Viele Jahre lang setzte kein:e Wissenschaftler:in einen Fuß in den Nationalpark „Cordillera de los Picachos“ im Amazonas-Vorland. Hier tobte jarzehntelang lang der bewaffnete Konflikt zwischen FARC-Guerillas und dem Militär. Im April 2021 – fünf Jahre nach Unterzeichnung des Friedensabkommens – machte sich eine Gruppe aus Landwirt:innen, Forscher:innen, Wildhüter:innen, ehemaligen Guerilleros und Mitarbeiter:innen des WWF Kolumbien auf den Weg, das Gebiet zu erkunden. Es ist die erste umfassende Bestandsaufnahme des Artenreichtums in dem ehemaligen Konfliktgebiet, das noch immer die Spuren des Krieges trägt.

Expedition in den Nationalpark Cordillera de los Picachos, Kolumbien © Pablo Mejía /WWF Colombia
Expedition in den Nationalpark Cordillera de los Picachos, Kolumbien © Pablo Mejía /WWF Colombia

Insgesamt 23 Menschen haben sich zusammengefunden, um etwas über die Artenvielfalt im Nationalpark Cordillera de los Picacho herauszufinden. Es sind die ersten Zivilist:innen, die hierherkommen.

Lange betrat niemand das Gebiet – zu gefährlich –, es sei denn sie waren Verbündete der Guerilla. Jetzt sind es ehemalige FARC-Guerilleros, die die Gruppe durch den dichten und bergigen Dschungel führen. Sie kennen das Gebiet gut, lange war es Umschlagplatz für ihre Geschäfte.

Hier zu sein ist ein Privileg

Allein die Tatsache, jetzt hier sein zu können, es in dieses Gebiet geschafft zu haben, erzeugt ein Gefühl der Freude bei den Expeditionteilnehmer:innen. Ihre Aufgabe: ein Inventar der biologischen Vielfalt der Region zu erstellen. Sie sind auf der Suche nach den Säugetieren, Amphibien, Reptilien, Pflanzen, Schmetterlingen und Fledermäusen, die so viele Jahre zwischen Schützengräben, Tunneln, Kämpfen und Bombardierungen lebten.

Der Dschungel im Nationalpark Cordillera de los Picachos ist dicht und durchzogen von felsigen Schluchten. In diesem unwegsamen Gelände brachten die Wissenschaftler:innen Kamerafallen an und nutzten dazu das Wissen der Ex-Guerillas. „Sie haben Informationen, die für uns sehr wertvoll sind. Sie zeigen uns Orte, an denen sie die Tiere schon einmal gesehen haben“, erzählt Miguel Rodríguez, wissenschaftlicher Leiter der Stiftung La Palmita. „Wir sind hier, um gemeinsam etwas aufzubauen.“

Alle Teilnehmer:innen der Expedition – Biolog:innen, Bewohner:innen des Bauernreservats Pato-Balsillas, Ranger:innen des Nationalparks, Forscher:innen der Stiftung La Palmita und Mitarbeiter:innen des WWF – teilen die Begeisterung darüber, ein Gebiet zu erforschen, in dem nur wenige zuvor waren. Angeführt von den einzigen Menschen, die unauslöschliche Erinnerungen an die Pfade und Wege in dem Gebiet haben, die einst dem Krieg dienten – den Ex-Guerilleros.

Lokales Wissen stärken

26 Amphibienarten fanden die Forscher im Nationalpark Cordillera de los Picachos © Pablo Mejía / WWF Colombia
26 Amphibienarten fanden die Forscher im Nationalpark Cordillera de los Picachos © Pablo Mejía / WWF Colombia

Eine der Säulen der Expedition, die dank des IKI Projekts „Protected Areas & Peace“ möglich wurde, ist es, die lokale Bevölkerung mit Wissen um den Reichtum der Natur zu versorgen, die sie umgibt. „Protected Areas & Peace“ will Schutzgebiete bewahren und die Gemeinden, die darin und darum herum liegen, bei der Verwaltung und Gestaltung der Schutzgebiete einbeziehen.

„Ein solcher Prozess schafft einen wertvollen Dialog zwischen der lokalen Bevölkerung, Forscher:innen und anderen Teilnehmer:innen. Die während der Expedition gesammelten Informationen können zum Beispiel für wissenschaftliche Sammlungen und universitäre Forschungen genutzt werden. Und sie dienen dazu, gemeinsame Vereinbarungen zum Schutz der Wälder zu treffen und die Bevölkerung und künftige Tourist:innen für den Naturschutz zu sensibilisieren", sagt David Fajardo vom WWF Kolumbien.

