„Schon mit acht Jahren habe ich davon geträumt, Gorillas zu erforschen“, erzählt Shelly Masi. „Wenn ich beobachtend neben ihnen sitze und sie mir in die Augen schauen, bin ich glücklich und dankbar.“ Die Arbeit mit den Gorillas ist nicht immer leicht, es gibt auch Schicksalsschläge zu verarbeiten – für die Gorillagruppen und die Menschen, die die Tiere erforschen.
Seit mehr als 20 Jahren erforscht Shelly Masi die Gorillas von Dzanga-Sangha. Vier Jahre lang begleitete sie die Habituierung der ersten beiden Gorillagruppen Munye und Makumba. Heute betreut sie als Lehrbeauftragte am staatlichen französischen Naturkundemuseum in Paris die Langzeitbeobachtung der Gorillas. Noch immer kehrt sie jedes Jahr für einige Monate nach Dzanga-Sangha zurück.
Gorillas in Dzanga-Sangha

„Als im August 2022 Silberrücken Mata zu Tode kam, weil er vermutlich von einem Baum stürzte, war das nicht nur für seine Gruppe ein harter Schlag, sondern für uns alle“, erzählt Shelly Masi. Und nur drei Wochen später geschah das nächste Unglück: Die Fährtenleser fanden Mayele, das Oberhaupt der zweiten an Menschen gewöhnten Gruppe, so schwer verwundet, dass auch der Tierarzt ihm nicht mehr helfen konnte. Es waren wohl die Folgen eines Kampfes mit einem anderen Silberrücken, an denen der etwa 40-jährige Mayele am 21. September 2022 starb.
Sofort nachdem sie vom Tod der Silberrücken erfahren hatte, brach Shelly Masi in ihre zweite Heimat, nach Dzangha-Sangha, auf. Denn der Verlust ihres Beschützers hat existenzielle Konsequenzen für eine Gorillagruppe und viele Fragen schossen Shelly Masi durch den Kopf: Wie lange kann die Gruppe ohne Silberrücken zusammenbleiben? Kann die Gruppe das Überleben ihrer Jungtiere sichern? Wird ein fremder Silberrücken die weiblichen Tiere für sich gewinnen?
Besuch bei der Mayele-Gruppe in Mongambe
„Meine erste Sorge war, dass die beiden Gruppen zerfallen und das auch das Ende der langen, mühsamen Arbeit ihrer Habituierung wäre. Als ich im Mongambe Camp ankam, erfuhr ich, dass bereits drei Mitglieder der Mayele-Gruppe verschwunden waren. War das der Beginn der befürchteten Auflösung? Bei den Gorillas angelangt, fand ich sie in großer Unruhe. Selbst Duma, ein früher sehr sanftes und selbstsicheres Weibchen, wich sofort zurück, wenn sich jemand näherte, und presste ihr Baby Bokonya eng an die Brust. Dass Mayele sie nicht mehr beschützen konnte, machte ihr große Angst“, erzählt Shelly Masi.

„Wer war sonst noch da?“, fragte sich Shelly Masi. „Ich erkannte Dumas ältere Tochter Kenga, das fünfjährige Jungtier Meteyeba und den 13-jährigen Schwarzrücken Lungu, der in etwa einem Jahr zum jungen Silberrücken werden wird. Auf einmal nahm ich durch das dichte Pflanzengewirr zwei weitere Augen wahr, die uns aus einiger Entfernung anstarrten. Mit dem Fernglas erkannte ich, dass sie Mongonda gehörten, einem Weibchen, das 2016 zur Mayele-Gruppe gestoßen war. Sie war also auch noch dabei!“, freute sich Shelly Masi. „Beim zweiten Blick bemerkte ich, dass das Tier ziemlich groß geworden war, ein bisschen zu groß für ein Weibchen. Und das Rückenfell schien sich bei ihr rötlich zu färben, wie bei einem Schwarzrücken. Da fiel endlich der Groschen: Mongonda ist männlich!“
„Mit Mongonda an der Spitze und dem älteren Lungu am Ende setzte die Gruppe ihren Weg fort. Dieser Anblick hat mich unglaublich erleichtert, denn ich hatte befürchtet, die Schwarzrücken wären beim Kampf ihres Anführers vielleicht ebenfalls verletzt worden. Aber Mayele, der größte und friedlichste unserer habituierten Silberrücken, hat bis zum Tod gekämpft, um seine Gruppe und seine Nachkommen zu retten. Für mich ist er ein Held!“
„Schon mit acht Jahren habe ich davon geträumt, Gorillas zu erforschen. (...) Wenn ich beobachtend neben ihnen sitze und sie mir in die Augen schauen, bin ich glücklich und dankbar.“
Shelly Masi, Gorilla-Forscherin & Lehrbeauftragte am Staatlichen Naturkundemuseum Paris
Bei der Mata-Gruppe in Bai Hokou

