Es könnte so schön nachhaltig sein: Auf dem Weg zur Arbeit gibt’s noch schnell einen Kaffee, natürlich im Mehrwegbecher. Ist der Becher leer, kann er an jedem Kiosk gegen Pfand oder Scannen des QR-Codes abgegeben werden, wird dort gereinigt und wiederverwendet. Hat der Becher nach unzähligen Nutzungen das Ende seiner Lebenszeit erreicht, wird er zu Rezyklat – also zu kleinen Kunststoffteilchen – zerkleinert, eingeschmolzen und zu einem neuen Mehrwegbecher verarbeitet, der wieder vielfach genutzt wird. Der Kreislauf schließt sich, die Verschwendung von Ressourcen wird reduziert, Treibhausgase eingespart und kein Becher landet in der Landschaft. So die Vision.

Mehrweg bleibt die Ausnahme

Mülleimer mit Einwegverpackungen © LIFE e.V.
Mülleimer mit Einwegverpackungen © LIFE e.V.

Die Realität sieht leider anders aus: Nie bis sehr selten wird Mehrweg proaktiv als Verpackungsoption genannt und fast immer kommt der Kaffee im Einwegbecher, das Essen in der Einwegbox. Beides wird nur wenige Minuten genutzt, bevor die Verpackung im Müll oder in der Natur landet, weil der Mülleimer überquillt. Dabei wäre Mehrweg als Kreislaufwirtschaft eine gute Lösung, um die Verpackungsflut endlich zu stoppen.

Mehrwegsysteme fristen in Deutschland immer noch ein Nischendasein. Das hat eine Erhebung der Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung (GVM) im Auftrag des WWF deutlich gezeigt. Demnach wurden 2022 nur rund vier Prozent der To-Go-Getränke in wiederverwendbaren Behältern ausgegeben, bei Speisen waren es sogar nur 0,1 Prozent. Dabei verursacht der Speisebereich mit Pizzakartons, Tellern, Schalen, To-Go-Boxen, Saucendöschen etc. rund 80 Prozent des gastronomischen Verpackungsaufkommens.

Ob sich das mit der seit Anfang 2023 geltenden Mehrwegangebotspflicht ändert, hängt auch davon ab, ob diese breit angenommen, gut umgesetzt und bestehende Hürden abgebaut werden. Unter den derzeitigen Voraussetzungen bleibt der Abschied von der Wegwerfgesellschaft leider eine Utopie. Aber was ändert sich überhaupt mit der Mehrwegangebotspflicht?

Mogelpackung Mehrwegangebotspflicht?

Restaurants, Bistros und Cafés, aber auch Hotels und Cateringservices, die Essen zum Mitnehmen verkaufen und gewisse Mindestkriterien erfüllen, sind seit dem 1. Januar 2023 verpflichtet, neben der Einweg- auch eine Mehrwegverpackung anzubieten. Das hört sich erst einmal gut an, der Teufel liegt allerdings im Detail: Denn das Gesetz gilt nicht für alle, sondern nur für diejenigen Betriebe, die mehr als fünf Mitarbeitende haben oder deren Räume größer als 80 Quadratmeter sind. Die Mehrheit, nämlich über 60 Prozent der Imbisse, Bistros und ähnlichen Betriebe sind damit von der Regelung ausgenommen und dürfen weiterhin ausschließlich Einwegverpackungen verwenden. Da es in der Gastronomie zurzeit einen Trend zu kleineren Betrieben gibt, bleiben in Zukunft womöglich immer weniger, für die das Gesetz tatsächlich gilt.

Was noch im Kleingedruckten steht: Eine echte Mehrwegalternative muss nur für Getränke angeboten werden. Essensverpackungen dürfen weiterhin auch in Papier- oder Aluminiumverpackungen angeboten werden. Darauf haben sich in den Interviews, die im Rahmen der Erhebung durchgeführt wurden, auch zahlreiche Vertreter:innen von Gastrobetrieben berufen. In Zukunft würden sie einfach Verpackungen aus Papier oder Aluminium für Speisen einsetzen, anstatt eine echte Mehrwegalternative zu entwickeln.

