26.06.2023 Update: WWF Russland verlässt internationales WWF-Netzwerk
Die russische Generalstaatsanwaltschaft hat am 21. Juni 2023 die Aktivitäten des World Wide Fund for Nature (WWF) in Russland für „unerwünscht“ erklärt. Diese Entscheidung folgt auf eine bereits im März bekannt gegebenen Verlautbarung, in welcher der WWF als «ausländischer Agent» eingestuft wurde.
Der WWF Deutschland und das gesamte, weltweite WWF-Netzwerk sind erschüttert darüber, dass unsere gemeinsame Naturschutzarbeit als „auf dem Territorium der Russischen Föderation unerwünscht“ eingestuft wird. Infolgedessen und mit sofortiger Wirkung hat der WWF Russland die schwierige Entscheidung getroffen, nicht länger Teil des WWF-Netzwerks zu sein.
Ängstlich schaut sich das kleine Rentier auf dem Schlauchboot um, wendet den Kopf zum Flussufer, scheint dann fragend seinen Retter anzublicken. Der hat es mit der rechten Hand fest im Griff und streicht ihm mit der Linken beruhigend über den Rücken.
Der brummende Motor, das hohe Tempo, die menschliche Gesellschaft – diese Art der Flussüberquerung ist für das wenige Wochen alte Rentierjunge zwar beunruhigend, aber lebensrettend. Denn obwohl Rentiere schon kurz nach der Geburt schwimmen können, haben sie im Frühjahr meist noch nicht die Kraft, die kilometerbreiten und eiskalten Flüsse mit ihren Müttern zu durchqueren.
Damit die kleinen Rentiere auf dem Weg zu ihren Sommerweiden nicht zurückbleiben oder ertrinken, setzen die Ranger in der Region Taimyr in der Russischen Arktis immer öfter ihr schwimmendes Rentiertaxi ein.
Der rührende Einsatz ist zum traurigen Symbol einer sich mehr und mehr aufheizenden Arktis geworden. Die Flüsse, die normalerweise im Frühjahr noch zugefroren und problemlos für die riesigen Rentierherden zu überqueren sind, tauen immer früher im Jahr auf und werden zu tödlichen Barrieren für die hilflosen Rentierbabys.
Nur noch halb so viele Rentiere wie 2014
Im August 2021 beobachteten Einwohner:innen aus dem Dorf Khatanga, wie 200 Rentierkälber von ihrer Herde zurückgelassen wurden und bei dem Versuch, den Khatanga-Fluss zu überqueren, qualvoll verendeten.
Und weitere dramatische Nachrichten erreichen uns aus der Region Taimyr im hohen Norden Russlands. Die weltweit größte Rentierpopulation zählte im Jahr 2000 noch eine Million Tiere. Bei der nächsten umfassenden Zählung im Jahr 2014 waren nur noch etwa 417.000 wilde Rentiere übrig.
Neueste Zählungen, die im September 2021 von Flugzeugen aus durchgeführt wurden, zeigen nun Erschreckendes: Es sind nur noch geschätzt 250.000 Tiere übrig. Die Zahlen haben sich nochmal halbiert!
Laut einer Studie russischer Forscher:innen vom September 2019 ist eine der Rentierherden, die Jenissei-Herde, sogar ganz aus Taimyr verschwunden. Eine andere Rentierherde, die Tarey-Gruppe, die im Jahr 2017 noch 44.000 Tiere zählte, reduzierte sich auf nur noch wenige tausend Tiere.
Neben dem Klimawandel ist Wilderei die größte Bedrohung für die Rentiere. Ihre jungen Geweihe gelten als Heilmittel in der Traditionellen Chinesischen Medizin, ihr Fleisch als Delikatesse auf dem asiatischen Markt, und seit einiger Zeit wird auch in russischen Metropolen Rentierfleisch leider immer populärer.
Schutz und Hilfe für die Rentiere von Taimyr
Rentiere wandern über Tausende von Kilometern zwischen ihren Winter- und Sommerweiden. Das macht ihre Beobachtung und Absicherung gegen Wilderei so schwierig.
2018 konnten dank einer Spendenaktion des WWF 40 Rentiere mit GPS-Halsbändern ausgestattet werden. Erst dadurch wurde das Problem der gefährlichen Flussüberquerungen überhaupt sichtbar.
Auch wenn die Maßnahmen offensichtlich immer noch nicht ausreichen und der Druck auf die Rentiere steigt, sind die guten Erfahrungen mit der GPS-Besenderung ermutigend. Die Halsbänder schrecken Wilderer ab und helfen, Rentiere zu lokalisieren und mögliche Bedrohungen früh zu erkennen. Außerdem liefern sie wichtige Informationen darüber, wo genau die Rentiere wandern und wie sich ihre Wanderwege, Kalbungsgebiete, Winter- und Sommerweiden durch Klimawandel und Infrastruktur verändern.
Mit GPS und Rangern gegen die Wilderei
Deshalb möchte der WWF Russland noch mindestens 85 weiteren Rentieren GPS-Halsbänder anlegen. Auch die Anzahl der Ranger:innen in den riesigen Schutzgebieten muss erhöht und ihre Ausstattung verbessert werden.
Wir brauchen noch viel mehr Wissen über die Rentiere, um sie in Zeiten der Klimakrise wirksam zu schützen!
Aktuell wird zudem ein geländegängiger LKW benötigt, in dem mehrere Ranger:innen auch im Winter übernachten und Gebiete über einen längeren Zeitraum hinweg überwachen können.
Lokale Bevölkerung stärken und für Rentierschutz sensibilisieren
Auf der anderen Seite will der WWF noch stärker mit der indigenen Bevölkerung zusammenarbeiten. Rentiere spielen in ihrer Kultur eine wichtige Rolle, und die Menschen vor Ort brauchen alternative Einkommensquellen. Das können zum Beispiel teils verlernte Handwerkstechniken oder die Herstellung von traditioneller Kleidung, warmen Winterschuhen oder nomadischen Zelten sein, die auf lokalen Märkten verkauft werden.
Um Kinder schon in der Schule für die Bedeutung der Rentiere für ihre Region, Kultur und das Ökosystem zu sensibilisieren, fördert der WWF außerdem Bildungsprojekte in der Region.
Trotz des dramatischen Rückgangs ist Taimyr noch immer die Region mit der größten Rentierpopulation der Welt. Helfen Sie uns, dass das so bleibt!