Man hört sie, aber man sieht sie nicht. Rundum pfeifen und keckern Vögel, weiter links ein entferntes Fauchen und der Alarmruf einer Mangabe. Das ist die Geräuschkulisse des Salonga-Nationalparks. Es ist ein Ort, an dem die Tiere im Verborgenen leben.

Biomonitoring im Salonga-Nationalpark

Seit den frühen Morgenstunden ist WWF-Mitarbeiter Samy Matungila mit einem sechs köpfigen Team plus Koch und einem Dutzend Trägern im Dickicht des Urwalds unterwegs. In den Baumkronen über ihnen knarzt es, im Laub am Boden raschelt es. Auf einer kleinen Waldlichtung tanzen Schmetterlinge und über dem Pfad vor ihnen Mücken. Mehr nicht. Dabei wissen sie: Hier leben Bonobos, Antilopen und sogar Waldelefanten. Dass insbesondere letztere nur selten jemand zu Gesicht bekommt, ist in diesem Fall eine gute Nachricht: Denn eine Begegnung kann für den Menschen auch gefährlich sein. 

Samy Matungila jedoch ist ruhig und konzentriert. Er kennt sich in Salonga aus. Er war schon 2003 und 2004 bei MIKES dabei – dem „monitoring of illegal killing of elephants“, einer Bestandsaufnahme illegal getöteter Waldelefanten. Samys größte Sorge gilt momentan nicht der Begegnung mit einem Waldelefanten, sondern dem Auffinden der Kamerafallen, die das Team vor drei Wochen in dieser Gegend angebracht hat. Denn er ist mitverantwortlich für das bisher größte Vorhaben zur Erfassung der Tierarten des Salonga-Nationalparks, einem ökologischen Monitoring, oder kurz: Biomonitoring.

160 Kamerafallen

Camp im Wald © Thomas Nicolon
Camp im Wald © Thomas Nicolon

Tierarten erfassen – was sich so leicht sagt, ist in der Realität nicht nur eine wissenschaftliche, sondern auch eine logistische Herausforderung. Erst recht, wenn es um das Monitoring in einem noch ursprünglichen Tiefland-Regenwald inmitten des Kongobeckens geht. Schon die Größe des Südlichen Blocks des Salonga-Nationalparks, in dem das Team von Samy das Monitoring durchgeführt hat, beeindruckt: 17.127 Quadratkiometer – das ist halb so groß wie Belgien. Mehr als ein Jahrzehnt nach dem MIKE-Monitoring haben der WWF und Wissenschaftler:innen renommierter Forschungseinrichtungen zusammen mit der Naturschutzbehörde der Demokratischen Republik Kongo (dem Congolese Institute for Nature Conservation, ICCN) über Monate hinweg das Biomonitoring geplant und durchgeführt. Erste Daten wurden federführend vom Max Planck Institut und der Universität München analysiert. Allein die Erhebung der Daten im Feld beanspruchte schon 18 Monate: 160 Kamerafallen kamen an 743 Orten zum Einsatz. Dabei wurden 16.700 Videoclips aufgezeichnet. Insgesamt wirkten an dem Projekt mehr als 700 Personen mit, die fast ausschließlich aus den Gemeinden rund um den Park stammen. All das für ein Ziel: ein verlässliches Bild über die Artenvielfalt in diesem Teil des Salonga-Nationalparks zu erhalten.

Denn diese Artenvielfalt gilt es zu schützen – als nationales Erbe der Demokratischen Republik Kongo und als Welt-Naturerbe-Gebiet für die gesamte Menschheit. Die Daten, regelmäßig erhoben, liefern Forscher:innen und Naturschützen dringend benötigte Informationen: Ist Salonga nach wie vor ein sicherer Ort für Bonobos oder nimmt deren Bestand ab? Haben die Schutzmaßnahmen gegriffen, so dass es wieder mehr Waldelefanten gibt? Leben hier gar Tierarten, die noch gar nicht entdeckt wurden und für die ein besonderer Schutz vonnöten ist?

Die Ernte der Bilder

Biomonitoring Mitarbeiter Samy © WWF DRC
Biomonitoring Mitarbeiter Samy © WWF DRC

Samy hofft, dass die Kameras gute Bilder geliefert haben und beim Schutz des Salonga-Nationalparks helfen. Noch ein paar Meter, dann müssten sie die erste Kamerafalle an diesem Tag erreicht haben. Es ist anstrengend, sich seinen Weg durch die dichten Bäume, Sträucher und Schlingpflanzen zu bahnen. Es liegt Spannung in der Luft, aber auch so etwas wie Vorfreude. Die Kameras waren jetzt 25 Tage an ihrem Standort. Heute werden die Videos gesichert. Was wird darauf zu sehen sein? Was tut sich hier Tag und Nacht? Die Antwort auf diese Fragen muss im Moment noch auf sich warten lassen.

