Die Klimakrise ist die größte Bedrohung für die Artenvielfalt und für die Menschheit. Die Erde heizt sich auf – auch in Europa wird es immer heißer. Besonders die Meere werden immer wärmer, allen voran das Mittelmeer: In der Region steigen die Temperaturen um 20 Prozent schneller als im globalen Durchschnitt. Der aktuelle WWF-Bericht „Die Auswirkungen des Klimawandels am Mittelmeer“ skizziert sechs Szenarien für ein Meer, das besonders unter der Klimakrise leidet.

Jüngste Studien haben gezeigt, dass mehr als 90 Prozent der Erderhitzung zwischen 1971 und 2010 im Meer stattgefunden hat. Das Mittelmeer hat dabei Rekordwerte erreicht: Es ist das Meer, das sich am schnellsten erwärmt hat und es ist zunehmend das salzigste. Der aktuelle WWF-Bericht beschreibt in sechs Fallstudien, wie sich die Klimakrise bereits jetzt auf die marinen Ökosysteme des Mittelmeers auswirkt – und diese zum Teil unwiederbringlich verändert. Mit schwerwiegenden Folgen für Fischerei, Tourismus, Ernährung und Gesundheit der Menschen.

Ganze Ökosysteme im Wandel

In den warmen Gewässern des Mittelmeers gibt es inzwischen fast 1.000 nicht einheimische Arten, die sich jedes Jahr weiter nach Norden und Westen ausbreiten und dabei die einheimischen Arten verdrängen. Und auch die einheimischen Arten selbst verlagern ihr Verbreitungsgebiet nach Norden – auf der Suche nach kühleren Gewässern. Wieder andere stehen bereits jetzt am Rande des Aussterbens, darunter der Adriatische Stör und der Tiefsee Kardinalfisch

Und das ist längst noch nicht alles. Massenhaft auftretende Quallen plagen Fischer:innen und Tourist:innen gleichermaßen, neue Krankheitserreger tauchen auf, der steigende Meeresspiegel bedroht Städte und Küsten und die in der Klimakrise zunehmenden Wetterextreme verwüsten empfindliche marine Lebensräume – von Seegras-Wiesen bis zu Korallenbänken.

Mit der Klimakrise verändern sich ganze Ökosysteme und die Lebensgrundlagen vieler Arten – und der Menschen – verschwinden. Das alles sind keine schwarzmalerischen Zukunftsprognosen, sondern Ereignisse, die sich bereits jetzt im Mittelmeerraum abspielen. Sie alle werden verursacht oder beschleunigt durch die Klimakrise.

Die Auswirkungen der Klimakrise auf das Mittelmeer

Effekt 1: Das Mittelmeer wird tropisch!

Kaninchenfisch © Philipp Kanstinger / WWF
Kaninchenfisch © Philipp Kanstinger / WWF

Das Mittelmeer ist kein tropisches Meer – aber es könnte eines werden. Im östlichen Mittelmeer, dem heißesten Bereich des Mittelmeer-Beckens, ist dieser Prozess bereits in vollem Gange. Die Erwärmung liegt hier weit über dem globalen Durchschnitt. In der Folge wandern immer mehr invasive tropische Arten, wie Kaninchenfische, Hasenkopf-Kugelfische und der Glatte Flötenfisch, in das Mittelmeer ein, während heimische Arten verschwinden.

Die Tropenbildung ist eine Katastrophe für das Mittelmeer: Die eigentlich für das Mittelmeer typischen artenreichen Algenwälder werden von invasiven Fischarten abgefressen. Die ursprüngliche Vegetation hat keine Chance, sich zu erholen, tropische Algen schließen die Lücke, doch auch diese werden von den gefräßigen Fischen abgefressen. Zurück bleiben Ödlandschaften. In diesen Gebieten ist die Biomasse 44-mal geringer als in Algenwäldern – ein katastrophaler Verlust an biologischer Vielfalt. Und auch die Kohlenstoffbilanz gerät durcheinander: Die ursprünglichen Algenwälder, die wahre Kohlenstoffsenken sind, entwickeln sich zu degradierten Landschaften.

All das, was wir momentan im östlichen Mittelmeer sehen, ist ein Vorgeschmack dessen was uns auch an anderen Stellen des Mittelmeers erwartet, wenn die Klimakrise die Temperaturen höher und höher treibt.

