Tiger müssen wandern. Im Norden Indiens bietet eine ganze Reihe von Nationalparks den Großkatzen die Weite, die sie brauchen. Doch die Wälder dazwischen sind vor Schnellstraßen und Eisenbahntrassen nicht gefeit: Sogenannte lineare Infrastrukturprojekte zerschneiden die Wege und Lebensräume der Tiger, Elefanten und vieler weiterer Arten. Der WWF geht auf verschiedene Weise dagegen an.

Hilfe für Elefantenmutter und Kalb

Unterführungen helfen © WWF Indien
Unterführungen helfen © WWF Indien

Der Rajaji Nationalpark in Nordindien liegt am Fuße des Himalajas, wo sich Wälder, Grasland und Gebirgsausläufer treffen. Hier leben Tiger, Elefanten, Leoparden und andere gefährdete Arten.

Nicht weit entfernt sind jedoch die Großstädte Haridwar, Rishikesh und Dehradun – Hauptstadt des Bundesstaats Uttarakhand. Die Autobahn, welche diese Städte mit Delhi verbindet, durchschneidet den Nationalpark und trennt zwei wichtige Waldgebiete für wandernde Wildtiere, insbesondere für Tiger und Elefanten.

Welchen Eingriff solch eine Straße für die Wanderungen der Tiere bedeutet, wurde besonders deutlich, als eine Elefantenmutter mit ihrem Kalb anderthalb Tage am Rand der Schnellstraße wartete, um einen sicheren Moment zum Überqueren zu finden. Tagsüber rauschte enormer Verkehr vorbei, nachts kamen die Lastwagen. Erst als der WWF eingriff, und die Polizei die Straße sperrte, konnten die Elefanten die Straße sicher queren.

Autobahn in wertvoller Naturregion

Die Rettung der Elefanten im Rajaji Nationalpark ist nur eines von vielen dramatischen Beispielen. Hunderte andere Tiere hatten kein Glück und starben bei dem Versuch, die Autobahn zu überqueren – darunter Elefanten, Tiger und Leoparden in großer Zahl.

Durch langjährige und flächendeckende Forschung konnte der WWF belegen, wie stark die Autobahn die Wildtiere beeinträchtigt, und dass sie direkt in ihrer Wanderroute liegt. Auf Basis unserer wissenschaftlichen Erhebungen haben wir den Bau von Unterführungen und Wildtierbrücken politisch durchgesetzt.

Der Rajaji Nationalpark liegt in der Terai Arc Landschaft, einer der weltweit wichtigsten Ökoregionen entlang der Ausläufer des Himalajas in Indien und Nepal. Ein ganzes Netz aus Schutzgebieten und verbindenden Korridoren soll die wertvolle Landschaft und ihre einzigartige Tierwelt langfristig erhalten. „Besonders Tiger kommen hier in großer Dichte vor und können sich Schutzgebiets- und grenzüberschreitend genetisch vielfältig vermehren – vorausgesetzt, sie werden nicht überfahren“, so Katjuscha Dörfel, Asien-Referentin beim WWF Deutschland.

Doch Indiens Streben nach wirtschaftlicher Entwicklung manifestiert sich im ambitionierten Ausbau seiner Infrastruktur, der auch vor Wanderkorridoren zwischen Schutzgebieten nicht Halt macht.

„Wenn Entscheidungen über neue Straßen oder andere Infrastrukturprojekte gefällt werden, muss der Naturschutz seine Argumente längst parat haben.“

Katjuscha Dörfel, Asien-Referentin beim WWF Deutschland.

Rechtzeitige Forschung kann das Schlimmste verhindern

„Wenn seitens der Regierung Entscheidungen über neue Straßen oder andere Infrastrukturprojekte gefällt werden, zählt jeder Tag. Dann muss der Naturschutz seine Argumente längst parat haben.“ Katjuscha Dörfel betreut die Projekte des WWF Deutschland in Indien. Viele der Nationalparks und Schutzgebiete in der Terai Arc Landschaft sind WWF-Projektregionen.

„Mit großflächiger Forschung und einem Netz aus Kamerafallen überwachen wir die Areale, um genau zu wissen, wo die Tiere wandern.“ So Dörfel. Die wissenschaftlichen Daten und Analysen liefern entscheidende Argumente gegen zukünftige Infrastrukturprojekte in wichtigen ökologischen Gebieten. Dazu gehören auch Studien darüber, wie viele Wildtiere durch die vorhandene Infrastruktur bereits regelmäßig getötet werden.

Kann eine neue Straße oder Bahnlinie nicht gänzlich verhindert werden, setzt der WWF sich für Wildtier-Unter- und Überführungen ein, für Tempolimits und Warnsysteme oder auch für eine andere Route der geplanten Infrastruktur.

Auch Eisenbahntrassen zerschneiden die Wälder

Eisenbahnlinie Terai Arc © Katjuscha Dörfel / WWF
Eisenbahnlinie in der Terai Arc © Katjuscha Dörfel / WWF

Nicht nur Autobahnen, sondern auch Eisenbahntrassen schlagen in der indischen Terai Arc Landschaft Schneisen durch ökologisch sensible Gebiete: Knapp 300 Kilometer südöstlich des Rajaji Nationalparks liegt das Pilibhit Tiger Schutzgebiet, das wie die gesamte, fruchtbare Landschaft am Fuße des Himalajas durch eine Vielzahl von Lebensräumen aus Feuchtgebieten, Savannen und dichten Wäldern geprägt ist.

Doch mitten durch diese Wälder führt eine gigantische Eisenbahntrasse. Entlang der Trasse konnte der WWF ebenfalls erreichen, dass Unterführungen und Brücken für Wildtiere gebaut werden. Zudem arbeitet der WWF mit der indischen Eisenbahngesellschaft „Indian Railways“, um Hotspots für Kollisionen zwischen Elefanten und Zügen zu ermitteln und die Gefahr zu verringern.

Zu den Maßnahmen gehören Tempobeschränkungen, Frühwarnsysteme, die Überwachung von Wildtieren entlang der Bahnstrecken sowie Schulungen und die Sensibilisierung des Zugpersonals.

Das Problem ist nicht auf Indien beschränkt

Der Ausbau linearer Infrastruktur betrifft etliche Naturregionen unserer Erde.

Sogar die abgelegenen Lebensräume der Schneeleoparden in der Mongolei, denn das Land hat ambitionierte Zukunftspläne für neue Schnellstraßen und Bahnlinien. Der WWF hat die vorhandenen Pläne analysiert und ermittelt, dass zum Beispiel 478 Kilometer geplante Bahntrassen durch Gebiete der Schneeleoparden verlaufen sollen. Betroffen sind auch Wildschafe, Gazellen und viele weitere Tiere. Auf Initiative des WWF müssen Straßen und Bahntrassen nun zumindest sicher eingezäunt und in Mindestabständen Unterquerungen verbaut werden.

Der WWF setzt sich weltweit gegen lineare Infrastrukturen wie Straßen, Eisenbahnen oder Pipelines in empfindlichen Ökoregionen ein – auch im Amazonasgebiet und verschiedenen Teilen Afrikas. Durch Forschung, intensive Lobbyarbeit, rechtliche Schritte und öffentliche Kampagnen lassen sich Neubauten verhindern oder zumindest deren Umweltauswirkungen erheblich reduzieren.

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