Das Auftauen des Permafrostes und das Verschieben der Baumgrenze werden ganze Landschaftsbilder für Rentiere und Karibus verändern. Steigende Meere und häufigere Sturmfluten werden die Brutgebiete vieler Vogelarten auch in Europa zerstören. Die Eisschmelze und der Anstieg des Meeresspiegels sind selbst für anpassungsfähige Tiere eine Katastrophe.
Schon im nächsten Jahrzehnt könnten der Nordpol und die arktischen Meere im Sommer komplett eisfrei sein, wie Expert:innen aktuell prognostizieren. Damit sieht die Zukunft für die arktische Tier- und Pflanzenwelt welt düster aus. Eisbär, Walross und anderen Tieren der Arktis schmilzt ihr Lebensraum buchstäblich unter den Pfoten beziehungsweise Flossen weg.
Es wird eng für den König der Arktis
Bis 2050 könnte ein Drittel der weltweiten Eisbärpopulationen verschwunden sein, wenn das Packeis weiter schmilzt. Auf dem Eis jagen Eisbären nach Robben und suchen nach einer Partnerin oder einem Partner. Im Sommer muss er nun an Land wochenlange Hungerperioden überstehen. Denn der arktische Sommer wird immer länger, das Eis auf dem Meer zieht sich rasant zurück.
Plötzlich gibt es sogar Gebiete, in denen Eisbären auf Braunbären und Schwarzbären treffen und zu Nahrungskonkurrenten werden könnten, wie im Wapusk-Nationalpark in der kanadischen Hudson Bay.
Verliert der Eisbär seine Jagdgründe auf dem Eis und findet weniger Futter, kommen auch weniger junge Eisbären zur Welt und die Sterblichkeit der Jungtiere steigt. Er muss auf das Land ausweichen, wo er auch auf Müllhalden und in Dörfern nach Futter sucht. Gefährliche Situationen, bei denen hungrige Eisbären sich Menschen nähern und dann oft zum Selbstschutz erschossen werden müssen, nehmen stetig zu. Im August 2020 kam bei einem solchen Eisbärangriff ein Mann auf einem Campingplatz auf Spitzbergen auf tragische Weise ums Leben.
Eisbärenmütter sind für den Bau von Schneehöhlen für die Geburt und Aufzucht ihrer Jungen auf ungestörte Gebiete an Land angewiesen. Umso wichtiger ist es, diese Kinderstuben unter Schutz zu stellen.
Gefährliches Gedränge – Walrosse an den Küsten der russischen Arktis
Wie der Eisbär lebt auch das Walross auf dem Eis. Riesige Walrosspopulationen von insgesamt 200.000 Tieren leben in der Laptewsee sowie im Beringmeer und der Tschuktschensee, die sich normalerweise in kleinen Gruppen auf den Eisschollen verteilen.
Der Rückzug des Packeises führt dazu, dass sie sich nun zu Tausenden an sogenannten Haulout-Plätzen an der Küste sammeln. Diese Rückzugsorte der Walrosse sind oft so überfüllt, dass es immer wieder zu Stress- und Fluchtsituationen und zum Erdrücken von Jungtieren kommt. Nahe dem ostsibirischen Dorf Wankarem lagerten im Frühjahr 2020 über 10.000 Tiere, weil sie nicht auf das Packeis ausweichen konnten. Dabei wurden hunderte Walrosse erdrückt.
Rentierkälber in Not
Die wilden Rentiere in Nordeuropa und Sibirien sowie ihre nordamerikanischen Verwandten, die Karibus, wandern von ihren Winterweiden im Süden nahe der Waldgrenze über mehr als tausend Kilometer zu ihren Sommerweiden nahe der Küste im Norden, wo sie die frischen Pflanzen der sommerlichen Tundra fressen können. Dort bekommen sie auch in angestammten Gebieten ihre Jungen.
Tauen die Flüsse zu früh im Jahr auf, müssen die neugeborenen Kälber die breiten Ströme mit der Herde durchschwimmen. Viele der Jungen unterkühlen dabei, werden geschwächt, driften ab oder ertrinken. Auf ihren Wanderrouten sind Rentiere außerdem auf weitläufige, nicht von Pipelines, Bahngleisen oder Industrieanlagen zerteilte Areale angewiesen.
Narwal, Beluga und Grönlandwal
Narwale suchen unter dem Packeis Zuflucht vor Orcas. Von Belugawalen weiß man, dass sie unter dem Eis mehr als 1.000 Meter tief tauchen, um Nahrung zu finden. Zum Atmen tauchen sie in einem sich ständig verändernden Mosaik aus Rissen, Löchern und Brüchen im Eis wieder auf.
