Im Projekt „Territories of Life“ kombiniert der WWF durch biokulturelles Monitoring das indigene Wissen mit technologiegestützten Forschungsmethoden. Ziel ist es, die Autonomie indigener Gemeinschaften zu stärken, ihre Kultur zu beleben und Ökosysteme zu schützen.

Interessiert lauschen die Teilnehmer:innen den Ausführungen des Teamleiters
Interessiert lauschen die Teilnehmer:innen den Ausführungen des Teamleiters © WWF Kolumbien

„Territorium ist nicht gleich Land. Es ist der Geist, die Geschichte, es ist alles, was wir sind. Es ist der Ort, an dem unsere Verstorbenen wandeln und unsere Träume Gestalt annehmen.”

Diese Worte, ausgesprochen von einem der Dorfältesten während eines Treffens indigener Beobachter:innen des kolumbianischen Amazonasgebiets im April 2025, hallten bei vielen Beteiligten lange nach. Ebenso poetisch wie prägnant fassten diese die tiefe Verbundenheit indigener Völker mit ihrem Lebensraum zusammen.

Vertreter:innen verschiedener Gemeinschaften aus Putumayo, Vaupés, Vichada und Guainía hatten sich in der Region Estrella Fluvial de Inirida zusammengefunden, um sich miteinander auszutauschen.

Begleitet wurden sie dabei von den Organisationen CEMI, ETNOLLANO und WWF Kolumbien, die in diesen Regionen mit ihnen im Projekt „Territories of Life“ zusammenarbeiten.

 

Das mystische Grenzgebiet zwischen Venezuela und Kolumbien: Estrella Fluvial Inírida © Christhian Pimiento / WWF Kolumbien
Das mystische Grenzgebiet zwischen Venezuela und Kolumbien: Estrella Fluvial Inírida © Christhian Pimiento / WWF Kolumbien

Was ist die Estrella Fluvial de Inírida?

Die Estrella Fluvial de Inírida (EFI) ist ein einzigartiges Gebiet im Herzen des kolumbianischen Amazonas.

Es ist ein riesiges Mosaik aus Wäldern, Savannen und Feuchtgebieten, in dem drei unterschiedlich gefärbte Flüsse zusammenfließen und den Orinoco speisen. Es ist ein wichtiges Gebiet für den Erhalt der biologischen Vielfalt.

Im Jahr 2014 wurde die Region aufgrund ihres Arten-, Wasser- und Kulturreichtums als Ramsar-Gebiet ausgewiesen; eine Auszeichnung für Feuchtgebiete von internationaler Bedeutung. Das ausgewiesene Gebiet umfasst 253.000 Hektar und beherbergt mehr als 900 Pflanzenarten, mehr als 470 Vogelarten, mehr als 470 Fischarten, 200 Säugetiere und 40 Amphibien.

Land der Vielfalt

Kolumbien ist ein Land der Vielfalt. Es verfügt über die meisten Arten pro Quadratmeter. Mehr Vogel-, Amphibien-, Schmetterlings- und Froscharten als irgendwo sonst auf der Welt leben dort. Vielfältig ist das südamerikanische Land aber auch, was Ethnien und Kulturen angeht. Die lokalen Gemeinschaften lassen sich 115 indigenen Völkern zuordnen.

Das WWF-Projekt „Territories of Life“ will indigene Gemeinschaften in ihrer Autonomie und kulturellen Vielfalt stärken und so ihre Lebensgrundlage verbessern. Umgesetzt wird das Projekt vor Ort vom WWF Kolumbien und zwei Partnerorganisationen, dem CEMI und der Stiftung Etnollano.

Ziele des biokulturellen Monitorings

Der Teamleiter erklärt den Teilnehmer:innen die Tragweite von biokulturellem Monitoring
Der Teamleiter erklärt den Teilnehmer:innen die Tragweite von biokulturellem Monitoring © WWF Kolumbien

Biokulturelles Monitoring ist dabei ein zentrales Werkzeug. Es hilft den Gemeinschaften dabei, Veränderungen in ihrer Umwelt frühzeitig zu erkennen, Risiken einzuschätzen und fundierte Entscheidungen zu treffen, um sowohl die biologische Vielfalt als auch ihre kulturelle Identität zu schützen.

Es fördert die Selbstverwaltung der Territorien, stärkt die Verbindung zwischen den Menschen und ihrem Land und unterstützt ökologische Schutzmaßnahmen.

Begegnung von Wissen und Erinnerungen

Vertreter:innen aus indigenen Gemeinschaften fahren gemeinsam über die Flüsse, um sich über die Bedeutung ihrer Territorien auszutauschen
Vertreter:innen aus indigenen Gemeinschaften fahren gemeinsam über die Flüsse, um sich über die Bedeutung ihrer Territorien auszutauschen © WWF Kolumbien

In Estrella Fluvial de Inirida wurde Chicha und traditionelles Mambe gereicht – ein grünes Pulver aus gerösteten Kokablättern, das mit Yarumo-Asche oder anderen Pflanzen gemischt wird – und die Teilnehmer:innen erzählten von ihren Wurzeln, den Geschichten ihrer Vorfahren, den Gebieten, um die sie sich kümmern, und wie das Wissen der Ältesten ihre Reisen leitet. Mit Booten fuhren sie über die Flüsse Inírida, Guaviare und Atabapo und tauschten sich über die Bedeutung von Territorien für indigene Völker aus. 

