Anfang November 2020 machten Forschungstaucher der Kieler Firma Submaris während einer WWF-Aktion zur Bergung von Geisternetzen eine sensationelle Entdeckung. In der Geltinger Bucht in der Ostsee stießen sie auf ein Gerät, welches auf den ersten Blick wie eine Schreibmaschine aussieht.
Seit 75 Jahren lag sie auf dem Grund der Ostsee und wurde jetzt von Tauchern, die im Auftrag des WWF unterwegs waren, gefunden. Die legendäre ENIGMA diente den Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg zur Verschlüsselung ihrer Funksprüche.
Doch der Entdecker Dr. Florian Huber ist nicht nur Forschungstaucher, sondern auch Unterwasserarchäologe. Deshalb war ihm schnell klar, dass der Fund etwas ganz Besonderes sein musste. „Als Unterwasserarchäologe habe ich in den vergangenen 20 Jahren schon viele spannende und auch kuriose Funde gemacht. Dass wir aber einmal eine der legendären ENIGMA-Maschinen finden würden, hätte ich mir nicht träumen lassen. Diesen grauen Novembertag werde ich so schnell nicht vergessen. Der Fund ist sowohl geschichtlich als auch archäologisch extrem interessant“, so Huber.
Verlassene Netze als tödliche Falle
Die eigentliche Mission von Huber und seinen zwei Kollegen war an diesem Tag das taucherische Verifizieren von zuvor mit dem Seitensichtsonar gefundenen Netzverdachtspositionen. Mit ihrem motorisierten Katamaran „Mola Mola” wollte das Team sogenannte Geisternetze bergen. Diese Netze sind unüberwachte Fischernetze, die eine tödliche Falle für Fische, Meeressäuger und Seevögel darstellen und als Plastikmüll die Meere belasten. Zum umweltverträglichen Aufspüren der Netze setzt der WWF modernste Technik ein. Mit einem auf Schall basierenden Gerät wird der Meeresgrund nach den Netzen abgesucht und die Verdachtspositionen anschließend von Tauchern begutachtet.
Mit Unterstützung des Umweltbundesamtes und der Postcode Lotterie konnten dieses Jahr 35 Sonartage in der deutschen Ostsee realisiert werden.
Das Wort ENIGMA ist Griechisch und bedeutet Rätsel. Die gleichnamige Chiffriermaschine hat der deutsche Ingenieur Arthur Scherbius erfunden.
Bereits seit 2013 ist der WWF gegen Geisternetze in der Ostsee aktiv. Mit verschiedenen Methoden werden die Netze geborgen – bisher wurden knapp 20 Tonnen Netzmaterial und Schrott zutage gefördert. „Dabei finden wir regelmäßig größere Objekte, an denen sich die Netze unter Wasser verheddern. Solche sogenannten „hook points“ sind häufig Baumstämme oder Steine. Die ENIGMA ist allerdings mit Abstand der historisch spannendste Fund, den wir je hatten“, erklärt Gabriele Dederer, Geisternetz-Referentin beim WWF Deutschland.
Über 200 deutsche U-Boote versenkt
Obwohl diese Maschinen damals in sehr hoher Stückzahl produziert wurden, sind sie heute sehr selten und historisch bedeutsam. Doch wie kommt die Codierungsmaschine auf den Grund der Ostsee? „Im April 1945 gab es den Befehl, dass sich alle Kriegsschiffe selbst versenken sollten, damit sie nicht in Feindeshand geraten. Dabei haben sich über 200 deutsche U-Boote versenkt, etwa 50 davon in der Geltinger Bucht in der Ostsee”, weiß Archäologe Huber.
Dieser sogenannte Regenbogen-Befehl der deutschen Kriegsmarine wurde von Großadmiral Karl Dönitz, der im April 1945 die Nachfolge Hitlers antrat, veranlasst. Dr. Florian Huber vermutet, dass die ENIGMA über Bord geworfen wurde und so auf dem Meeresgrund landete. „Wir sind völlig zufällig auf dieses Gerät gestoßen, das ist ein guter Tag für uns!”, erzählt er noch an Bord des Bergungsschiffes.
Unterwegs mit dem Katamaran auf der Suche nach Geisternetzen
Wie geht der WWF mit historischen Funden um?
In Fällen wie diesem arbeitet der WWF eng mit den Archäologische Landesämtern und dem Munitionsbergungsdienst von Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein zusammen. „Finden wir historische Objekte, geben wir die Positionen direkt an die Ämter weiter. Diese kümmern sich dann um die weiteren Untersuchungen,“ so Gabriele Dederer. Die mit dem WWF-Sonar generierten Aufnahmen werden in der WWF Geistertaucher-App veröffentlicht.
Die ENIGMA aus der Geltinger Bucht kommt nun in die Restaurierungswerkstatt des Museums für Archäologie in Schleswig. Dort soll sie weiter untersucht und konserviert werden. Die Mission Geisternetze geht selbstverständlich weiter – wer weiß, was die Taucher bei ihrer nächsten Bergungsfahrt entdecken ...
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