Hähnchengeschnetzeltes für 99 Cent, ein Rindersteak für 3,99 Euro. Normale Preise in einem deutschen Supermarkt. So scheint es auf den ersten Blick, doch diese Preise verraten nicht die ganze Wahrheit. Denn was wir essen, hat nicht nur Auswirkungen auf unser eigenes Portemonnaie und unsere eigene Gesundheit, sondern auch auf unseren Planeten und das Leben anderer Menschen. Dabei werden die wahren Kosten unserer Lebensmittel auf dem Preisschild im Supermarkt nur selten sichtbar, sondern am Ende von uns allen getragen. Wasserverbrauch, Naturzerstörung, Treibhausgasemissionen, Krankheiten und soziale Not erzeugen gesellschaftliche Kosten, die eine Folge unseres Ernährungssystems sind.

Das Ernährungssystem als große Herausforderung

Obst-Verkäufer © David Estrada Larraneta / WWF
Obst-Verkäufer © David Estrada Larraneta / WWF

Mit dem True Cost Accounting (TCA), also der "Berechnung der wahren Kosten", stellt der WWF in einer neuen Studie jetzt ein Werkzeug vor, mit dem die Auswirkungen unserer Ernährung auf die Erde und den Menschen sowie die sich dahinter verbergenden tatsächlichen Kosten sichtbar gemacht werden und analysiert werden können.

Denn unser gegenwärtiges Ernährungssystem stellt eine der größten Herausforderungen für unseren Planeten, unsere Gesundheit und das Fortbestehen der Menschheit auf der Erde dar. Einerseits litten 2020 laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen FAO weltweit bis zu 811 Millionen Menschen an Hunger. Zugleich gelten 2,1 Milliarden Menschen als übergewichtig oder fettleibig. Ernährungsbedingte Krankheiten nehmen zu und gelten heute weltweit als die häufigste Todesursache.
 

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Umweltzerstörung auf dem Preisschild

Aber auch indirekt belasten Lebensmittel unsere Gesundheit. Weil für den Fleischhunger der wohlhabenderen Länder immer mehr Wälder und Naturflächen zerstört werden, steigt zum Beispiel das Risiko für Zoonosen. Viren wie SARS, Ebola, das Coronavirus oder ganz neue Viren können so von Wildtieren auf den Menschen übertragen werden. Die gesundheitlichen und finanziellen Folgen tragen wir alle.

Würde man den wahren Preis für ein Stück Fleisch nach dem True Cost Accounting berechnen, dann müssten sich nicht nur die Kosten für die Produktion, sondern auch für die Behandlung ernährungsbedingter Krankheiten, für den Ausgleich von Umweltzerstörung und die Auswirkungen der Erderhitzung auf dem Preisschild wiederspiegeln. Tatsächlich ist es heute meist umgekehrt: Gesundes, nachhaltig erzeugtes Essen ist in der Regel teurer als billig produzierte Lebensmittel, obwohl diese viel höhere, sogenannte externe Kosten erzeugen. 

Die wissenschaftliche Gruppe des UN-Gipfels für Ernährungssysteme UNFSS schätzt die derzeitigen externen Kosten der Ernährungssysteme auf 19,8 Billionen US Dollar. Das ist mehr als das Doppelte des derzeitigen weltweiten Nahrungsmittelkonsums von rund neun Billionen US Dollar.

„Gesunde Lebensmittel müssen für alle Menschen zugänglich und bezahlbar sein!“

WWF Deutschland

Transformation zu nachhaltiger Ernährungspolitik

Maiskolben © Marizilda Cruppe / WWF UK
Maiskolben © Marizilda Cruppe / WWF UK

TCA macht darüber hinaus soziale Ungerechtigkeiten bei der Produktion von Lebensmitteln sichtbar, wie die Unterbezahlung von Arbeitnehmer:innen, Ernährungsunsicherheit, Krankheit oder vorzeitigen Tod. TCA zeigt aber auch neue Möglichkeiten für die Transformation der gegenwärtigen Ernährungssysteme hin zu einer gesunden, sozial gerechten und nachhaltigen Ernährungspolitik.

Die WWF Studie zur gerechten Bepreisung von Lebensmitteln zeigt aber auch, dass noch viel mehr Daten erhoben werden müssen, um Kosten und Nutzen nachhaltiger Ernährungssysteme zu quantifizieren und politische Lösungen für unser gegenwärtiges, ungesundes und naturzerstörendes Ernährungssystem zu finden. Das Ziel muss sein, einerseits die Versorgung der Weltbevölkerung sicherzustellen, Zivilisationskrankheiten aufgrund schlechter Ernährung zu verhindern und zugleich sozial gerechten Konsum zu ermöglichen. Das bedeutet: Gesunde Lebensmittel müssen für alle Menschen zugänglich und bezahlbar sein! Damit unser billiges Essen uns am Ende nicht im Hals stecken bleibt.
 

Webinar zum Thema "Der wahre Preis der Lebensmittel"

Die Studie wurde im März 2022 im Rahmen eines Events des Forum for the Future of Agriculture vom Autor vorgestellt. Gemeinsam mit dem European Policy Office und der Food Practice wurde das Event organisiert und Vertreter:innen aus Wissenschaft, Politik (EU) und dem Privatsektor nahmen als Diskussionsteilnehmer:innen teil.

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