Kampf der Einwegflut!

Masse an Einwegverpackungen © GettyImages
Masse an Einwegverpackungen © GettyImages

Das dämpft die hohen Erwartungen an das Gesetz und wäre auch ökologisch höchst problematisch, da die Herstellung von Aluminium extrem energieintensiv ist und auch Papierverpackungen nicht pauschal ökologisch vorteilhafter sind. Ein Hersteller von Mehrwegsystemen, der für die Studie befragt wurde, fürchtet außerdem: „Die machen Einweg einfach schwerer und teurer und schreiben Mehrweg dran. Damit hat sich die Sache dann erledigt.“

Dabei ist der Handlungsbedarf groß: In kaum einem anderen europäischen Land wird so viel Verpackungsmüll produziert wie in Deutschland. 226 Kilogramm wirft jede:r Deutsche im Jahr in die Tonne. Das sind ungefähr 60 Kaffeebecher. Pro Tag. Pro Person. Insgesamt wurden 2022 13,7 Milliarden Verpackungen ausgegeben. Nur für weniger als ein Prozent der Verpackungen wurde bisher eine Mehrweglösung genutzt. Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein und eine schwierige Ausgangslage für die notwendigen, systemischen Veränderungen im To-Go-Bereich. Immerhin stehen Hotels und Cateringservices schon etwas besser da als die Gastronomie, da sie in der Regel Großbehälter und Warmhaltesysteme nutzen, für die Mehrweglösungen einfacher umzusetzen sind.

Wie passt die Pizza in die Mehrwegbowl? Herausforderungen und Hürden

Verschiedene Mehrweggefäße als Auswahl © LIFE e.V.
Verschiedene Mehrweggefäße als Auswahl © LIFE e.V.

Die Interviews mit den Mehrwegbetreiber:innen und Betrieben haben auch ergeben, dass es leider immer noch viele Hürden gibt, die Betriebe daran hindern, Essen und Getränke in Mehrwegbehältern anzubieten. Eine zentrale Rolle spielen dabei fehlende Informationen. Viele Betriebe wissen schlichtweg nicht, welche Mehrwegsysteme es gibt und was an Mehrkosten und Aufwand auf sie zukommen könnte: Mehrwegbehälter müssen angenommen, gereinigt und gelagert werden – das kostet Zeit und braucht Platz.

Auf der anderen Seite steht das geringe Interesse der Kund:innen an Mehrweg. Wie auch in anderen Lebensbereichen klafft zwischen dem Wunsch nach einem nachhaltigeren Lebensstil und dem tatsächlichen Handeln vieler Menschen eine Lücke, am Ende siegt häufig die Bequemlichkeit.

Oft fehlen auch passgenaue Mehrwegbehälter: Eine Pizza braucht eben einen anderen Behälter als eine Portion Pommes oder eine Suppe. In dem Bereich entstehen gerade viele neue Mehrweg-Behälterformen und die Angebotslandschaft wächst. Trotzdem haben die Einwegangebote hier einen jahrzehntelang gewachsenen Vorsprung.

Es braucht einen Systemwandel in der To-Go-Kultur

To-Go Essen in Mehrwegbehältern © LIFE e.V.
To-Go Essen in Mehrwegbehältern © LIFE e.V.

Hersteller:innen von Mehrwegsystemen hoffen, dass das neue Gesetz zumindest Impulse geben und Marktdynamiken anstoßen kann. Für einen echten, systemischen Wandel in der Verpackungslandschaft müssen einfache, umsetzbare Lösungen her.