Der beeindruckende Grönlandwal kann mit seinem Kopf sogar bis zu 30 Zentimeter dicke Eisschichten durchbrechen. Seine Bestände haben sich noch immer nicht vollständig von den Hochzeiten des Walfangs erholt. Heute stellen Forscher:innen fest, dass einige Grönlandwale durch fehlendes Eis bereits ihre Wandermuster ändern. Doch das könnte sie einem größeren Risiko durch Schiffe aussetzen.
Um so mehr, da mit dem Schwinden des Eises die Arktis immer zugänglicher wird für den Schiffsverkehr. Schiffe bedeuten jedoch Lärm, der sich auch unter Wasser fortträgt. Da Wale über Schall kommunizieren, kann ihre Fähigkeit, Nahrung und Partner zu finden, zu navigieren, Raubtiere zu meiden und sich um Junge zu kümmern, durch Schiffslärm beeinträchtigt werden. Auch die Gefahr von Kollisionen mit Schiffen erhöht sich, genau wie die Verschmutzung mit Plastikmüll und Öl- oder Treibstoffaustritten.
Das Schwinden des Eises und wärmere Meere könnten auch dazu führen, dass sich das Nahrungsangebot in den arktischen Meeren verändert, Fischschwärme ihre Wanderrouten ändern oder bestimmte Arten gar nicht mehr vorkommen. Ob die Wale der Arktis sich diesen Veränderungen anpassen können, ist ungewiss.
Kein Platz für Zug- und Küstenvögel?
Auf den Inseln, Halligen und an den Wattenmeerküsten der Nordsee sammeln sich jedes Jahr im Frühling und Herbst rund zehn Millionen Watvögel, Enten und Gänse, um sich für den weiten Flug in ihre Brutgebiete oder Winterquartiere genug Kalorien anzufuttern. Unermüdlich sieht man sie dann in großen Gruppen im Watt und auf Salzwiesen nach Essbarem stochern.
Wenn das Meer zu schnell steigt, gehen diese überlebenswichtigen Nahrungsflächen für Alpenstrandläufer, Knutt und andere Langstreckenzieher unwiederbringlich verloren. Für den bei uns wohl bekanntesten Küstenvogel, den Austernfischer, und eine Million weiterer Vögel sind Watt und Wiesen aber nicht nur Nahrungsflächen, sondern auch Brutplätze. Mit dem Ansteigen des Meeresspiegels und der zunehmenden Überschwemmung durch Sturmfluten ist die Aufzucht ihrer Jungen bedroht.
„Ruhe bitte!“ – Schutzgebiete für bedrohte Arten
Wir brauchen jetzt dringend gut miteinander vernetzte und großflächige Schutzgebiete, die der Tierwelt als Rückzugsorte für die Anpassung an den Klimawandel dienen. Auch die arktischen Meere müssen vor industrieller Ausbeutung geschützt werden und Ruhezonen für Meeressäuger und Fischschwärme bieten. Daran müssen Naturschutzverbände, lokale Gemeinden und Politik über Ländergrenzen hinweg zusammenarbeiten.
Mithilfe von Patenschaften und Spenden konnten beispielsweise in Kanada wichtige Schutzprojekte realisiert werden. Mithilfe von GPS-Sendern wird in der Hudson Bay derzeit erforscht, wie Eisbären auf einen veränderten Lebensraum reagieren, aber auch, wann und wo sie sich Siedlungen nähern und wie Menschen am besten geschützt werden können, ohne den Eisbären zu schaden.
Um Konflikten zwischen Menschen und Eisbären vorzubeugen, führt der WWF in Kanada Eisbärpatrouillen durch.
Wie Eisbären werden auch Narwale von WWF-Naturschützer:innen mit Satellitensendern versehen, um ihre Wanderungen nachvollziehen zu können und aus den Ergebnissen besonders schützenswerte Meeresgebiete ausmachen zu können.
In Europa wird der Küstenschutz allmählich an die Bedrohungen durch den steigenden Meeresspiegel angepasst. Solche Planungen müssen aber im Einklang mit der Natur geschehen und auf ihre Nachhaltigkeit geprüft werden, anstatt die Natur durch Sperrwerke und Betondeiche noch weiter zu beeinträchtigen.
Das wichtigste Ziel: 1,5 Grad
Um die Schönheit und Einzigartigkeit der arktischen Gebiete für Eisbär, Walross, Rentier und auch das Überleben der örtlichen Indigenen trotz der Eisschmelze zu bewahren, müssen wir schnell handeln. Das wichtigste Ziel muss die Begrenzung der globalen Erderhitzung auf 1,5 Grad Celsius sein. Radikale und schnelle Veränderungen im Energiesektor, bei Landwirtschaft und Verkehr sind dazu notwendig.
Gemeinsam können wir es schaffen, den faszinierenden Tieren der Arktis bei ihrer Anpassung an die Folgen der Eisschmelze zu helfen, vom Meeresspiegelanstieg bedrohte Lebensräume auch bei uns zu schützen und die weitere Zerstörung von Landschaften und die Anheizung des Klimas durch fossile Industrien zu stoppen.
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