Einzigartig auf der Erde, erzeugen die Tropenwälder des Amazonas etwa die Hälfte ihres Regens durch Verdunstung selbst. Gibt es weniger Bäume, gibt es weniger Regen – und wiederum weniger Bäume. Ein Teufelskreis ohne Entrinnen. „Der Mensch hat den Wasserkreislauf des Amazonas aus dem Gleichgewicht gebracht und wir könnten unmittelbar vor dem sogenannten Kipppunkt stehen, ab welchem sich die Zerstörung verselbständigt und wir sie nicht mehr aufhalten können“, erklärt Roberto Maldonado, Südamerika-Experte beim WWF Deutschland. Wo heute noch Regenwald ist, könnte morgen Savanne sein. Fatal für die Artenvielfalt, fatal für den Menschen, fatal für das Weltklima.
Irgendwann zerstört der Regenwald sich selbst. Dann nämlich, wenn nur noch so wenig von ihm übrig ist, dass es im verbliebenen Wald nicht mehr ausreichend regnet. Im Amazonas ist das bereits deutlich spürbar. Bis 2030 könnte der größte Regenwald der Erde weiträumig absterben.
Ein Urwald vor dem Kipppunkt
Verwundetes Wunder
Unumkehrbare Verluste im Amazonas-Regenwald
Schon seit Jahren jagt in Amazonien eine traurige Rekordmeldung die nächste. Immer heftigere und immer mehr Brände werden gemessen. Jedes Jahr geht mehr Wald verloren. Dahinter stecken Kalkül und das ganz große Geld. Rodung und Brandrodung in großem Stil kennen nur den Wert des Waldes, der von seinen Hölzern, seinen Bodenschätzen und vor allem seiner Fläche als Ackerland ausgeht.
Eine neue Studie des WWF zeigt, dass bereits über ein Drittel der Amazonas-Regenwälder eine kritische Kippschwelle zur Selbstzerstörung erreicht hat. Und knapp zwei Drittel der Wälder sind längst nicht mehr intakt und stabil genug, um wirklich widerstandsfähig zu sein.
Studie: Über ein Drittel des Amazonas auf der Kippe
Wir riskieren den Amazonas - Risking the Amazon ist der Titel der Studie, die das Problem auf den Punkt bringt. Gemessen wurden geringere Niederschläge, zu lange Trockenzeiten und die Entwaldung in den verschiedenen Regionen des Amazonas: Drei Faktoren und Warnsignale dafür, dass der Wald auf der Kippe steht. Fast 35 Prozent des Amazonas-Bioms haben in den letzten zehn Jahren mindestens eine dieser drei Kippschwellen erreicht, teilweise auch mehrere zugleich. Wo Wald und natürliche Vegetation also nicht ohnehin zerstört sind, ist es so trocken, dass hier womöglich sehr bald ebenfalls kein Regenwald mehr wächst.
Die Bedeutung des Amazonas:
Die Amazonas-Regenwälder beherbergen zehn Prozent aller auf der Welt lebenden Arten, binden zwölf Prozent des Süßwassers der Erde und speichern so viel Kohlendioxid wie kein anderes Ökosystem auf den Kontinenten.
Extreme Dürren gefährlicher als gedacht
Auch eine aktuelle Studie von Wissenschaftler:innen der Universität Leuwen in Belgien, sendet Alarmsignale: Die Forscher:innen haben die Dürren der Jahre 2001 bis 2019 untersucht und festgestellt, dass sich der Wald von extremen Dürren deutlich langsamer erholen kann und an Widerstandskraft verliert. Und die Prognosen zeigen, dass Dürren häufiger und extremer werden – so wie die Dürre, die bereits seit 2023 anhält. Schuld daran ist die Klimakrise. Diese wiederkehrenden Störungen könnten dem Amazonas bald zu viel sein. Die Forscher:innen der Universität Leuwen kommen zu dem Ergebnis, dass dieser Trend dazu führen könnte, dass weite Teile des Ökosystems Regenwald bald ihre Funktionalität verlieren – und damit den Kipppunkt erreicht haben.
„Wir spielen mit dem Feuer“
Die Auswirkungen der Entwaldung im Amazonas sind noch tausende Kilometer weiter südlich deutlich zu spüren. Die feuchten Luftströme aus dem Amazonas, die sogenannten fliegenden Flüsse, bringen nicht mehr genug Wasser und sorgen auch in Bolivien, Uruguay, Paraguay und Argentinien für gefährliche Trockenheit. „Wir müssen die Entwaldung des Amazonas sofort um 100 Prozent stoppen“, warnt Roberto Maldonado vom WWF Deutschland. „Wir spielen sonst im wahrsten Sinne des Wortes mit dem Feuer.“ Denn abgesehen von den katastrophalen Folgen für die Bevölkerung Südamerikas und eine weltweit einzigartige biologische Vielfalt, lässt sich ohne den Amazonas auch die Klimakrise nicht mehr aufhalten.
Schon heute ist die globale Erwärmung ein zusätzlicher, entscheidender Faktor, der die Regenwälder Amazoniens ebenfalls auszutrocknen droht und sie damit dem Kipppunkt noch näherbringt. Die Spirale der Zerstörung setzt sich also in neuen Dimensionen fort. Der Verlust der Wälder befeuert die Klimakrise. Diese wiederum vernichtet weiteren Wald.
Noch ist es nicht zu spät
Gute fünf Millionen Quadratkilometer groß ist der Amazonas-Regenwald heute und erstreckt sich über neun Länder. Mit 60 Prozent hat Brasilien den größten Anteil am Amazonas – und mit seiner waldzerstörerischen Politik der letzten Jahre auch einen großen Anteil an der Katastrophe. „Nach dem Regierungswechsel in Brasilien kann und muss nun endlich eine Umkehr erfolgen“, so Südamerika-Experte Maldonado. „Schon seit Jahren üben wir politischen Druck aus – und zum Beispiel auch Druck auf Unternehmen für entwaldungsfreie Lieferketten.“
Die große Bedeutung der Schutzgebiete und indigenen Territorien
Schutzgebiete und indigene Territorien können nachweislich dazu beitragen, den Amazonas-Regenwald über der kritischen Größe zu erhalten – auch in Brasilien. Der größten Entwaldungsfront der Welt im Süden des Amazonas steht eine mehr als zehn Millionen Hektar große Landschaft aus Schutzgebieten und indigene Territorien standhaft entgegen. „Hier konnten wir helfen, die Entwaldung bis jetzt entscheidend zu verlangsamen. Schon ein Blick auf Google Earth reicht aus, um das zu sehen“, so Roberto Maldonado.
Der WWF unterstützt zahlreiche der Schutzgebiete, arbeitet eng mit den verschiedenen indigenen Gemeinschaften zusammen und schafft zum Beispiel auch nachhaltige Einkommensquellen für die Menschen im Amazonasgebiet. Denn der Schutz des Regenwaldes ist so vielfältig wie der Regenwald selbst. Und so umfassend. Schließlich geht es um den größten Tropenwald der Welt, die grüne Lunge unserer Erde und eines der Herzstücke unseres Planeten.
- Gemeinsam für den Wald: Indigene Territorien schützen