Erster Akt: Die Überfischung

Der Dorsch ist eine der wichtigsten Arten der Ostsee, sowohl für das Ökosystem als auch für die Fischerei. Die Dorschbestände der Ostsee wurden seit Jahrzehnten überfischt, denn es wurde alljährlich weit mehr entnommen, als nachwachsen konnte. Durch diese andauernde Überfischung sind sowohl der Bestand in der westlichen als auch der in der östlichen Ostsee zusammengebrochen.

Der Internationale Rat für Meeresforschung (ICES) empfiehlt seit mehreren Jahren dass überhaupt kein Dorsch mehr gefangen wird, und die Europäische Union erlaubt nur noch unvermeidbare Beifänge. Besonders durch das Entnehmen der älteren Tiere, die meist einen höheren Fortpflanzungserfolg haben, wird eine Erholung zusätzlich erschwert.

Das bedroht nicht nur das Ökosystem – auch die Fischerei leidet, Wurden 1996 beispielsweise noch 38.505 Tonnen Dorsch in der westlichen Ostsee an Land gebracht, waren es 2015 nur noch 8.390 Tonnen – heute sind es nur noch wenige Hundert Tonnen Beifang.

Zweiter Akt: Die Eutrophierung

Blaualge in der Ostsee bei Finnland © Päivi Rosqvist / WWF Finland
Blaualge in der Ostsee bei Finnland © Päivi Rosqvist / WWF Finland

Ein weiteres, zentrales Umweltproblem für unser flaches Küstenmeer ist die sogenannte Eutrophierung – die Überdüngung. Die Pflanzennährstoffe Phosphor und Stickstoff werden von stark gedüngten Feldern ins Meer geschwemmt. Hinzu kommen Stickstoffeinträge aus der Luft von Abgasen aus Verkehr, Heizungen und Industrieanlagen. Die Folgen sind so fatal wie vielfältig, denn Stickstoff und Phosphor wirken auch im Meer als Dünger für Meerespflanzen: Feine Grünalgen überwuchern zum Beispiel Seegraswiesen und Braunalgenwälder vor der Küste, die dann absterben, weil ihnen das lebensnotwendige Sonnenlicht fehlt.

Hinzu kommen in Sommermonaten Blaualgen (Cyanobakterien), die sich mit Hilfe von Phosphor aus dem Wasser und Stickstoff aus der Luft massenhaft vermehren. All diese Algen und Bakterien sinken nach dem Absterben auf den Meeresgrund, wo Mikroorganismen sie mit Hilfe von Sauerstoff zersetzen. In diesem Prozess wird der Sauerstoff im Wasser und am Meeresboden verbraucht. Die aus dem Abbau freigesetzten Nährstoffe lösen einen neuen Wachstumskreislauf aus. Je größer die Algenblüte, desto mehr Material wird zersetzt: noch mehr Sauerstoff wird verbraucht und noch mehr Nährstoffe werden freigesetzt.

Diese sauerstofffreien Zonen mit giftigem Schwefelwasserstoff werden auch Todeszonen genannt und gleichen toten Unterwasserwüsten, in denen nichts mehr wächst. In der Ostsee ist durch die starke Eutrophierung die größte Todeszone der Welt entstanden. Wird der Sauerstoff in einem Bereich verbraucht, ändern sich auch die chemischen Prozesse im Wasser. Diese chemische Änderung sorgt dafür, dass Phosphat aus den Ablagerungen des Sediments losgelöst wird und in die Wassersäule gelangt. Dadurch werden dem System weitere Nährstoffe zugeführt, was den Teufelskreis noch verstärkt.

Dritter Akt: Die Grundschleppnetzfischerei

Cover des WWF Baltic Bottom Trawling Reports © WWF
Cover des WWF Baltic Bottom Trawling Reports © WWF

Gerade die Grundschleppnetzfischerei beschädigt und zerstört den Meeresboden. Trotz dieses Wissens ist die Grundschleppnetzfischerei eine weithin akzeptierte Fischereipraxis – sie wird sogar in vielen Meeresschutzgebieten und wichtigen Lebensräumen für Fischbestände praktiziert. Die Laichgebiete der Elterntiere und die Kinderstuben der jungen Dorsche werden gestört oder zerstört. Doch das ist nicht der einzige negative Effekt. Die Netze wirbeln viel Sediment auf. So gelangen die Nährstoffe, die das Algenwachstum anheizen und sich bereits abgelagert hatten, wieder in die Wassersäule.

In Gebieten mit geringeren Sauerstoffkonzentrationen verstärkt die Grundschleppnetzfischerei die Auswirkungen der Eutrophierung der Ostsee weiter. Der natürliche Kreislauf des Abbaus von absinkendem, organischem Material wird gestört: Wenn die Schleppnetze über den Meeresboden gezogen werden, zerstören sie die komplexen dreidimensionalen Strukturen in den Oberflächensedimenten, die Nitrate oder Nitrite chemisch entfernen können ("Denitrifikation"). Die Denitrifikation ist eine kritische Ökosystemfunktion, bei der Mikroben- und Wirbellosengemeinschaften bioverfügbaren Stickstoff entfernen und dadurch zur Pufferung gegen Eutrophierung in Lebensräumen mit weichem Sediment am Meeresboden beitragen. Die Schleppnetzfischerei führt nicht nur zu einer bis zu 50%igen Verringerung der Nettodenitrifikation, sondern die Denitrifikationskapazität des Meeresbodens nimmt mit jedem Schleppnetzpass ab. Letzteres deutet auf eine kumulative Abnahme der Widerstandsfähigkeit hin.

Vierter Akt: Todeszonen und der Ostseedorsch

Aufgrund seiner physiologischen Besonderheit wird der Dorsch von den Todeszonen besonders hart getroffen: Seine Eier sind so beschaffen, dass sie bei einem Salzgehalt von rund 11 Promille im Wasser schweben. Da dieser Salzgehalt hauptsächlich in Wassertiefen ab 70m herrscht, liegt diese Wasserschicht häufig in einer sauerstofffreien (anoxischen) Zone – die Eier ersticken förmlich und sterben ab. Durch die Eutrophierung breiten sich die Todeszonen immer weiter aus und so werden die Gebiete mit guten Überlebenschancen für die Dorscheier immer kleiner. Hinzu kamen Nahrungsmangel und jahrzehntelange Überfischung, durch die die Bestände inzwischen kollabiert sind. Neue Studien deuten darauf hin, dass dabei ein Kipppunkt überschritten wurde und der eine Erholung stark erschwert.