst nicht ausreichend geklärt. Einkommensschwache Haushalte können sich derzeit gesunde und nachhaltige Lebensmittel immer weniger leisten. Sie benötigen dabei umfassende Unterstützung. Kurzfristig sollte die Bundesregierung auch deshalb die Mehrwertsteuer auf gesunde Erzeugnisse wie Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte senken oder gar streichen. Die EU-Kommission ermuntert dazu ausdrücklich. Die Höhe der Sozialleistungen muss entsprechend angepasst werden und die soziale Abfederung neuer Maßnahmen muss von Anfang an mitgedacht werden.

Der WWF fordert von der Politik:

  • dem Beschluss des Bundesrates umgehend nachzukommen und für alle Wirtschaftsbeteiligten auf allen Herstellungs- und Handelsebenen eine Pflicht zur Reduzierung der Lebensmittel umsetzen.

  • bei Wirtschaftsbeteiligten darauf hinzuwirken, dass Standards für Obst und Gemüse, die auf ästhetischen Merkmalen basieren, keine Anwendung mehr finden. Voraussetzung dafür ist eine bessere Unterscheidung der auf EU-Ebene gesetzlich vorgegebenen Vermarktungs- und Qualitätsnormen von zusätzlichen freiwilligen Qualitätsstandards.

  • sich in Brüssel im Rat dafür einzusetzen, dass die geplanten EU-weiten Ziele zur Reduktion von Lebensmittelverschwendung entlang der gesamten Lieferkette gelten – beginnend mit den Vor-Ernteverlusten.

  • ein tiefgehendes und verbindliches Daten-Reporting entlang der gesamten Lieferkette für Unternehmen umzusetzen. Ein großes Problem beim Thema Lebensmittelverschwendung ist die unsichere Datenlage, die ausgehend von der Politik verbessert werden muss. Besonders auf den frühen Stufen der Lieferketten sind die Daten ungenau, hier entsteht ein verzerrtes Bild und auch das politische Augenmerkt liegt oft auf den Verbraucher:innen.

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