Auf einer Weide im Osten Brandenburgs grast friedlich ein Herde Rinder. Nichts scheint daran ungewöhnlich – bis das Auge an einem riesigen Geweih hängenbleibt, das über die Rinderköpfe hinausragt. Bert ist wieder zu Besuch.

Bert hat in der Region eine gewisse Prominenz erreicht, weil er regelmäßig zur Brunftzeit die Nähe der Rinderherde aufsucht. Das ist deshalb eine kleine Sensation, weil Elche genau wie die Wisente seit Mitte des 20. Jahrhunderts in Deutschland eigentlich ausgestorben sind. Zwar finden immer wieder einzelne Elche von Polen kommend den Weg in die ostdeutschen Bundesländer, die wenigsten halten sich hier aber dauerhaft auf. Auch Wisente streifen nicht weit entfernt von der deutschen Grenze durch Polen. Zuletzt überquerte 2017 ein Tier die Oder bis ins brandenburgische Lebus, wurde aber nach kurzer Zeit von einem Jäger auf Anweisung des Ordnungsamtes erschossen. Der Abschuss des streng geschützten Tieres wurde zwei Jahre später vom Brandenburger Justizministerium für illegal erklärt.

Elchsichtungen sind in Deutschland eine Seltenheit. © Michael Gandl
Elchsichtungen sind in Deutschland eine Seltenheit. © Michael Gandl

Dass Besuche von Elchen in den letzten Jahren häufiger werden, ist eine Bestätigung dafür, was jetzt eine Studie von Wissenschaftler:innen des Geographischen Instituts der Humboldt-Universität zu Berlin ergeben hat: In Deutschland gibt es genug Platz und geeigneten Lebensraum für die Rückkehr von Elchen und Wisenten. Damit hätten selbst die Expert:innen nicht gerechnet. „Uns hat überrascht, wie viele ökologisch geeignete Lebensräume wir für beide Arten identifizieren konnten“ fasst Hendrik Bluhm, Doktorand am Geographischen Institut und Leiter der Studie, zusammen. Gemeinsam mit Partner:innen aus Deutschland, Polen, Tschechien, Österreich und Schweden hat das Forschungsteam den bisher größten Datensatz zum Vorkommen von Wisent und Elch in Mitteleuropa analysiert und dabei geeignete Regionen ausgemacht.

Wo Elche und Wisente wieder heimisch werden könnten

Besonders im Nordosten Deutschlands wie der Schorfheide und Uckermark oder der Mecklenburgischen Seenplatte, aber auch in den deutschen Mittelgebirgen wie Harz, Spessart, Thüringer Wald oder Pfälzerwald gibt es weitläufige Gebiete, die für Elch und Wisent attraktiv sein können. Wisente und Elche bevorzugen abwechslungsreiche Landschaften, die sich aus Wäldern und offenen Flächen wie zum Beispiel Lichtungen und Wiesen sowie Feuchtgebieten zusammensetzen. Sie sind anpassungsfähige Tiere, die sich recht flexibel auf unterschiedliche Umweltbedingungen einstellen können.

Potentielle Lebensräume von Wisent und Elch © Geographisches Institut der Humboldt Universität zu Berlin
Potentielle Lebensräume von Wisent und Elch © Geographisches Institut der Humboldt Universität zu Berlin

Für den Natur- und Artenschutz sind das gute Nachrichten, die Hoffnung machen, dass Deutschland an die Erfolge osteuropäischer Länder anknüpfen könnte. Denn Wisente sind bedroht und nach der europäischen FFH-Richtlinie streng geschützt. Die internationale Naturschutzbehörde IUCN stuft ihren Status als gefährdet ein. Der gesamte heutige Wisent-Bestand von rund 7.200 Tieren in freier Wildbahn geht auf nur etwa zwölf Exemplare zurück, die in Gefangenschaft überlebt haben und ausgewildert wurden. Für den Elch gilt nach dem Bundesjagdgesetz eine ganzjährige Schonzeit. Wenn neue Lebensräume für diese Tierarten gefunden werden, kann das ein erster Schritt sein, ihren Bestand zu stabilisieren und ihre Ausbreitung zu fördern.

