Im kolumbianischen Amazonasgebiet erleben Mensch und Natur seit Jahren eine sich verschärfende Krise: Menschenrechte werden missachtet, Raubbau an der Natur wird betrieben. Mit der Unterzeichnung des Friedensabkommens im Jahr 2016 keimte Hoffnung in den Menschen auf. Hoffnung, in Frieden zu leben und Hoffnung, den Regenwald und seinen einzigartigen Artenreichtum zu erhalten.

Gruppe Waldschützer:innen in Kolumbien © Luis Barreto / WWF UK
Gruppe Waldschützer:innen in Kolumbien © Luis Barreto / WWF UK

Eine aktuelle Studie des WWF in Zusammenarbeit mit der Denkfabrik adelphi, der kolumbianischen Nichtregierungsorganisation FIP und der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt zeigt: Die Entwaldung schreitet rasant voran und auch die Gewalt gegen Menschen nimmt zu. 

Kolumbien gehört weltweit zu den gefährlichsten Ländern für Menschen, die sich für Natur- und Umweltschutz einsetzen. Es gibt Auswege aus der Situation, doch um den Weg des Friedens zu bestreiten, braucht es internationale Anstrengungen und die Unterstützung der Regierung.

Die Wurzeln für die derzeitige Krise in Kolumbien reichen tief und sind weit verzweigt. Es sind zum anderen die mehr als 50 Jahre andauernden bewaffneten Konflikte, die das Land erschüttert und zutiefst verletzt haben. Zum anderen ist es die Misswirtschaft und die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen. Hinzu kommen tiefgreifende soziale, wirtschaftliche und politische Ungleichheiten.

Mit der Unterzeichnung des Friedensabkommens 2016 hat sich die Dynamik des Konflikts und der Umweltzerstörung erheblich verändert: Ein komplexes und sich ständig veränderndes Netzwerk bewaffneter Gruppen, privater Akteur:innen und korrupter Beamter nutzte das Machtvakuum, das durch die Demobilisierung und Entwaffnung der FARC in einigen Gebieten entstanden war, um ihre illegalen Machenschaften auszuweiten. Infolgedessen haben Ausmaß, Intensität und Geschwindigkeit der Zerstörung im kolumbianischen Amazonasgebiet zugenommen.

Mehr Zerstörung, mehr Gewalt

Entwaldung im kolumbianischen Amazonas © Luis Barreto / WWF UK
Entwaldung im kolumbianischen Amazonas © Luis Barreto / WWF UK

Die Ausbeutung von Ressourcen und illegale wirtschaftliche Aktivitäten, insbesondere der Anbau von Kokapflanzen, der unregulierte Goldabbau, die Viehzucht und die Landwirtschaft haben auf der einen Seite zu mehr Umweltzerstörung und Entwaldung geführt. Auf der anderen sind diese Aktivitäten auch Ursache für mehr Gewalt:

Lokale Gemeinschaften, Nichtregierungsorganisationen und staatliche Einrichtungen, die sich um den Schutz des kolumbianischen Amazonasgebiets bemühen, geraten bei ihrer Arbeit immer häufiger mit mächtigen und schwer bewaffneten Gruppierungen in Konflikt. Im besten Fall werden sie lediglich an ihrer Arbeit gehindert, im schlimmsten Fall bedroht, missbraucht oder gar getötet.

Im Jahr 2020 schrieb Kolumbien einen traurigen Rekord: 65 von weltweit 227 getöteten Umweltschützer:innen verloren in Kolumbien ihr Leben. Menschen, die daran arbeiteten, eine gerechtere und friedlichere Zukunft für die lokale Bevölkerung aufzubauen und den Regenwald für uns alle zu erhalten.

„Die Hoffnungen auf Frieden und Sicherheit haben sich mit dem Waffenstillstand von 2016 leider nicht erfüllt. Stattdessen hat sich die Krise noch verschärft. Wir sehen, wie Umweltzerstörung und der erbarmungslose Kampf um Ressourcen die Lebensgrundlagen unzähliger Menschen im Land vernichten. Gleichzeitig treibt die Waldzerstörung die weltweite Klimakatastrophe an.“

Dr. Julia Gorricho, Südamerika-Referentin

Zerstörung heizt Klimakatastrophe an

Felsenhahn in Kolumbien © Luis Barreto / WWF UK
Felsenhahn in Kolumbien © Luis Barreto / WWF UK

Die konfliktbedingte Verschlechterung der Ökosysteme des Amazonasgebiets trägt zum globalen Klimawandel bei, denn die Wälder verlieren ihre Fähigkeit, Kohlenstoff zu speichern. Gleichzeitig sind die Ökosysteme in einem schlechten Zustand, wodurch lokale Gemeinschaften anfälliger gegenüber den Auswirkungen des Klimawandels werden: Sie kommen mit den Veränderungen im Wasserkreislauf, höheren Temperaturen und immer häufiger auftretenden Extremereignissen nur schlecht zurecht.