Nach diesen Erlebnissen war Shelly Masi gespannt, was sie in bei der zweiten von drei habituierten Gorilla-Gruppen in Bai Hokou erwarten würden. „Auch die Mata-Gruppe erlebte ich wachsamer als früher”, erzählt Shelly Masi. “Besonders Wusa, eines der beiden erwachsenen Weibchen, und ihre siebenjährige Tochter Payo. Bei Wusa konnte ich das gut verstehen, hatte doch nur zwei Wochen nach Matas Tod ein Silberrücken versucht, die Gruppe zu übernehmen, und ihr Baby Mossika getötet. Was für uns grausam klingt, gehört bei Gorillas wie bei anderen Arten zum natürlichen Verhalten: Silberrücken töten Säuglinge, damit ihre Mutter wieder früher fruchtbar wird und sie eigene Nachkommen mit ihr zeugen können“, erklärt Shelly Masi.

„Wer mich in dieser Gruppe überraschte, war das Weibchen Indolia: Sie war die Anführerin und kümmerte sich nicht nur um ihren zweijährigen Sohn Ngumu, sondern auch um das siebenjährige Waisenkind Mongendje. Ich war so fasziniert von dieser Frauenpower, dass ich beschloss, meinen geliebten Makumba diesmal zu vernachlässigen und erst einmal nicht zur Makumba-Gruppe weiterzuziehen. Shelly Masi bleib also noch bei der Mata-Gruppe und wurde wenige Tage nach dieser Entscheidung belohnt:
Indolia führte ihren Verbund direkt zu einem Treffen mit der Makumba-Gruppe! – Sieben jungen Gorillas zuzusehen, wie sie halb im Spiel, halb im Ernst miteinander herumbalgten, war einfach herrlich”, erzählt Shelly Masi begeistert. „In den folgenden Tagen gingen Matas Weibchen ihren üblichen Aktivitäten nach. Es hat mich total fasziniert, wie hervorragend sie mit dieser schwierigen Situation zurechtkamen. Die Anpassungsfähigkeit von Gorillas ist wirklich erstaunlich.“
Eine neue Gruppe in Dzanga-Sangha

Im Mai 2023 dann eine weitere gute Nachricht: Womöglich gibt es in Dzanga-Sangha bald vier habituierte Gorillagruppen!
Anfang Mai entdeckte eines der Teams, die im Mongambe-Gebiet nach neuen Gorillagruppen suchen, eine etwa sieben Tiere starke Gruppe, etwa drei Kilometer westlich des Camps. Der Silberrücken der Gruppe ist kein Unbekannter: Es ist wahrscheinlich Mayeles ältester Sohn, Mopangu. 2018 hatte er im Alter von etwa 15 Jahren die Gruppe, in die er hineingeboren wurde, verlassen und inzwischen offenbar eine eigene Gruppe gegründet. Ob es sich wirklich um Mopangu handelt, wird Shelly Masi mit Hilfe von DNA-Analysen herausfinden. Die Ergebnisse stehen noch aus.
Mopangu erlaubt es dem Team, sich bis auf weniger als zehn Meter zu nähern. Gute Nachrichten für die Habituierung der Gruppe! Dass der Silberrücken diese Nähe erlaubt, kann die Zeit, die es dauert, bis eine Gorillagruppe Menschen in ihrer Nähe zulässt, erheblich verkürzen.
Ein sicherer Ort für Gorillas
Dzanga-Sangha ist nicht nur der einzige Ort der Welt, an dem es drei – oder vielleicht bald sogar vier – habituierte Gorillagruppen gibt, es ist ein Paradies. Es ist ein noch unberührter Ort mit einer unglaublichen Artenvielfalt, den es unbedingt zu erhalten gilt.
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