Ein weiteres Ziel der Expedition war es, die lokalen Teilnehmer:innen in der Feldarbeit zu schulen – ihnen also zu zeigen wie sie Tiere beobachten, Proben sammeln und biologische Informationen verarbeiten. Auf diese Weise konnten sie bereits während der Expedition Erfahrungen sammeln, die sie später nutzen können, zum Beispiel um Angebote für nachhaltigen Öko-Tourismus zu entwickeln.

WWF Deutschland

Immenser Artenreichtum

Brauner Wollaffe im Nationalpark Cordillera de los Picachos, Kolumbien © Pablo Mejía /WWF Colombia
Brauner Wollaffe im Nationalpark Cordillera de los Picachos, Kolumbien © Pablo Mejía /WWF Colombia

248 Pflanzenarten, 376 Schmetterlingsarten, 26 Amphibienarten, 10 Reptilienarten, 275 Vogelarten, 30 mittelgroße und große Säugetierarten und 36 Fledermausarten zählten die Forscher:innen bei der Expedition im Nationalpark Cordillera de los Picachos.

„Es ist eine Region mit großer Artenvielfalt“, erzählt Miguel Rodríguez. „Aber man darf nicht vergessen, dass wir nur wenige Tage unterwegs waren. Und dennoch sind wir uns bei den Säugetieren sicher, dass es sich hier um das artenreichste Gebiet des Amazonasvorlandes handelt.“

„Um eine Vorstellung zu bekommen: Wir haben hier Spuren von Jaguaren und Brillenbären gefunden. Und auch vom Ozelot, einer vom Aussterben bedrohten Art, für die es nur wenige Nachweise im Anden-Amazonasgebiet gibt“, erklärt Miguel Rodríguez.

In einer nächsten Phase des Projekts wird das wissenschaftliche Team die Ergebnisse der biologischen Charakterisierung mit der Gemeinde besprechen. Auf Basis dieser Gespräche wird ein Dokument erstellt, das sowohl den Einheimischen als auch den Besucher:innen ihre Rolle bei der Erhaltung des Picachos und seines Einflussgebiets verdeutlichen soll.

Schutzgebiete stärken Frieden

Dr. Julia Gorricho, Kolumbien-Expertin beim WWF Deutschland: „Diese Expedition ist ein klarer Ausdruck für den Aufbau des Friedens in der Region. Sie bringt verschiedene Akteur:innen zusammen, die sich damals nicht einig waren. Und die nun gemeinsam an der Verwirklichung von Zielen wie dem Schutz dieses ökologisch wichtigen Gebiets arbeiten und über Alternativen nachdenken, die den Menschen ein besseres Leben ermöglichen.“

Das Projekt wird von der Internationalen Klimainitiative (IKI) des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bauwesen und nukleare Sicherheit (BMUB) gefördert und in Zusammenarbeit mit den Nationalparks in Kolumbien umgesetzt.

Mit Ihrer Hilfe schützen wir den Regenwald und helfen den Menschen vor Ort:

  • Protected Areas & Peace

    Mit der Initiative „Protected Areas & Peace“ unterstützt der WWF die kolumbianische Regierung dabei, den Frieden im Land voranzubringen und zu erhalten. Und zwar durch die Förderung von Friedens- und Naturschutzinitiativen. Weiterlesen ...

  • Der Nationalpark Chiribiquete © Luis Barreto / WWF-UK Chiribiquete: Waldvernichtung bedroht Naturparadies

    Auf den ersten Blick machen die Zahlen Hoffnung: Zwischen 2018 und 2019 ist die Entwaldung im Chiribiquete Nationalpark von 2.191 auf 820 Hektar zurückgegangen. Doch Abholzung bleibt eine latente Bedrohung für das Naturparadies. Weiterlesen ...

  • Naturpark Sierra de la Macarena © Laura Valencia / WWF Colombia Naturpark Sierra de La Macarena

    Die Lage in der Sierra de La Macarena in Kolumbien ist trotz des 2016 unterzeichneten Friedensvertrags angespannt. Die Konflikte zwischen FARC und der kolumbianischen Regierung halten an. Weiterlesen ...

  • Demonstration in Kolumbien © IMAGO ZUMA Wire Podcast: Brennpunkt Kolumbien

    Kolumbien kommt nicht zur Ruhe. In dieser explosiven Lage ist der Schutz der einmaligen Natur noch einmal eine besonders schwere Aufgabe. Weiterlesen ...