Lange Zeit standen Menschen, vor allem die Benachteiligten, im Zentrum seiner Arbeiten. Mit seinem Foto-Projekt "Genesis" veränderte er den Fokus und portraitierte die Erde und ihre Natur in all ihrer Ursprünglichkeit. Salgado ist nicht nur einer der bekanntesten Fotokünstler der Welt, er ist zugleich ein engagierter Naturschützer. Wiederaufforstung ist dabei sein Leitthema. Über sein Engagement haben wir am Rande eines Berlin-Besuchs mit dem brasilianischen Starfotografen gesprochen.
Seine schwarz-weißen Aufnahmen von Menschen in afrikanischen Flüchtlingscamps, dramatische Fotos vom Kampf gegen brennende Ölquellen und beeindruckende Bilder von Arbeitern in den brasilianischen Goldminen machten ihn weltberühmt: Sebastião Salgado.
Sebastião Salgado, wie verwandelt man sich von einem Fotografen in einen Umweltschützer?
Ich wurde bei meiner Arbeit, insbesondere in Afrika, mit unfassbarem Leid und Gewalt konfrontiert. Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus, wurde krank und zog mich ganz von der Fotografie zurück, zumindest für eine Weile. In dieser Zeit vermachten mir meine Eltern, die schon sehr alt waren, die Farm unserer Familie. Zuerst dachte ich, ich würde jetzt Bauer, doch das Land war völlig degradiert und zerstört. Da kam meine Frau Lélia auf die wunderbare Idee, den Wald, der hier mal stand, wieder anzupflanzen. Mit Hilfe von sehr klugen Forstwirten und der Unterstützung der Menschen vor Ort starteten wir unser Projekt. Ich glaube, unter all den Dingen, die ich und meine Frau in unserem Leben geleistet haben, war es das Größte und Wichtigste, diesen Wald wiederzubeleben. Wir pflanzten mehr als 2,5 Millionen Bäume! Und mit ihrem Wachstum kam all das Leben zurück. Ameisen, Termiten, Vögel, jede Menge Leben. Es ist wunderbar. Es ist phantastisch zu spüren, dass diese Bäume Frucht deiner Anstrengungen sind, dem Ineinandergreifen von Ideen, dem Kampf, die nötigen Gelder zu organisieren und Menschen zu überzeugen.
Die Bulcão-Farm ist ein inspirierendes Beispiel, dass ein Comeback der Natur möglich ist. Wie sehen Sie das Verhältnis von Renaturierung und dem klassischen Naturschutz, also der Bewahrung dessen, was noch vorhanden ist?
Überall, wo der Homo sapiens aufgetaucht ist, hat er Zerstörung hinterlassen. Wir haben große Teile unseres Planeten verwüstet. Vor allem die tropischen Wälder sind bedroht. Deshalb ist es natürlich sehr wichtig, das, was noch da ist, zu bewahren. Aber die Renaturierung ist ebenso wichtig. Die einzige Überlebenschance für unsere Art ist es, große Teile von dem, was wir zerstört haben, wieder zu beleben. Nehmen Sie das gewaltige Problem der Treibhausgase. Die einzige „Maschine“, die in der Lage ist, Kohlendioxyd in Sauerstoff umzuwandeln, sind die Bäume. Je mehr Bäume wir pflanzen, desto sauberer wird die Luft. Wälder sind entscheidend für den Wasserhaushalt des Bodens. Wir verlieren das Wasser, wenn wir die Abholzung nicht stoppen.
Sie waren im Rahmen ihrer Fotoreportagen immer wieder in Kontakt mit indigenen Völkern. Können wir im Umgang mit der Natur von diesen Menschen lernen oder ist das nur eine romantische Vorstellung?
Ich komme gerade aus dem Amazonas zurück, wo noch viele Indigene leben. Im Grunde unterscheidet sich ihr Verhalten nicht grundlegend von unserem. Aber sie können noch im Gleichgewicht mit der Natur leben. Der Grund dafür ist ihre überschaubare Zahl. Der Mensch ist überall gleich. Wir sind im Grunde alle Raubtiere.
Das klingt ernüchternd.
In dem Moment, als ich die Hoffnung für meine Art aufgab, habe ich meine Hoffnung in das Leben all der anderen Arten gesetzt. Die Menschen neigen dazu, nur sich selbst für wichtig zu halten. Aber andere Wesen, Ameisen, Termiten oder Schildkröten sind genauso wichtig. Wir sind alle zusammen Teil des Lebens auf diesem Planeten. Tiere, Pflanzen, Mineralien, alles Teil eines großen Systems.
Wenn Sie drei Wünsche frei hätten, was würden Sie sich wünschen?
Bäume pflanzen! Wir hinterlassen überall auf der Welt Wüsten. Ich bin vor kurzem in Indien von Bangalore nach Delhi geflogen: kein Baum, nirgends. Spanien war noch vor 500 Jahren ein gigantischer Wald. Er hat sich in eine gigantische Wüste verwandelt. Zwischen Washington und San Francisco: eine vom Menschen geschaffene Wüste. Wir haben die Ressourcen, das Geld und die technischen Möglichkeiten, diesen Trend umzukehren. Wir müssen aufforsten. Wir müssen Ökosysteme wieder beleben. Nur so können wir das Leben auf der Erde so organisieren, dass wir überleben, andernfalls wird es sehr schwierig.
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