Wenn Kund:innen Pfandbehälter an zahlreichen Orten und Automaten wieder abgeben könnten, würde die Bereitschaft zur Nutzung von Mehrweg steigen. Auch pfandfreie Systeme, bei denen die Kund:innen sich als Nutzer:innen registrieren, können die Hürde senken, beim nächsten Mittagessen um eine Mehrwegverpackung zu bitten. Mehrweg muss konsequent mitgedacht und prominent beworben werden, indem man sich zum Beispiel bei Lieferdiensten aktiv für Einweg entscheiden muss und Mehrweg die Standardoption ist.

Wenn Mehrwegbehälter flächendeckend genutzt werden können, würde das auch die Kosten senken. Dazu braucht es eine breite logistische Infrastruktur zur Aufbereitung, Reinigung und Rückführung von Mehrwegverpackungen. Und nicht zuletzt ein Kontrollsystem, das das Umgehen der Angebotspflicht sanktioniert.

Der weite Weg zur Kreislaufwirtschaft

Mehrwegbecher sollen Einwegbecher ersetzen © GettyImages
Mehrwegbecher sollen Einwegbecher ersetzen © GettyImages

Laut EU-Verpackungsverordnung müssen ab 2030 zehn Prozent der Speisen zum Mitnehmen in wiederverwendbaren Verpackungen bereitgestellt werden. Das bedeutet, dass hundert Mal mehr Mehrwegverpackungen angeboten werden müssen als bisher. Ab 2040 müssen es sogar 40 Prozent Mehrwegverpackungen im Speisebereich sein. Bei den Getränkebechern sind die Ziele noch ambitionierter: 20 Prozent aller Getränke müssen ab 2030 in Mehrwegbechern ausgegeben werden, ab 2040 rund 80 Prozent. Es bleibt also viel zu tun.

Ob die Mehrwegangebotspflicht die dafür notwendigen Impulse schafft oder zunächst vor allem umgangen wird, bleibt abzuwarten. Klar ist: Diese Ziele sind nur mit einem echten und zügigen Systemwandel im To-Go-Bereich erreichbar. Dabei stellen Mehrwegkonzepte den wichtigsten Hebel für die Umstellung auf eine Kreislaufwirtschaft dar. Durch mehr Wiederverwendung ließen sich Abfall und Plastikverbrauch unmittelbar reduzieren und in erheblichem Umfang Treibhausgase einsparen. Das gilt allerdings nur, wenn die Mehrwegsysteme zweistellige Umlaufzahlen erreichen. Damit das gelingt, müssen Anbieter von Mehrwegsystemen es schaffen, die Rückgabe der Verpackungen zu vereinheitlichen und wo möglich Poolsysteme zu etablieren.

Dabei gilt: Je öfter eine Verpackung wieder benutzt wird, desto besser ist am Ende die Ökobilanz. Mindestens 25 bis 30 Mal sollten der Kaffeebecher und die Essensbox wiederverwendet werden können, bevor sie recycelt werden. Ein weiterer positiver Effekt von Mehrwegsystemen ist auch, dass weniger Müll in der Umwelt landet. Denn selbst wenn jemand die Mehrwegverpackung auf der Parkbank liegen lässt, ist es wahrscheinlich, dass sie jemand aufgrund der finanziellen Anreize (z.B. Pfand) aufsammelt und zurückbringt.

Das Fazit des Berichts ist: Sowohl in der Gastronomie, in den Hotels und Cateringservices, als auch bei den Kund:innen ist ein grundsätzliches Umdenken nötig. Wenn die Herausforderungen aber zügig und konsequent angegangen werden, könnten nach Einschätzung des Berichts die Ziele für 2030 sogar übertroffen werden: Mehrwegsysteme könnten dann im Gastronomiebereich einen Marktanteil zwischen 25 und 40 Prozent erreichen.

Dass Einwegverpackungen ganz der Vergangenheit angehören und nur noch im Museum als Auswuchs einer vergangenen Wegwerfgesellschaft bestaunt werden können, bleibt mit den derzeitigen Regelungen aber noch lange Zukunftsmusik.

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