Die Hallig Hooge im schleswig-holsteinischen Nationalpark Wattenmeer wirkt auf den ersten Blick rau und eintönig. Flach und ausgesetzt, liegt die kleine Hallig inmitten braunen Nordseewassers. Baumlose Viehweiden und grüne Salzwiesen werden nur von kleinen Hügeln unterbrochen, auf denen sich ein paar Häuser vor dem pausenlos wehenden Wind ducken. Der Kontrast zur Tropeninsel Vanua Levu im südpazifischen Inselstaats Fidschi könnte größer nicht sein. Dort werden dichte Regenwälder von weißen Sandstränden und türkisblauem Wasser umrahmt. Zwischen Hooge und Vanua Levu liegen Luftlinie fast 16.000 Kilometer und doch verbindet sie ein ähnliches Schicksal. Beide gehören zu den Opfern des steigenden Meeresspiegels - ausgelöst durch die menschengemachte Erderhitzung.
Mehr als eine Milliarde Menschen weltweit in den Küstenregionen werden im Jahr 2050 unter den Folgen schmelzenden Eises leiden. Auf der ganzen Welt werden Menschen ihre Heimat aufgrund des steigenden Meeresspiegels verlassen müssen. Und selbst bei einer erfolgreichen Begrenzung der Erderhitzung auf unter 2 Grad Celsius wird der Meeresspiegel noch lange ansteigen. Wie leben Menschen weltweit mit dieser Bedrohung? Wie schauen sie in die Zukunft? Ein Blick von der Nordseehallig über die Fidschiinseln bis nach Sibirien offenbart das globale Drama der arktischen Eisschmelze.
Ob Nordsee oder Südsee - der Meeresspiegel steigt
Keine Zukunft für das Leben auf Inseln und Halligen?

"Ich bin überzeugt, dass es für kleine Kinder hier im Kindergarten wahrscheinlich sehr schwer wird, noch auf Hooge alt zu werden", sorgt sich Hooges stellvertretender Bürgermeister Michael Klisch um die Zukunft seiner Hallig. Ähnlich geht es Bauer Binesh Chand auf den Fidschi-Inseln. Chand baut seit 30 Jahren Zuckerrohr auf Korovatu an, genau wie sein Vater es jahrzehntelang tat. Doch die Erträge sinken. "Diese Probleme gab es früher nicht. Aber wohin sollen wir gehen? Wir haben kein Land."
Trotz der geografischen Entfernung teilen die beiden Männer die gleiche Sorge: Die Eisschmelze in der Arktis lässt den Meeresspiegel ansteigen und bedroht die karge Hallig im Norden genauso wie die Trauminsel im Süden. Um 15 bis 20 Zentimeter ist der mittlere Meeresspiegel an der deutschen Nordseeküste in den letzten 100 Jahren schon gestiegen. Auf den Fidschi-Inseln wurde ein Anstieg um 15 Zentimeter sogar in nur 25 Jahren gemessen.
30 Meter weit ist das Meer in dem kleinen Dorf Raviravi schon ins Land vorgedrungen. Ein Friedhof liegt unter Wasser, ein Laden musste umziehen, mehrere Wohnhäuser abgerissen und tiefer ins Landesinnere verlegt werden. Salzwasser dringt zunehmend auf die Felder und verdirbt die Ernte. Versuche, das Wasser mit einem Wall aus Kokosbaumstämmen abzuhalten, sind gescheitert. Geld für Umsiedlungen, bessere Schutzwälle oder Mangrovenpflanzungen, die das Eindringen von Meerwasser etwas abmildern können, fehlt.
Klimakatastrophe an der norddeutschen Küste
Auf Hallig Hooge stehen die größten Herausforderungen erst noch bevor. Aber auch hier gerät der Bau immer höherer Deiche an seine Grenzen und führt auch nicht unbedingt zum Ziel. Denn paradoxerweise schützt die bei Sturmfluten eindringende Nordsee die Halligen auch, weil Sedimente sich auf Salzwiesen und Weiden ablagern. Jedes Mal, wenn nur noch die Wohnhäuser auf den Warften genannten Erdhügeln aus der Nordsee herausschauen, wächst die Hallig ein wenig mehr. Was jedoch in Zukunft passieren wird, wenn bei immer stärkeren Sturmfluten immer mehr Wasser immer öfter die Halligen überschwemmt, bleibt ungewiss. Mathias Krämer, Pastor auf der Nachbarhallig Langeness, ist skeptisch: "Wenn sich bis 2100 nichts geändert hat, dann stünde die Hallig fast ständig unter Wasser. Dann kann man hier natürlich nicht mehr leben."
In den Schicksalen der Insel- und Halligbewohner:innen spiegeln sich die trockenen Zahlen der aktuellen Prognosen von Klimaexpert:innen: Ohne massive Maßnahmen der Politik wird bis zum Jahr 2100 mit einem globalen Meeresspiegelanstieg von über einem Meter gerechnet! In Deutschland sind weder die Halligen oder die Küstenregionen noch eine Großstadt wie Hamburg einem Meeresspiegelanstieg in diesem Ausmaß gewappnet.
Überleben in einer Arktis ohne Eis

