Die Wälder am Ufer des mittleren Bikin-Flusses sind alt und anheimelnd, zugleich unheimlich und mysteriös. Sie sind das, was man gemeinhin einen Urwald nennt. Umgangssprachlich werden sie zwar Taiga genannt, sie sind jedoch üppige Nadel-Laub-Mischwälder mit hunderten verschiedener Gehölzarten.

Diese Wälder, deren Charakterbaum die Korea-Kiefer ist, sind in der ganzen Provinz Primorje und dem südlichen Teil von Chabarovsk zu finden. Sie beherbergen eine einzigartige, spektakuläre Biodiversität. Hier haben sich Arten subtropischer und arktischer Herkunft zu einer üppigen und bunten Lebensgemeinschaft zusammengetan. Diesen Lebensraum teilen sich Leopard, Asiatischer Schwarzbär und Goral mit Elch, Braunbär und Moschushirsch spätestens seit dem Beginn des Holozäns vor ca. 12.000 Jahren. Als Ikone der Vielfalt steht über allem der Amur-Tiger.

Das Gebiet am Ober- und Mittellauf des Bikin ist nur dünn besiedelt. Der wichtigste Ort ist hier die Siedlung Krasny Yar, die vor allem von Udegen bewohnt wird. Die Volksgruppe der Udegen (sie werden auch oft Nanai genannt) ist eine indigene Minderheit der Region. Sie nutzt die Wälder und den Fluss seit Jahrhunderten in einer nachhaltigen, umweltschonenden Weise. Nach wie vor ernähren sich die Udegen hauptsächlich von dem, was die Natur ihnen bietet: Sie fangen Fische, sammeln Kräuter, Farne, Beeren, Pilze und die „Nüsse“ der Koreanischen Kiefer. Im Winter jagen sie und stellen Fallen.

Die Korea-Kiefer © naturepl.com / Konstantin Mikhailov / WWF
Die Korea-Kiefer © naturepl.com / Konstantin Mikhailov / WWF

Trotzdem versuchten Holzfirmen immer wieder, dort Einschlagskonzessionen zu bekommen. Der WWF half den Udegen jedes Mal, ihre Rechte zu wahren und die Tigerwälder zu retten. Doch die Unternehmen blieben hartnäckig. 2008 hat der WWF deshalb mit den Udegen einen mutigen Plan zur Rettung der letzten Wildnis aufgestellt: Den ganzen Urwald um den mittleren Bikin zu pachten – 461.154 Hektar, eine Region knapp doppelt so groß wie das Saarland. Das war möglich, weil die Wälder offiziell als so genannte Nuss-Sammelzonen ausgewiesen waren – und damit nicht für den industriellen Holzeinschlag. Diese Ausweisung geht noch auf die Sowjetzeit zurück. Die „Nüsse“ der Koreanischen Kiefer sind eine wichtige Nahrungsquelle für Tiere und Menschen. Sie werden im Wald gesammelt, verarbeitet und auf Märkten als fett- und eiweißreiche Delikatesse verkauft.

Doch die Bikin-Urwälder haben auch eine globale Bedeutung für den Klimaschutz: Hier ist viel Biomasse gebunden, und damit hat die Region eine wichtige Schutzfunktion für das Klima der Erde. Aus diesem Grund konnte 2009 die finanzielle Unterstützung durch die Internationale Klimainitiative des Bundesumweltministeriums (BMUB) für ein Wald-Klimaschutzprojekt gewonnen werden: Das Bikin-Projekt. Die KfW Entwicklungsbank wurde durch das Bundesumweltministerium mit dessen Aufsicht beauftragt und der WWF übernahm die Durchführung gemeinsam mit den lokalen Udege.

Das übergeordnete Ziel des Projektes liegt darin, den Urwald der Bikin-Region langfristig vor konventionellem Holzeinschlag zu schützen, um den in der Wald-Biomasse natürlich gebundenen Kohlenstoff zu binden. Dieser Waldschutz bedeutet zugleich Klimaschutz, und die somit vermiedenen Kohlenstoffdioxid-Emissionen lassen sich berechnen. Durch das Kyoto-Abkommen bestand bis Ende 2012 in Russland die Möglichkeit, sich so vermiedene CO2-Emissionen honorieren zu lassen bzw. auf dem internationalen Emissionsmarkt zu handeln. Gemeinsam mit dem Partner "Tribal Commune Tiger", einer lokalen Organisation aus Krasny Yar, wurde 2009 die 461,500 Hektar große Bikinskaya-Nuss-Sammelzone für 49 Jahre gepachtet. Tribal Commune Tiger konnte sich gegen zahlreiche Mitbewerber, darunter Holzfirmen, durchsetzen. Das Projekt finanzierte den Partnern als Anschub die Pachtgebühren für drei Jahre. Nachfolgend wurden Kapazitäten für den Geschäftsbetrieb und zum Schutz der Nuss-Sammelzone aufgebaut.

Eigene Ranger der Udege kontrollieren seither das Gebiet. Sie bekämpfen Waldbrände und wachen über die Wildbestände. Investitionen in Erntetechnik, Transport und Verarbeitung der Waldprodukte wurden getätigt und durch ein Vermarktungskonzept umgesetzt. In einem komplizierten Verfahren konnten die vermiedenen Kohlendioxid-Emissionen für den Zeitraum 2009 bis 2012 berechnet werden. Diese lassen sich nach Prüfung durch unabhängige Auditoren als handelbare Kohlenstoffzertifikate verkaufen. Aus dem Verkauf dieser Zertifikate im Herbst 2013 wurden für die Tribal Commune Tiger 335.000 Euro erlöst, die für die Verbesserung der lokalen Infrastruktur eingesetzt werden sollen. 

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