Je länger diese Krise anhält, desto stärker werden die Auswirkungen des Klimawandels sein und desto mehr werden die Ökosysteme, Institutionen, Führungspersönlichkeiten und Gemeinschaften geschwächt, die entscheidend für die Durchbrechung dieses Teufelskreises sind.

Wege aus der Krise

„Wir brauchen Wege aus der Gewalt und der Zerstörung,“ so Dr. Julia Gorricho. „Wir müssen dringend auf die Sicherheits-, Menschenrechts- und Umweltkrise im Amazonasgebiet reagieren, bevor Degradation und Entwaldung einen Wendepunkt erreichen, bevor die Welt eine wichtige Kohlenstoffsenke verliert und die Menschen vor Ort ihre Lebensgrundlagen.“

Dies kann nur gelingen, wenn die verschiedenen Dimensionen der Krise angegangen werden:

  • Umweltschützer:innen und lokale Gemeinschaften besser schützen

Diese Aufgabe hat oberste Priorität und muss mehr politische Aufmerksamkeit erhalten und besser finanziert werden. Bereits bestehende Vereinbarungen müssen gestärkt werden.

  • Entwaldung und illegale Aktivitäten bekämpfen

Wenn Entwaldung und andere illegale Aktivität wirksam bekämpft werden sollen, braucht es einen umfassenden Ansatz. Bisherige Erfahrungen aus dem Militär- und Sicherheitsbereich müssen kritisch analysiert und mit Umweltaspekten verknüpft werden. Der neue Ansatz muss die Ursachen des Konflikts und der Umweltzerstörung mit einbeziehen und vertrauensbildende Maßnahmen auf der einen sowie funktionierende Strafverfolgung auf der anderen Seite beinhalten.

  • Umwelt- und Klimapolitik stärken

Umwelt und Konflikt sind in Kolumbien eng miteinander verwoben. Eine erfolgreiche Umwelt- und Klimapolitik muss deshalb sensibel für die Besonderheiten der Region sein. Maßnahmen zum Klima- und Umweltschutz tragen aktiv zur Schaffung und Erhaltung des Friedens bei. Umwelt- und Klimapolitk müssen deshalb in eine allgemeine Friedensstrategie einbezogen werden.

  • Rolle lokaler Gemeinschaften beim Schutz der Umwelt anerkennen und stärken

Jede Lösung für die Krise im kolumbianischen Amazonasgebiet muss mit den Bedürfnissen und Perspektiven der lokalen Gemeinschaften vereinbar sein. Ihr Engagement ist unerlässlich, um die natürlichen und kulturellen Reichtümer des Amazonasgebiets zu schützen und nachhaltige Lebensgrundlagen zu entwickeln.

  • Krisenursachen beseitigen, Resilienz gegenüber Klimawandel und Konflikten schaffen

Die oben vorgeschlagenen Maßnahmen können nur dann erfolgreich sein, wenn sie in eine langfristige Strategie für Frieden und Sicherheit eingebettet sind. Eine solche Strategie sollte einen Plan für die Zuteilung von Ressourcen aufstellen, der auf die allgemeinen sozialen und wirtschaftlichen Bedürfnisse der ländlichen Gemeinden im Amazonasgebiet eingeht und gleichzeitig das Vertrauen und die Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden und dem kolumbianischen Staat wiederherstellt.

„Die dringendste Aufgabe ist es aktuell, die Menschen vor direkter Gewalt zu schützen“, so Dr. Julia Gorricho. „Das erreicht man jedoch nicht nur durch Bekämpfung der Kriminalität. Die sozialen Konflikte des Landes können nur entschärft werden, wenn gleichzeitig die Armut zurückgedrängt wird und sich neue Perspektiven für die Menschen eröffnen. Wichtig ist auch, dass die lokalen Gemeinschaften im Amazonasgebiet größere Unterstützung erhalten, damit sie sich besser vor den gesellschaftlichen Konflikten und den Folgen der Erderhitzung schützen können.“

Mit Ihrer Hilfe schützen wir den Regenwald und helfen den Menschen vor Ort:

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