Als Rémy Piero seinen Beruf als Mechanik-Designer im Silicon Valley begann, hätte er sich nie träumen lassen, dass er eines Tages mit einem Schneemobil durch die verschneite Tundra rasen würde, um eine Eisbärin mit ihren Jungen nicht aus den Augen zu verlieren. Doch es kam anders: Rémy Piero entwickelt nun gemeinsam mit dem WWF und anderen Ingenieuren einen neuartigen Ohren-Sender, der es Wissenschaftlern ermöglicht, die Wanderungen von Eisbären effektiver zu erforschen – und sie zu schützen: den (B)ear (Bear und Ear (Ohr) Tag (Sender).

Eine zentrale Fragestellung für den Schutz der Eisbären ist es, herauszufinden, wie die Tiere ihr Verhalten aufgrund des Klimawandels ändern müssen und ob sie überleben. Mit Hilfe von GPS-Sendern, die den Tieren angelegt werden, können Wissenschaftler einzelne Tiere verfolgen. Doch bis jetzt war es nur möglich, ausgewachsene Weibchen über einen längeren Zeitraum zu überwachen, da nur bei ihnen die GPS-Halsbänder halten. Die Frage ist aber: Was passiert mit dem schnell wachsenden Nachwuchs? Der WWF unterstützt Projekte vor Ort, die diese Frage aber bis jetzt nicht vollständig beantworten konnten. Neue Lösungen mussten her.

Arktis macht erfinderisch

Rémy Piero ist Designer und entwickelt den „(B)ear-Tag" © Elisabeth Kruger / WWF
Rémy Piero ist Designer und entwickelt den „(B)ear-Tag" © Elisabeth Kruger / WWF

Deshalb startete der WWF vor vier Jahren ein Technologie-Innovationsprojekt, das ein Team aus Ingenieuren, Designern und Einheimischen zusammenbrachte, um eine neue Möglichkeit der Besenderung von Eisbären zu entwickeln und die existierenden GPS-Halsbänder zu verbessern. Die Technologie-Design-Firma IDEO (die z. B. die Apple Computer-Maus designt hatte) konnte dafür gewonnen werden, gemeinsam mit dem WWF an diesem Projekt zu arbeiten. Ein deutscher Mitarbeiter der Firma, Jörg Student, kontaktierte seinen alten Arbeitskollegen, den Designer Remy Piero, und fragte ihn, ob er an dem WWF-Projekt mitwirken wollte. Remy überlegte nicht lange und erzählt hier von dem spannenden Projekt.

Remy und der „(B)ear-Tag"

„Einen neuen Sender für Eisbären zu entwickeln, war etwas ganz Besonderes, die Arbeit war beseelt von dem Respekt, den sowohl die Wissenschaftler als auch die Inuit den Tieren entgegen brachten“, erzählt Remy. „Vorgabe war, die Tiere so wenig wie möglich zu stören. Ein Inuit sagte, dass er die bisher üblichen Halsband-Sender den Bären gegenüber als respektlos empfindet und sie auf ihn unansehnlich und beunruhigend wirken.“

Den Inuit schwebte eine weniger aufdringliche Form der Besenderung vor, die sich nicht anfühlt, als würde man ein wildes Tier „zähmen“. Die Halsbänder haben nicht nur optische und technische Nachteile, sie „halten nicht an männlichen Bären, weil ihre Hälse im Verhältnis zum Kopf zu groß sind. Sie sind unangenehm für die Bären und die Mechanismen, die dafür sorgen, dass die Sender irgendwann automatisch abfallen, versagen manchmal“, erklärt Remy.

Doch Wissenschaftler brauchen konkrete Daten, um das Verhalten der Bären und die Auswirkungen des Klimawandels auf ihre Überlebensfähigkeit besser zu verstehen. Eine andere Lösung musste her: Eine Ohrmarke für Eisbären, ein „(B)ear Tag".

„Auf Initiative des WWF begannen wir zusammen mit IDEO, Misty West und vielen anderen Partnern mit der Entwicklung eines neuen Ortungsgeräts, mit dem Wissenschaftler das Verhalten der Bären in der Wildnis ein ganzes Jahr lang aus der Ferne beobachten können“, berichtet Remy. „Meine Kollegen und ich waren begeistert, mal an etwas anderem als Computertechnologie zu arbeiten, und stürzten uns in das Projekt.“

Herausforderung Arktis

Eisbären auf Eisschollen © Richard Barrett / WWF-UK
Eisbären auf Eisschollen © Richard Barrett / WWF-UK

„Der erste Schritt war, das Innere des Geräts zu entwickeln. Diese Aufgabe nahm unser Projektpartner Misty West, ein Ingenieurbüro, das sich auf Technologien für einen gesünderen Planeten spezialisiert hat. Das Team beschäftigte sich mit verschiedenen Satelliten-, Batterie- und Prozessortechnologien, um ein System zu entwickeln, das in der extremen Umgebung der Arktis funktioniert“, so Remy.