Mit Hilfe seines GPS-Gerätes hat Samy die ersten beiden Kameras geortet und die Männer beginnen mit ihrer Arbeit im schwülen Dschungel. Sie werden an diesem Tag noch weitere Kamerafallen aufsuchen, die sich im Abstand von sechs Kilometern auf den Transekten befinden. Diese Transekte waren zuvor am Computer geplant worden und liegen wie ein virtuelles Raster über diesem Teil des Urwaldes.

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Die Kameras arbeiten synchron

Doch wie lässt sich von Kamerafallenbildern auf die Häufigkeit und Dichte von Tierarten schließen? Ein Foto allein verrät noch nichts darüber, wie häufig das jeweilige Motiv, zum Beispiel ein Kongopfau, in einer Landschaft ist. Der Clou an der Methode des Biomonitorings in Salonga ist ebenso einfach wie genial: Die Kameras im untersuchten Gebiet sind alle zur gleichen Zeit aktiv. Nur in diesem Zeitraum kann die Kamerafalle durch Bewegungen ausgelöst werden. Sie filmt nun das Geschehen in ihrer Umgebung, so dass immer dann, wenn ein Tier vorbeikommt, Videos von der Waldfläche entstehen. Bei der Auswertung der Daten werden jedoch nur zeitlich vorgegebene Schnappschüsse berücksichtigt. Zum Beispiel alle fünf Sekunden innerhalb des definierten Zeitfensters. Das hat einen entscheidenden Vorteil: Jedes Individuum wird nur einmal zum Zeitpunkt einer gegebenen Momentaufnahme gezählt - es kann nicht an verschiedenen Orten zur gleichen Zeit sein!

Nach mehreren Tagen im Dschungel von Salonga ist Samy zurück in der Basis. Er steckt eine Speicherkarte in den Laptop auf seinen Knien, und die Daten von einer Kamerafalle auf einer Waldlichtung laden hoch. Doppelklick auf die Datei, und die ersten Videosequenzen werden abgespielt. Nichts, … ein wackelndes Blatt, ... wieder nichts.

Doch dann der Ausruf: „Super, das ist fantastisch“. Samy beugt sich nach vorne und starrt gebannt auf das Video. Am Bildschirmrand steht das Aufnahmedatum und Uhrzeit: 3 Uhr am Morgen. Vor dem dunklen Hintergrund zeichnet sich klar eine große, graue Gestalt ab. Ein Waldelefant blickt in Richtung Kamera und beginnt dann zu fressen. „Er rupft mit seinem Rüssel Gras ab und steckt es sich in den Mund. Er frisst, ganz friedlich“, kommentiert Samy das Geschehen. Nach der anstrengenden Zeit im Dschungel beginnt dieser neue Arbeitstag in Salonga mit einem wunderschönen Moment.

Neue Methode bringt Licht ins Dunkel des Urwaldes

Erwischt: Ein Pangolin klettert den baum hoch © SNP-Survey
Erwischt: Ein Pangolin klettert den baum hoch © SNP-Survey

Hinter dem Namen „Camera Trap Distance Sampling“ (kurz CTDS) verbirgt sich ein methodischer Ansatz, der Bewährtes weiterentwickelt hat und in der Folge zu völlig neuen Erkenntnissen geführt hat. Zum Einsatz kommen Kamerafallen, die in der Feldarbeit seit Langem erprobt sind. Anders jedoch als bislang üblich erfolgt die anschließende Auswertung der erhobenen Daten. Mit der neuen Methode gelingt nun nicht mehr nur der Nachweis, dass eine bestimmte Art vorhanden ist; jetzt können zu unterschiedlichsten Tierarten zusätzlich zum Beispiel Aussagen über ihre jeweilige Dichte und Populationsgröße getroffen werden. Bei der Arbeit mit Kamerafallen war dies bislang nur bei solchen Arten möglich, die beispielsweise anhand ihrer Fellzeichnung individuell zu identifizieren sind.

Mit dem groß angelegten Biomonitoring im Salonga-Nationalpark liegen nun erstmals Bestandsschätzung zu Tierarten wie dem Riesenschuppentier oder dem Kongopfau vor – Arten also, die im Verborgenen leben und deren Individuen sich nicht markant voneinander unterscheiden. Das ist ein Meilenstein für die Bemühungen zu ihrem Schutz! 43 Arten wurden mit der neuen Methode allein im Südblock des Salonga-Nationalparks nachgewiesen. Ausführliche Analysen von 14 ausgewählten Arten führten zu Schätzungen von Populationsdichten und Populationsgrößen – Daten, die auch in die von der IUCN geführte „Rote Liste der gefährdeten Arten“ einfließen.

Das Potenzial der neuen Methode besteht darin, dass nun eine schnelle Schätzung der Bestandszahlen von Tierarten möglich ist und Entwicklungstrends sichtbar werden, sofern das Monitoring in regelmäßigen Abständen wiederholt wird - oder idealerweise sogar kontinuierlich durchgeführt wird, sofern genügend Kamerafallen verfügbar sind. Das ist von großem Wert in einer Zeit, in der sich die Umweltbedingungen rasch ändern und die Zeit zu handeln drängt.

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