Effekt 2: Zerstörerische Eindringlinge

Das Mittelmeer ist weltweit eines der am stärksten vom Eindringen invasiver Arten betroffenen Meere. Je wärmer es wird, desto attraktiver wird es für tropische Arten wie Kaninchenfisch und Rotfeuerfisch. Solche Arten gelangen aus dem Roten Meer und dem Indischen Ozean über den Suezkanal in das Mittelmeer. Aufgrund der immer weiter steigenden Temperaturen überleben die fremden Arten inzwischen auch in Regionen, die noch vor wenigen Jahren zu kalt für sie gewesen wären. Viele von ihnen gedeihen im sich verändernden Mittelmeer sogar ausgesprochen gut – auf Kosten der einheimischen Arten.

Gut zu wissen

Eine Untersuchung in der Türkei ergab beispielsweise, dass Kaninchenfische inzwischen 98 Prozent der gesamten Bestände an pflanzenfressenden Fischen ausmachen. Auch Fischer in der Türkei berichten, dass ihre Fänge inzwischen zu 80 Prozent aus Kaninchenfischen bestehen. Die gefräßigen Schwarmfische zerstören die Lebensräume einheimischer Arten und degradieren komplexe Algenwälder schnell zu Ödland. Wo Kaninchenfische leben nimmt die Artenvielfalt drastisch ab.

Feuerfisch © Alexis Rosenfeld
Feuerfisch © Alexis Rosenfeld

Der Rotfeuerfisch, der von einigen als die schädlichste invasive Art angesehen wird, die der Wissenschaft bekannt ist, ist ein ebenso erfolgreicher Eindringling im Mittelmeer. In den südlichen und östlichen Gebieten des Mittelmeers sind Rotfeuerfische bereits gut etabliert und dringen inzwischen weiter nach Westen und Norden vor. Der Raubfisch mit den ausgeprägten Giftstacheln frisst große Mengen kleiner einheimischer Fische und Krebstiere – sein Magen kann sich dabei bis zum 30-fachen seines ursprünglichen Volumens ausdehnen. Erfahrungen aus anderen Teilen der Welt zeigen, wie viel Schaden er anrichten kann: Auf den Bahamas wurde ein 40-prozentiger Anstieg des Rotfeuerfischbestands zwischen 2004 und 2010 mit einem 65-prozentigen Rückgang seiner Beutetierarten in Verbindung gebracht.

Effekt 3: Massenhaft Quallen

Eine Qualle hat sich in Plastikmüll verheddert © Matko Pojatina / WWF Adria
Eine Qualle hat sich in Plastikmüll verheddert © Matko Pojatina / WWF Adria

Quallen gibt es schon seit der Zeit vor den Dinosauriern. Sie kommen in allen Ozeanen vor und sind ein wichtiger Bestandteil eines ausgewogenen marinen Ökosystems. Doch wenn das Ökosystem aus dem Gleichgewicht gerät, können Quallen zu einem Problem werden – und genau das passiert seit etwa 2003 im sich erhitzenden Mittelmeer. Quallenblüten waren früher seltene Ereignisse, doch heute treten sie in südlichen Gewässern jährlich auf und dauern länger an.

In der Folge haben sich Quallen explosionsartig vermehrt und das verändert die regionalen Ökosysteme radikal – mit schwerwiegenden Auswirkungen auf die Fischerei und den Tourismus. Die Quallen verstopfen Fischernetze, beschädigen Fanggeräte und die Besatzungen bringen Stunden damit zu, sich mit den Quallen zu befassen, anstatt die Fische zu fangen, die ihren Lebensunterhalt sichern.

Und auch in Fremdenverkehrsregionen des Mittelmeers sind die Quallenblüten ein wachsendes Problem: Ein Badestrand voller Quallen verliert schnell an Attraktivität – und wenn die Besucher:innen ausbleiben, bedeutet das für die lokalen Gemeinden einen unmittelbaren wirtschaftlichen Schaden. Das massenhafte Auftreten von Quallen verursacht auch in anderen Wirtschaftszweigen erheblichen Schaden: Quallen können Aquakulturbecken überschwemmen und die darin gehaltenen Fische verletzen; sie können sogar Kraftwerke schädigen, wenn massenhaft Quallen für die Kühlung der Kraftwerke wichtige Wasserzuflüsse verstopfen.

Durch jahrelange Überfischung haben Quallen im Mittelmeer kaum mehr natürliche Feinde. So können sich die Tiere ungehindert vermehren und mit der Zeit zu den Haupträubern im Mittelmeer werden. Es ist nicht ganz abwegig, dass das Mittelmeer irgendwann von Quallen dominiert wird.