Es gab gleich mehrere Probleme, die gelöst werden mussten: „Batterien funktionieren bei niedrigen Temperaturen schlecht, aber die Kommunikation mit Satelliten benötigt sehr viel Strom und das Gerät muss so klein und leicht wie möglich sein, um die Eisbären nicht zu stören. Jede Menge Tests und Versuche waren nötig, um die perfekte Kombination aus Komponenten zu finden“, erklärt Remy.

„Die letzte große technologische Hürde bestand darin, eine Antenne zu modellieren, die den Weltraum erreicht und nicht in der Kälte abbricht. Wieder einmal schlug Misty West eine clevere Lösung vor, die es uns erlaubte, die Antenne direkt in den Großteil des Geräts einzubetten – so ist sie sie während ihres rauen und stürmischen Lebens am Bärenohr perfekt geschützt.“

Wie fällt die Marke wieder ab?

„Während Misty West am ‚inneren Kern‘ arbeitete, konzentrierte ich mich auf die Frage, wie sichergestellt werden kann, dass die Ohrmarke mindestens ein Jahr lang angebracht bleibt und dann schließlich von ganz alleine abfällt,“ so Remy weiter.

Hier kam Andre Labonte ins Spiel. „Andre hat sein ganzes Leben rund um den Ozean verbracht und stellt seit Jahrzehnten spezielle, auf Zeit ausgelegte Angelgeräte her. Als ich mich mit dem Prozess der galvanischen Korrosion beschäftigte, stieß ich auf seine alte Website. Wenige Wochen später bekam ich ihn ans Telefon und wir sprachen über das Projekt“, schildert Remy.

Wichtig für Andre waren die Eckdaten des Eisbären-Lebensraums: er benötigte Informationen über den Salzgehalt im Meer der Arktis, die durchschnittlichen Luft- und Wassertemperaturen und eine Schätzung der Zeit, die ein Bär beim Schwimmen verbringt. „Das Ziel war, einen Sender zu entwickeln, der zwei bis drei Jahre hält und dann von allein abfällt.

Wie passt der Sender ans Bärenohr?

Eisbär © Richard Barrett / WWF-UK
Eisbär © Richard Barrett / WWF-UK

In der Zwischenzeit waren nun die einzelnen Komponenten, die ein (B)ear -Tag braucht, mehr oder weniger entwickelt. Höchste Zeit zu überlegen, wie sie an ein Bärenohr passen. Remy fuhr in den Zoo von Anchorage, wo ein Eisbär-Männchen für eine medizinische Untersuchung betäubt werben musste. „Ich wollte mir diese Gelegenheit nicht entgehen lassen, stellte mit Hilfe eines 3D-Druckers einen Prototyp der Ohrenmarke her und machte mich mitten im Winter auf den Weg nach Alaska.“

Im Zoo angekommen, schlief der Eisbär bereits. Nachdem der Tierarzt seine Untersuchungen abgeschlossen hatte, war Remy an der Reihe: „Ich maß jeden Aspekt des Ohres. Ich versuchte einen Abdruck davon zu nehmen, schaffte es aber nicht. Ich fühlte, wie steif das Bärenohr ist. Schließlich prüfte ich die Passform meines Prototyps, um zu sehen, wie nahe wir dran waren.“

Aus den Maßen wird ein Modell

Zurück in Reno, Nevada, arbeitete Remy weiter am Sender. „Ich erstellte ein 3D-Modell eines Bärenohrs auf der Grundlage meiner Messungen in Kombination mit 3D-Scans, die wir von einem Zoo erhielten, und arbeitete mit der unglaublichen Modellbau-Crew von IDEO zusammen, um eine Silikonversion eines Ohrs herzustellen. Ich stimmte mich mit Misty West ab, dass die Batterie und die Antenne so gehalten werden, dass sie das Bärenohr umschließen und verhindern, dass sich das Gerät dreht – ein wichtiger Aspekt, der notwendig ist, um die Antenne zum Himmel auszurichten.“

„Das Modell half mir sehr dabei, die Form zu überprüfen, aber nachdem ich Videos von Bären gesehen hatte, die kämpfen, jagen und durch Eisströme schwimmen, wurde mir klar, dass der Sender ein Gehäuse braucht, damit die empfindlichen Teile im Inneren sicher und trocken bleiben“, erklärt Remy.

