Der Dorsch ist eine der wichtigsten Arten der Ostsee, sowohl für das Ökosystem als auch für die Fischerei. Die Dorschbestände der Ostsee werden seit Jahrzehnten überfischt, denn es wird alljährlich weit mehr entnommen als nachwachsen kann. Durch diese andauernde Überfischung sind sowohl der Bestand in der westlichen als auch der in der östlichen Ostsee gefährdet. Besonders durch fehlende Rückzugsgebiete und das Entnehmen der älteren Tiere, die meist einen höheren Fortpflanzungserfolg haben, werden die Bestände immer kleiner. Das bedroht nicht nur das Ökosystem, auch die Fischerei leidet, denn die Fangmengen werden seit Jahren immer kleiner. Wurden 1996 beispielsweise noch 38.505 Tonnen Dorsch in der westlichen Ostsee an Land gebracht, waren es 2015 nur noch 8.390 Tonnen.
Erster Akt: Die Überfischung
Zweiter Akt: Die Eutrophierung
Ein weiteres, zentrales Umweltproblem für unser flaches Küstenmeer ist die sogenannte Eutrophierung – die Überdüngung. Die Pflanzennährstoffe Phosphor und Stickstoff werden von stark gedüngten Feldern ins Meer geschwemmt. Hinzu kommen Stickstoffeinträge aus der Luft von Abgasen aus Verkehr, Heizungen und Industrieanlagen. Die Folgen sind so fatal wie vielfältig, denn Stickstoff und Phosphor wirken auch im Meer als Dünger für Meerespflanzen: Feine Grünalgen überwuchern zum Beispiel Seegraswiesen und Braunalgenwälder vor der Küste, die dann absterben, weil ihnen das lebensnotwendige Sonnenlicht fehlt.
Hinzu kommen in Sommermonaten Blaualgen (Cyanobakterien), die sich mit Hilfe von Phosphor aus dem Wasser und Stickstoff aus der Luft massenhaft vermehren. All diese Algen und Bakterien sinken nach dem Absterben auf den Meeresgrund, wo Mikroorganismen sie mit Hilfe von Sauerstoff zersetzen. In diesem Prozess wird der Sauerstoff im Wasser und am Meeresboden verbraucht. Die aus dem Abbau freigesetzten Nährstoffe lösen einen neuen Wachstumskreislauf aus. Je größer die Algenblüte, desto mehr Material wird zersetzt: noch mehr Sauerstoff wird verbraucht und noch mehr Nährstoffe werden freigesetzt.
Diese sauerstofffreien Zonen mit giftigem Schwefelwasserstoff werden auch Todeszonen genannt und gleichen toten Unterwasserwüsten, in denen nichts mehr wächst. In der Ostsee ist durch die starke Eutrophierung die größte Todeszone der Welt entstanden. Wird der Sauerstoff in einem Bereich verbraucht, ändern sich auch die chemischen Prozesse im Wasser. Diese chemische Änderung sorgt dafür, dass Phosphat aus den Ablagerungen des Sediments losgelöst wird und in die Wassersäule gelangt. Dadurch werden dem System weitere Nährstoffe zugeführt, was den Teufelskreis noch verstärkt.
Dritter Akt: Die Grundschleppnetzfischerei
Gerade die Grundschleppnetzfischerei beschädigt und zerstört den Meeresboden. Trotz dieses Wissens ist die Grundschleppnetzfischerei eine weithin akzeptierte Fischereipraxis – sie wird sogar in vielen Meeresschutzgebieten und wichtigen Lebensräumen für Fischbestände praktiziert. Die Laichgebiete der Elterntiere und die Kinderstuben der jungen Dorsche werden gestört oder zerstört. Doch das ist nicht der einzige negative Effekt. Die Netze wirbeln viel Sediment auf. So gelangen die Nährstoffe, die das Algenwachstum anheizen und sich bereits abgelagert hatten, wieder in die Wassersäule.
In Gebieten mit geringeren Sauerstoffkonzentrationen verstärkt die Grundschleppnetzfischerei die Auswirkungen der Eutrophierung der Ostsee weiter. Der natürliche Kreislauf des Abbaus von absinkendem, organischem Material wird gestört: Wenn die Schleppnetze über den Meeresboden gezogen werden, zerstören sie die komplexen dreidimensionalen Strukturen in den Oberflächensedimenten, die Nitrate oder Nitrite chemisch entfernen können ("Denitrifikation"). Die Denitrifikation ist eine kritische Ökosystemfunktion, bei der Mikroben- und Wirbellosengemeinschaften bioverfügbaren Stickstoff entfernen und dadurch zur Pufferung gegen Eutrophierung in Lebensräumen mit weichem Sediment am Meeresboden beitragen. Die Schleppnetzfischerei führt nicht nur zu einer bis zu 50%igen Verringerung der Nettodenitrifikation, sondern die Denitrifikationskapazität des Meeresbodens nimmt mit jedem Schleppnetzpass ab. Letzteres deutet auf eine kumulative Abnahme der Widerstandsfähigkeit hin.
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Vierter Akt: Todeszonen und der Ostseedorsch
Aufgrund seiner physiologischen Besonderheit wird der Dorsch von den Todeszonen besonders hart getroffen: Seine Eier sind so beschaffen, dass sie bei einem Salzgehalt von rund 11 Promille im Wasser schweben. Da dieser Salzgehalt hauptsächlich in Wassertiefen ab 70m herrscht, liegt diese Wasserschicht häufig in einer sauerstofffreien (anoxischen) Zone – die Eier ersticken förmlich und sterben ab. Durch die Eutrophierung breiten sich die Todeszonen immer weiter aus und so werden die Gebiete mit guten Überlebenschancen für die Dorscheier immer kleiner. Hinzu kommen Nahrungsmangel und Überfischung, die die Dorschpopulationen zusätzlich bedrohen und schrumpfen lassen.