Elche und Wisente schaffen Raum für Artenvielfalt

Elche und Wisente sind nicht nur massive und faszinierende Säugetiere. Sie erfüllen auch wichtige ökologische Funktionen. Als große Pflanzenfresser können sie in Wäldern Lichtungen, Heiden und andere offene Flächen schaffen, auf denen sich andere Tier- und Pflanzenarten ansiedeln. So gestalten sie strukturreiche Landschaften und leisten einen Beitrag zur Sicherung der Artenvielfalt.

Zäune und Straße verhindern die Ausbreitung der Tiere

Wildtiere im Straßenverkehr © Staffan Widstrand / WWF
Wildtiere im Straßenverkehr © Staffan Widstrand / WWF

Die Studie macht aber auch Hindernisse aus, die die Rückkehr von Wisenten und Elchen erschweren. Vor allem die Zerschneidung der Landschaft durch Autobahnen und Schnellstraßen, die von meterhohen Zäunen und Lärmschutzwänden umgeben sind, könnte eine Ausbreitung der Tiere verhindern. Auch der Ausbau von Grenzzäunen an der EU-Außengrenze und der Zaun zur Eindämmung der Afrikanischen Schweinepest, der genau im Bereich der westlichen Verbreitungsgrenze von Wisent und Elch liegt, könnten die Einwanderung der Tiere behindern. „Aus naturschutzfachlicher Sicht ist dies wirklich problematisch“, fasst Prof. Kümmerle, Mitautor der Studie, zusammen. „Wanderungsbewegungen sind wichtig, um den genetischen Austausch zwischen Populationen zu sichern und Wildtieren eine Anpassung an den Klimawandel zu ermöglichen“.

So können wir Elch und Wisent unterstützen

Wisent-Herde im Bialowieski-Nationalpark in Polen © Klein & Hubert / WWF
Wisent-Herde im Bialowieski-Nationalpark in Polen © Klein & Hubert / WWF

Abhilfe könnten hier Grünbrücken über Schnellstraßen schaffen, mit deren Hilfe Elch und Wisent die Straßen gefahrlos überqueren können. Oberste Priorität muss die Vernetzung von Lebensräumen haben. Dazu ist auch eine länderübergreifende und langfristige Kooperation mit Partnern auf der polnischen Seite wichtig.

„Wo Wanderkorridore fehlen, könnten Auswilderungsprojekte die Rückkehr von Elch und Wisent beschleunigen. Dies sollte insbesondere dort erfolgen, wo unsere Karten wenig Konfliktpotenzial mit Menschen vorhersagen.“ so Blum.

In Deutschland sind bis auf weiteres keine Auswilderungen von Elchen oder Wisenten geplant. Der WWF hat aber bereits gute Erfahrungen mit der Wiederansiedlung von Wisenten im Kaukasus gemacht. Dort steht die Mehrheit der Bevölkerung der Rückkehr der großen Wildrinder in ihren natürlichen Lebensraum positiv gegenüber.

Entscheidend ist die gesellschaftliche Akzeptanz

In Deutschland blickt man traditionell eher skeptisch auf die Rückkehr von zuvor ausgestorbenen Wildtieren. Manche Landwirt:innen fürchten zertrampelte Felder, Waldbesitzer:innen sorgen sich um Fraßschäden an Bäumen, Kommunen vermuten eine Gefährdung für die Menschen vor Ort. Alle Interessensgruppen sowie die lokale Bevölkerung müssen deshalb in die Debatte einbezogen, informiert und auch über vorbeugende Maßnahmen aufgeklärt werden. Wo dennoch Schäden entstehen, muss die Möglichkeit von Ausgleichszahlungen eingerichtet werden.

„Die entscheidende Frage ist nicht, ob diese Arten bei uns genügend Platz haben werden, sondern vielmehr, wo wir Menschen ihnen die Rückkehr erlauben und wie wir mit Konflikten, die beispielsweise mit der Forstwirtschaft entstehen können, umgehen.“

Samantha Look / WWF Deutschland

Ob Elch Bert in Brandenburg eine Artgenossin findet und ob Wisente in unseren Wäldern in Zukunft wieder eine Heimat finden, ist also vor allem eine Frage des gesellschaftlichen und politischen Willens.

So können Sie helfen

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