Natürlich kämpfen Menschen auch dort, wo sie unmittelbar mit der Eisschmelze konfrontiert sind, mit deren Folgen. In Alaska und Sibirien bedrohen tauende Permafrostböden und erodierende Küsten ganze Siedlungen.
Aus Sibirien berichtet Mikhail Stishov, der Koordinator für arktische Biodiversität beim WWF Russland: "Wir haben viel längere Perioden mit offenem Wasser sowohl am Jenissej-Fluss als auch im arktischen Meer. Ein offener Fluss im Winter kann nicht mehr so einfach als Straße benutzt werden und führt zu Versorgungsproblemen für Menschen, die in abgelegenen Dörfern leben." Stishov weiß auch von zunehmenden Konflikten mit Eisbären, die sich Siedlungen nähern, weil ihr Jagdgebiet auf dem Eis immer enger wird.
Industrie und Klimawandel bedrohen indigene Lebensräume
Indigene Gemeinschaften wie die grönländischen Inuit, die skandinavischen Samen oder die Ewenken, Yakuten und Nenzen der russischen Arktis, die von Jagd, Fischerei, Wildpflanzen und Rentierzucht leben, sind abhängig von der Biodiversität, einem verlässlichen Wechsel der Jahreszeiten und intakten Ökosystemen.

Sie sind gleich doppelt von der Eisschmelze betroffen: Zum einen durch direkte Folgen wie dem Tauen der Permafrostböden und dem Verlust der Artenvielfalt, zum anderen aber auch durch Großkonzerne der Öl- und Gasindustrie, die in den bald ganzjährig eisfreien Gebieten in großem Stil Ressourcen ausbeuten wollen. Dadurch drohen zusätzliche Umweltzerstörungen und eine Zerschneidung der Lebensräume sowie weitere Treibhausgasemissionen. Ein fataler Teufelskreis für die rund 400.000 indigenen Menschen in acht Ländern auf drei Kontinenten mit arktischen Gebieten. Die Eisschmelze bedroht nicht nur die Lebensgrundlagen, sondern auch das kulturelle Erbe von Menschen auf Hallig Hooge bis zu den Fidschi-Inseln, von Alaska bis nach Sibirien. Die Klimakrise ist damit auch zu einer Krise der Menschenrechte geworden.
Was tun? Anpassung und Schutzmaßnahmen im Angesicht der Eisschmelze
Der WWF unterstützt Indigene in der Arktis bei der Entwicklung von Strategien zur Anpassung an den Klimawandel. Der industrielle Einfluss und die Erschließung von noch unberührten Gebieten muss auf ein Minimum begrenzt werden oder streng nachhaltig geschehen. Wo die Natur noch intakt ist, müssen langfristig Schutzgebiete entstehen und miteinander vernetzt werden, um sie vor der Profitgier der Öl- und Gaskonzerne zu bewahren und die Lebensgrundlagen der Indigenen zu erhalten. So bekommen Tiere und Pflanzen Raum und Ruhe, um sich veränderten klimatischen Bedingungen anzupassen.
Die arktischen Länder Kanada, Grönland, Island, Russland, USA, Norwegen, Schweden und Finnland sollten in ihrem eigenen Interesse im Kampf gegen Treibhausgase eine führende Rolle einnehmen. Auf sie entfällt allein ein Fünftel der globalen CO2-Emissionen - mit den USA und Russland an der Spitze.

Aber auch Deutschland muss seinen Beitrag leisten und endlich die Bedrohung der Küsten von Nord- und Ostsee durch die Eisschmelze ernst nehmen. Küstenschutz muss im Einklang mit der Natur geplant und Flutschutzmaßnahmen auf ihre Nachhaltigkeit geprüft werden. Wo können Überschwemmungen in unbesiedelten Gebieten zugelassen werden, anstatt die Natur durch Sperrwerke und Betondeiche noch weiter zu beeinträchtigen? Wo können im Wattenmeer Dämme besser mit Sand aufgeschüttet werden?
Die Klimaziele aus dem Pariser Abkommen müssen nicht nur konsequent umgesetzt, sondern die Ambitionen noch verstärkt werden. Wichtige Schritte auf diesem Weg sind der schnelle Ausstieg aus der Kohle und der Ausbau der Erneuerbaren Energien. Damit unsere Kinder und Enkelkinder die Halligen des Wattenmeers und die Trauminseln von Fidschi nicht nur aus den Geschichtsbüchern kennenlernen.
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Arktis