Was haben Riesengürteltier, Mähnenwolf, Südliche Tigerkatze und Azara-Kapuzineraffe gemeinsam? Sie alle sind Tierarten, die nicht nur klangvolle Namen tragen, sondern auch ein trauriges Schicksal teilen: Ihr Lebensraum im brasilianischen Amazonas-Regenwald und im Cerrado hat sich seit den 1970er beziehungsweise 1960er Jahren um mindestens die Hälfte verkleinert.

Azara Kapuzineraffe in Brasilien © WWF-Brasilien / Adriano Gambarini
Azara Kapuzineraffe in Brasilien © WWF-Brasilien / Adriano Gambarini

Bei der Südlichen Tigerkatze und dem Azara-Kapuzineraffen sind es sogar bis zu 80 Prozent weniger Lebensraum. Grund ist vor allem die Abholzung der natürlichen Vegetation für Viehhaltung und Sojaproduktion.

Oder weniger abstrakt: Das Rindersteak auf unserem Teller bedroht die Artenvielfalt in den wichtigsten Naturregionen Brasiliens: dem Amazonas-Regenwald und dem Cerrado, der artenreichsten Savanne der Welt.

Eine Studie des WWF und seiner Partner hat untersucht, wie sich die Zerstörung des natürlichen Lebensraums für Viehweiden und Sojaanbau auf die biologische Artenvielfalt dieser Gebiete auswirkt. Das Ergebnis lässt keine Zweifel: Sojafelder und Weideland sind die wichtigsten Faktoren für die Zerstörung dieser Lebensräume.

Im Amazonas-Regenwald wurden 96 Prozent der vernichteten Fläche, im Cerrado 86 Prozent durch Sojafelder oder Viehweiden ersetzt. Der Lebensraum für viele seltene, bedrohte oder nur hier vorkommende Tierarten schwindet mit dramatischer Geschwindigkeit.

Viele Tierarten haben keine Lobby

Südliches Dreibindengürteltier © Fernando Franceschelli / WWF-Brasilien
Südliches Dreibindengürteltier © Fernando Franceschelli / WWF-Brasilien

486 Tierarten wurden in der Studie untersucht. Bis auf zwei waren alle vom Verlust des Lebensraums betroffen.

Besonders besorgniserregend ist die Situation für die 136 untersuchten endemischen Arten, die nirgends sonst auf der Welt vorkommen. Ihr Bestand ist oft klein und das Gebiet, in dem sie leben, begrenzt. Es sind Tierarten, die kaum bekannt sind, wie der zartgelbe Baumfrosch Dendropsophus cerradensis, der im Cerrado lebt, oder der elegante Dunkelsäger, eine der seltensten Enten der Welt. Solche Tierarten ohne Lobby verschwinden meist von der Öffentlichkeit vollkommen unbemerkt.

Doch auch sogenannte Flaggschiffarten können der Zerstörung kaum entkommen. Prominentestes Beispiel ist wahrscheinlich das Südliche Dreibindengürteltier (Tolypeutes tricinctus), das 2014 von der FIFA als offizielles Maskottchen der Fußballweltmeisterschaft ausgewählt wurde. In einem Zeitraum von nur fünf Jahren hat die Zahl der Sojaplantagen in der Region Matopiba im Nordosten Brasiliens, in der das Tier vorkommt, um neun Prozent zugenommen.

Cerrado und Amazonas sind die Epizentren des Artensterbens

Fakt ist: Nirgends auf der Erde sterben so schnell so viele Arten wie im Cerrado und im Amazonas-Regenwald. Diese Regionen sind die Epizentren der Krise des Verlusts an biologischer Vielfalt.

Im Cerrado war der Lebensraumverlust in den letzten Jahrzehnten im Vergleich besonders groß. Er zählt zu den artenreichsten und zugleich am stärksten bedrohten Orten der Erde. Der Cerrado gilt außerdem als Wassertank Brasiliens und ist Heimat zahlreicher endemischer Tier- und Pflanzenarten.

Auch im brasilianischen Amazonasgebiet, einer der artenreichsten Regionen der Welt und wichtige Kohlenstoffsenke, nimmt die Entwaldung jedes Jahr zu. Auch hier wurde die natürliche Vegetation in erster Linie durch Weideflächen und Sojaanbau ersetzt. Allein zwischen August 2020 und Juli 2021 waren 13.235 Quadratkilometer Amazonas-Regenwald zum Kahlschlag bestimmt. Das entspricht fast der Fläche Schleswig-Holsteins und ist der höchste Wert der letzten 15 Jahre.

Warum Artenvielfalt auch für den Menschen wichtig ist

Juruena Nationalpark © Adriano Gambarini / WWF-Brazil
Juruena Nationalpark © Adriano Gambarini / WWF-Brazil

Eine hohe Artenvielfalt, stabile Populationen und intakte Ökosysteme können helfen, gesunde Böden zu schaffen und zu erhalten, Pflanzen zu bestäuben, Wasser zu reinigen und vor extremen Wetterereignissen zu schützen. Der Verlust der biologischen Vielfalt ist deshalb kein reines Naturschutzproblem und auch keine ethische Frage, sondern eine Frage der Gesundheit, Ernährungssicherheit, wirtschaftlichen Entwicklung und des globalen Klimaschutzes.

Wenn der seltene Dunkelsäger verschwindet, dann bedeutet das, dass sein Lebensraum mit klaren, schnell fließenden Flüssen und Seen bedroht und damit auch das Trinkwasser gefährdet ist. Andere bedrohte Vögel und auch kleine Säugetiere halten Schädlinge wie die Stinkwanze in Schach, die Getreidepflanzen vernichten können.

Ziel: Null Abholzung und entwaldungsfreie Lieferketten

Die Produktion von Soja und Rindfleisch gehört heute zu den größten Verursachern der Umweltzerstörung in Brasilien. Die großflächige Vernichtung natürlicher Lebensräume im Cerrado und Amazonas bedroht die Fähigkeit unseres Planeten, auch in Zukunft Nahrungsmittel zu produzieren.

Nur eine Stategie, die sich „zero deforestation“, also null Abholzung zum Ziel setzt, kann eine politische Umkehr bewirken und die Artenvielfalt bewahren. Aber auch die Importländer wie Europa, Großbritannien und die USA stehen hier in der Verantwortung. Sie müssen für entwaldungsfreie Lieferketten sorgen und nicht zuletzt den Fleischkonsum reduzieren.

Soja aus Europäischer Produktion

Lebensmittel aus Soja, die in Deutschland verkauft werden, kann man guten Gewissens essen. Sie bestehen aus gentechnikfreiem Soja aus deutscher bzw. europäischer Produktion, oft sogar in Bio-Qualität. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Tofu-Rezept in Deutschland mit dem Verlust von Regenwald in Südamerika zusammenhängt, ist also sehr gering.

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