Von Seegras, Korallen und Massensterben

Effekt 4: Seegraswiesen werden zerstört

Das Seegras Posidonia oceanica ist eine der wichtigsten Arten für das gesamte Ökosystem im Mittelmeer: es bildet riesige Wiesen auf sandigen Meeresböden und macht ihn so widerstandsfähiger gegen Stürme, es reichert das Meer mit Sauerstoff an, bietet Lebensraum für etwa 20 Prozent aller im Mittelmeer vorkommenden Arten und ist eine wichtige Kohlenstoffsenke. Seegraswiesen speichern schätzungsweise 11 bis 42 Prozent der gesamten CO2-Emissionen der Mittelmeerländer seit Beginn der Industrialisierung. Mit steigenden Temperaturen leiden die Seegraswiesen, sie werden weniger widerstandsfähig, werden von invasiven Arten abgefressen und auch der steigende Meeresspiegel – auch eine Folge der Klimakrise – macht den Seegraswiesen zu schaffen. Verschwinden sie ganz, verlieren wir eine wichtige Kohlenstoffsenke und Kinderstube für viele Arten des Mittelmeers.

Neptungräser © Michel Gunther / WWF
Neptungräser © Michel Gunther / WWF
Effekt 5: Korallen sterben ab

Gorgonien (Fächerkorallen) gehören zu den schönsten und wichtigsten Weichkorallen im Mittelmeer: Sie bilden Unterwasserwälder und bieten wichtige Lebensräume und Aufwuchsgebiete für viele Arten. Gorgonien können bis zu 60 Jahre alt werden, doch der rasche Temperaturanstieg wird ihnen zum Verhängnis – damit dem gesamten Ökosystem. Wenn Gorgonien sterben und herunterfallen, wird die dreidimensionale Natur der von ihnen geschaffenen Lebensräume reduziert: der Lebensraum wird weniger komplex, das wiederum verringert die Artenvielfalt im Meer und schafft Raum für invasive Arten.

Korallen im Mittelmeer © Philipp Kanstinger / WWF
Korallen im Mittelmeer © Philipp Kanstinger / WWF
Effekt 6: Muscheln verschwinden massenhaft

Obwohl der Klimawandel ein allmählicher Prozess mit schrittweisen Auswirkungen ist, kann er in Kombination mit anderen Umweltstressoren plötzliche ökologische Krisen auslösen – wie zum Beispiel dem Massensterben der Fächermuschel Pinna nobilis. Sie ist die größte endemische Muschel im Mittelmeer und eine der größten der Welt und spielt eine wichtige ökologische Rolle, denn sie filtert das Wasser und bietet Lebensraum für viele andere Arten. 2016 kam es zu einem ersten Massensterben unter den Muscheln im gesamten spanischen Mittelmeer. Inzwischen sind alle Bestände betroffen und die Art wurde 2019 von der IUCN als vom Aussterben bedroht eingestuft. Grund für die Massensterben ist der Erreger Haplosporidium pinnae, der sich mit den steigenden Wassertemperaturen ausgebreitet hat. Aber auch die höheren Wassertemperaturen selbst machen die Muscheln anfälliger für solche Parasiten.

Edle Steckmuschel (Pinna Nobilis) mit drei Trichterwürmern (Sabellaria) in einer Seegraswiese im Mittelmeer © Philipp Kanstinger / WWF
Edle Steckmuschel (Pinna Nobilis) mit drei Trichterwürmern (Sabellaria) in einer Seegraswiese im Mittelmeer © Philipp Kanstinger / WWF

Wir müssen handeln! Jetzt!

Die Datenlage ist eindeutig: Wir müssen die Naturschätze des Mittelmeers schützen und seine natürlichen Ressourcen wiederherstellen. Das erfordert mutige und ehrgeizige politische Maßnahmen. In einem Hotspot der biologischen Vielfalt wie dem Mittelmeer, der so stark vom Klimawandel betroffen ist, brauchen wir Lösungen, die die Gesundheit von Mensch und Natur in den Mittelpunkt stellen.

Der WWF fordert ein Netz aus Meeresschutzgebieten und anderen Schutzmaßnahmen, die bis 2030 30 Prozent des gesamten Mittelmeers abdecken sollen. Ein ehrgeiziges Ziel, aber eines, das keinen Aufschub duldet. Die Fallstudien des WWF-Berichts zeichnen ein eindeutiges Bild davon wie groß die Herausforderungen sind, vor denen wir stehen, um das Mittelmeer zu retten.

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