Thematisiert wurde aber auch, was diese bedroht. Bergbau, Holzeinschlag, Drogenhandel, Extraktivismus und staatliche Vernachlässigung haben massive Folgen für die Gemeinschaften und ihre Lebensräume. Umso wichtiger erscheinen Formen des Widerstands, die Selbstverwaltung, Monitoringsysteme, traditionelle Medizin und Selbstfürsorge umfassen. 

Beobachtung und Dokumentation

Indigene Vertreter:innen sammeln ihr Wissen und diskutieren neue Ansätze
Indigene Vertreter:innen sammeln ihr Wissen und diskutieren neue Ansätze © WWF Kolumbien

Biokulturelles Monitoring ist ein Prozess, der durch Beobachtung, Dokumentation und territoriales Management entwickelt wird. Zu einem wirkungsvollen Instrument sowohl zur Stärkung indigener Kultur wie auch zum Schutz der Ökosysteme wird es durch die Kombination aus indigenem Wissen und technologiegestützten Forschungsmethoden.

Beim biokulturellen Monitoring werden vielfältige Daten darüber gesammelt, wie gesund ein Ökosystem ist, vor allem aber wird untersucht, was dies für die Menschen bedeutet, die davon und damit leben. Die Ergebnisse stärken Gemeinschaften und unterstützen sie dabei, ihren Lebensraum dauerhaft zu schützen. Nutzen können sie diese außerdem als Grundlage einer politischen Interessenvertretung.

In Kolumbien findet biokulturelles Monitoring in drei Regionen zwischen dem Amazonas und dem Orinoco statt, jeweils angepasst an die Bedürfnisse der Gemeinschaften.

Themen des biokulturellen Monitorings

Der Fluss Inírida aus der Vogelperspektive
Der Fluss Inírida aus der Vogelperspektive © Cristhian Alfonso Pimiento / WWF Kolumbien

Auf Ernährungssicherheit zielt das Monitoring ab, wenn etwa der lokale Gemüseanbau oder Zustand und Gesundheit von Fischbeständen betrachtet werden.

Viele lokale Gemeinschaften fertigen handwerkliche Produkte aus Naturmaterialien an, sodass ökonomische Sicherheit direkt vom Zustand des Ökosystems abhängt. Aufschlussreich können hier beispielsweise Daten über die Dichte und Gesundheit eines Waldes sein.

Zeremonien begleiten nach wie vor den Alltag vieler Gemeinschaften. Um diese kulturell zu erhalten, wird durch ein biokulturelles Inventar analysiert, welche Objekte oder Materialien aus Tier- und Pflanzenwelt benötigt werden, um das Abhalten der Zeremonien auch in Zukunft zu sichern.

Austausch von Erfahrungen, Wissen und spirituellen Praktiken

Indigene Gemeinschaften teilen ihre spirituellen Praktiken
Indigene Gemeinschaften teilen ihre spirituellen Praktiken © WWF Kolumbien

Bei dem Treffen im April 2025 wurden erste Erfahrungen ausgetauscht, die in den einzelnen Gemeinschaften mit biokulturellem Monitoring bereits gemacht wurden. Konkret ging es dabei um Fische, Wildtiere, Bienen und Pflanzen, um traditionelle Tänze und spirituelle Praktiken, vor allem aber um bedeutsames Wissen, das nur erhalten werden kann, wenn die Kreisläufe der Natur respektiert werden.

Eine Frau aus Putumayo, die der ethnischen Gruppe der Murui-Muina angehört, sprach von den Samen, die sie bei sich trug und mit Menschen aus anderen Dörfern teilte. Eine andere beschrieb die Methoden ihres Dorfes zur Beobachtung von Geburten und Bewegungen von Wildtieren, wobei sowohl auf das Wissen der Ältesten zurückgegriffen als auch Hilfsmittel wie GPS-Geräte oder Kamerafallen eingesetzt werden.

„Wir haben erkannt, dass alles beobachtet werden kann, wenn wir es aus unserer Weltanschauung heraus betrachten, dem Chagra, den Liedern, den Tänzen, den Besuchen der Geister. Alles zählt, wenn man nicht nur mit dem Auge eines Menschen, sondern auch mit dem Geist erkennen kann.“

José Mariano Rodríguez aus der Stadt Tatuyo del Vaupés

Kommunikation öffnet Wege für die Zukunft

„Territories of Life“ lebt von dem Dialog zwischen den indigenen Gemeinschaften. Durch die Gespräche der Vertreter:innen wurde nicht zuletzt deutlich, dass biokulturelles Monitoring als eine Art und Weise verstanden werden kann, in der Welt zu sein, sich um sich zu kümmern, Widerstand zu leisten und Zukunft zu sichern.

Von der Zusammenkunft in Estrella Fluvial de Inirida nahmen am Ende alle etwas mit: Samen für Gemüse, Lieder, neue Allianzen und die Überzeugung, dass wenn Wissen mit Respekt geteilt wird, der Amazonas gestärkt wird.

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