„Es gibt nicht viele Materialien, die leicht, weiß, sehr haltbar, resistent gegen Kälte und UV-Licht sind und sich nicht störend auf die Funkwellen auswirken. Mir wurde klar, dass ich einen weiteren Experten brauchte, und ich setzte mich mit Al Desito bei Epoxies etc. in Verbindung. Nachdem ich dargelegt hatte, was ich suchte, grenzte er es auf einige wenige wahrscheinliche Kandidaten ein und schickte mir von allen Proben.“

Versuch macht klug

Die Wrangel-Insel in Sibirien © Getty Images
Die Wrangel-Insel in Sibirien © Getty Images

Welches Material geeignet war und wie die einzelnen Komponenten auf dem Trägermaterial im Inneren halten, war der nächste Schritt. „Ich entwarf einen Rahmen, auf den alle Teile geklebt werden sollten, diese sollten dann von einer zweiteiligen Form umschlossen werden. Bei den ersten Versuchen lief es nicht reibungslos. Einige der Materialien wurden beim Aushärten zu heiß und ließen die Form Risse bekommen. Einige von ihnen waren überaus klebrig und weigerten sich, aus der Form herauszukommen, egal wie viel Entformungsspray wir dafür verwendeten. Am Ende landeten wir bei einem Urethan, das in der Kälte ausgezeichnete Materialeigenschaften hatte und mit dem sich leicht genug arbeiten ließ. Wir hatten endlich unseren ersten materialrepräsentativen Prototyp!“

Doch die Freude währte nicht lange. Der Prototyp war zu schwer und das Team musste noch einmal ein paar Schritte zurück gehen und überlegen, wie Gewicht eingespart werden konnte. Das Team nahm viele kleinere und größere Verbesserungen vor, testete neue Materialien und entwickelt das Gerät noch immer weiter.

Bald am Ziel

„95 Prozent des Weges bis zum Ziel, einem funktionierenden (B)ear-Tag, haben wir geschafft, aber es sind immer die letzten fünf Prozent, die 30 Prozent des Aufwands ausmachen“, berichtet Remy. „Meine Arbeit an der ersten Reihe von Prototypen ist weitgehend abgeschlossen. Mit begrenzten Mitteln, begrenzten Ressourcen und einer begrenzten Anzahl von speziellen Mikrochips, die mit den Satelliten kommunizieren, müssen wir sicherstellen, dass alles perfekt funktioniert, bevor wir das Gerät versiegeln: Sobald es versiegelt ist, kann die Elektronik nicht mehr bearbeitet werden. Der letzte Schritt des Anbringens der Tags an den Bären ist ebenfalls ein teurer und bürokratisch anspruchsvoller Prozess, was es umso wichtiger macht, dass wir alles richtig machen“, erklärt Remy.

„Das Projekt (B)ear-Tag war einer der Höhepunkte meiner Karriere. Es hat nicht nur endlose Dinnerparty-Geschichten geliefert, sondern auch meine Grenzen als Mechanik-Designer verschoben. Ich musste all meine Erfahrungen aus verschiedenen Bereichen nutzen und kombinieren: medizinische Geräte, Rennwagen und Unterhaltungselektronik – alles war wichtig. Es war wirklich ein Projekt aus Leidenschaft, bei dem Menschen aus der ganzen Welt ihr Fachwissen und ihre Zeit eingebracht haben und bei dem ich viele interessante, talentierte und brillante Menschen kennengelernt habe. Ich freue mich auf den Tag, an dem wir unsere ersten Pings von den Satelliten erhalten, die uns sagen, dass ein Bär mit (B)ear-Tag in Bewegung ist!

Ein besonderer Dank des Projektteams geht an Tatjana Schauer und ihre Familie, die als Partner des Living Planet Clubs diese innovative Entwicklung tatkräftig und mittelfristig unterstützen.

26.06.2023 Update: WWF Russland verlässt internationales WWF-Netzwerk

Die russische Generalstaatsanwaltschaft hat am 21. Juni 2023 die Aktivitäten des World Wide Fund for Nature (WWF) in Russland für „unerwünscht“ erklärt. Diese Entscheidung folgt auf eine bereits im März bekannt gegebenen Verlautbarung, in welcher der WWF als «ausländischer Agent» eingestuft wurde.

Der WWF Deutschland und das gesamte, weltweite WWF-Netzwerk sind erschüttert darüber, dass unsere gemeinsame Naturschutzarbeit als „auf dem Territorium der Russischen Föderation unerwünscht“ eingestuft wird. Infolgedessen und mit sofortiger Wirkung hat der WWF Russland die schwierige Entscheidung getroffen, nicht länger Teil des WWF-Netzwerks zu sein.

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  • Eisbärin mit zwei Jungtieren © Richard Barrett / WWF-UK Arktis

    Die Arktis gehört zu den am wenigsten vom Menschen erschlossenen Gebieten auf der Erde - geprägt von einem hochempfindlichen Ökosystem. Weiterlesen ...