Brasilien deckt fast seinen gesamten Strombedarf mit Wasserkraftwerken. Doch diese Energiegewinnung ist nicht so sauber, wie es auf den ersten Blick scheint.

Riesige Tropenwaldflächen werden abgeholzt und dann geflutet, gigantische Mengen Treibhausgase werden produziert, tausende Menschen müssen umsiedeln und seltene Tiere verlieren ihren Lebensraum. Noch immer schwindet pro Minute auf der Erde eine Tropenwaldfläche in der Größe von 16 Fußballfeldern. Ursachen für die Abholzung sind zum Beispiel die Rinderzucht, der Anbau von Soja als Futtermittel und die Gewinnung von Palmöl. Doch auch der geplante oder bereits stattfindende Bau von über 100 riesigen Wasserkraftwerken mitten im Amazonasbecken bedeutet eine große Bedrohung für den Wald.

Der große Stromausfall

Knapp 80 Prozent der Energie in Brasilien werden durch Wasserkraft gewonnen. Diese Abhängigkeit führt schon jetzt zu Problemen. Weihnachten 2012 verursachte die Trockenzeit gleich mehrere Stromausfälle und diese Probleme setzten sich über Weihnachten ein Jahr später fort. Hauptnutzer des Stroms aus den Wasserkraftwerken ist aber die Industrie, betont Roberto Maldonado, WWF-Referent für Lateinamerika. „Brasilien ist einer der zehn größten Wirtschaftsmächte der Welt. São Paulo zum Beispiel ist der zweitgrößte Industriestandort Deutschlands, Deutschland hat im Ausland nirgendwo so viel Industrie oder Unternehmen wie dort. Industrie und Bergbau verursachen einen sehr großen Energiebedarf.“

Elf Mal so viel Strom wie aus dem Atomkraftreaktor

In Zukunft werden sich die Trockenperioden noch verstärken, unter anderem durch den Klimawandel. Brasilien reagiert mit dem Bau von noch mehr Wasserkraftwerken. Selbst das brasilianische Umweltministerium sieht keine Alternative zur Wasserkraft. Vor allem auch, weil sie sehr rentabel ist. „Es gibt Wasserkraftwerke in Brasilien, die produzieren das Zehn- bis Elffache eines Atomkraftreaktors, und die laufenden Kosten sind dabei wesentlich geringer.“, erklärt Roberto Maldonado vom WWF.

Der Wald muss dem Wasser weichen

Schon jetzt gibt es unter den südlichen Zuflüssen des Amazonas kaum noch frei fließende Flüsse: Fast alle Flüsse, die südlich zum Amazonas führen, sind durch Stauseen und Staudämme unterbrochen. Das bedeutet eine Gefahr für das gesamte Wassersystem, für die Tiere in den Flüssen, für die Menschen an den Flüssen – und für den Wald und seine Bewohner. Riesige Flächen Tropenwald müssen dem Bau der Wasserkraftwerke weichen, die Stauseen haben teilweise die dreifache Größe des Bodensees.

Nur Wenige ihrer Art

Der Amazonas-Regenwald ist sehr artenreich – und doch leben hier von jeder Art nur relativ wenige Tiere. Das macht den Wald zu einem extrem sensiblen Ökosystem, weiß Dirk Embert: „Da es relativ wenige Tiere einer Art gibt, sind die Populationen nicht besonders stabil und können auch nicht so leicht Änderungen überleben.“ Der gesamte Wald lebt von seinem Fluss-System. Wird dieses gestört, werden die Artenvielfalt und der Wald als Ganzes gestört.

Wasserkraft ist nicht CO2-neutral

Der Bau gigantischer Wasserkraftwerke im Amazonas schadet unserem Klima – und das liegt nicht an der Abholzung allein. Der Amazonas-Regenwald ist einer der größten CO2-Speicher der Erde. Die Bäume speichern das Kohlendioxid aus der Atmosphäre und schützen unser Klima. Mit dem Abholzen der Wälder geht auch die Kohlenstoffbindung verloren. Vor allem in den Tropen verursachen Stauseen aber noch ein weiteres Klima-Problem: Durch verfaulende Pflanzen in den Staubecken setzen sie gigantische Mengen an Treibhausgasen frei.

Gibt es eine Lösung?

Tele Pires Wasserkraftwerk © Zig Koch / WWF
Tele Pires Wasserkraftwerk © Zig Koch / WWF

Brasilien besitzt nur ein einziges Atomkraftwerk und das soll auch so bleiben. Alle Wasserkraftwerke zu verhindern, kann deshalb nicht das Ziel sein. Wichtig ist aber, dass der Bau der Kraftwerke umweltverträglich geschieht und Standorte nach Umwelt- und Sozialgesichtspunkten ausgewählt werden. Roberto Maldonado vom WWF nennt ein Beispiel: „Es gibt im Amazonas Wälder, die sind ganz einzigartig in ihrer Artenzusammensetzung. Warum sollte man einen Staudamm ausgerechnet hier bauen, wenn das Wasser- und Strompotential an einer anderen Stelle genauso hoch ist, dort aber viel weniger Natur gefährdet wird?“

Der WWF hat Toolkits entwickelt, mit denen die Umweltverträglichkeit eines Staudamm-Baus getestet werden kann. Das sind Programme, die die Auswirkungen auf die Natur analysieren und mit denen man verschiedene mögliche Standorte vergleichen kann. Außerdem sollte Brasilien in Zukunft auf einen größeren Energiemix umstellen und mit Wind- und Solarenergie Alternativen zu den Wasserkraftwerken schaffen. Denn hier liegen riesige, ungenutzte Potentiale.

Von Stephanie Probst

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