Mit komplexen Klimamodellen versuchen Forscher, die Folgen des Klimawandels in der russischen Arktis vorherzusagen, um Strategien zum Schutz dieses fragilen Ökosystems ableiten zu können. Die Zusammenhänge sind kompliziert, doch in einem Punkt sind sich die Wissenschaftler einig: Nirgendwo sonst auf der Welt ist der Klimawandel so stark spürbar und messbar wie in der Arktis und nirgendwo sonst vollzieht er sich schneller.

Tiere und Pflanzen leiden

Eisbär in der russischen Arktis © Tom Arnbom / WWF-Canon
Eisbär in der russischen Arktis © Tom Arnbom / WWF-Canon

Für die russische Arktis bedeutet das: Wenn der Schnee immer früher im Jahr schmilzt, wachsen und blühen auch die Pflanzen eher. Auch der Lebenszyklus der Insekten verschiebt sich - sie schlüpfen früher. Damit ändert sich das Nahrungsangebot für Millionen von Zugvögeln, die zum Brüten in die Tundra kommen und denen Pflanzen und Insekten als Nahrung dienen.

Pflanzenarten, die bisher weiter südlich vorkommen, könnten einheimische und hochspezialisierte Arten im Norden verdrängen. Bereits jetzt verschiebt sich die Baumgrenze zunehmend nach Norden. Wald breitet sich aus und verdrängt Tundra und Feuchtgebiete, die wichtige Brutgebiete für seltene Vogelarten sind.

Der Eisbär verliert seine Nahrungsgrundlage, wenn er nicht mehr auf dem Eis nach Robben jagen kann. Schon jetzt nimmt die Geburtenrate bei den Eisbären ab und viele junge Eisbären überleben ihren ersten Winter nicht. Immer öfter nähern sich Eisbären auf der Suche nach Nahrung von Menschen bewohnten Siedlungen an und es kommt zu gefährlichen Mensch-Tier-Konflikten. Braunbär und Rotfuchs dringen nach Norden vor und konkurrieren dort mit Eisbär und Polarfuchs um Nahrung und Lebensraum.

Auf ihren Wanderungen überquerten in der Vergangenheit die riesigen Rentierherden in der Region Taimyr mit ihren neugeborenen Kälbern die zugefrorenen Flüsse über das Eis. Nun sind zur Zeit der Kalbung die Flüsse aber zum Teil schon getaut und die Tiere müssen mehrere Kilometer breites Eiswasser durchschwimmen, wobei viele der Rentierjungen sterben.

Sibirischer "Goldrausch" auf Mammut-Elfenbein

Viele tausend Jahre lagen sie unberührt, doch in den tauenden Böden und Uferkanten kommen nun bislang in der Kälte konservierte Mammutskelette zum Vorschein. In manchen Gebieten ist eine regelrechte Jagd auf das Elfenbein ausgebrochen. Auf der Suche nach den bei Sammlern begehrten Stoßzähnen werden Flussufer abgetragen und ganze Landstriche zerstört.

Auch früher ganzjährig vom Eis bedeckte Gebiete auf dem Meer und an Land werden durch die Erderhitzung plötzlich zugänglich und wecken Begehrlichkeiten bei industriellen Großkonzernen, die darunter Öl- und Gasvorkommen vermuten. Und wenn früher zugefrorene Passagen wie die Nordostpassage ganzjährig eisfrei werden, ist damit zu rechnen, dass sich mit zunehmendem Schiffsverkehr und Lärm auch der Stress für Walrosse, Robben, Eisbären und Wale erhöht und Ölkatastrophen und Meeresverschmutzung stark zunehmen.

Diese Veränderungen passieren jetzt und sie passieren schnell. Viel zu schnell für die meisten Tiere und Pflanzen, die viel größere Zeiträume benötigen, um sich an klimatische Veränderungen anzupassen. Deshalb brauchen die Tiere und Pflanzen der Arktis in Zukunft noch viel mehr als ohnehin schon Rückzugsgebiete, die frei von Industrie und menschlichem Einfluss sind. Schon seit den 1990er Jahren ist der WWF in der russischen Arktis aktiv.

Schutzgebiete helfen bei der Anpassung an den Klimawandel

Lena-Nordenskold Station © Hartmut Jungius / WWF
Lena-Nordenskold Station © Hartmut Jungius / WWF

In der Region Taimyr und den Autonomen Kreisen der Nenzen und der Tschuktschen, die gemeinsam fünf Mal so groß sind wie Deutschland, plant der WWF, zusammenhängende Wildnisgebiete für die arktische Tier- und Pflanzenwelt unter Schutz zu stellen. Erstmalig werden dafür auf Grundlage von Klimawandelmodellen große Gebiete identifiziert, die den arktischen Arten als Rückzugsgebiete dienen können, wenn sie langfristig unter Schutz gestellt und vernetzt werden. Das hat Modellcharakter und Vorbildfunktion auch für andere Regionen. Dieses ambitionierte Projekt ist Teil der Internationalen Klimaschutzinitiative (IKI) und wird vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) gefördert.

Der WWF will dabei auch Korridore für wandernde Arten wir die wilden Rentierherden schaffen, die bereits bestehende Schutzgebiete miteinander verbinden. Denn je größer und vernetzter eine Rentierpopulation ist, umso widerstandsfähiger und anpassungsfähiger ist sie in Bezug auf Veränderungen des Lebensraumes.

Die riesigen Rentierherden der Taimyr-Halbinsel sind außerdem von Wilderei bedroht, denn ihr Fleisch ist begehrt, ihre Zungen gelten in asiatischen Ländern als Delikatesse, ihre Geweihe als Medizin. Bis zu 100.000 wilde Rentiere werden allein in der Region Taimyr jährlich getötet, was die Tiere zusätzlich zum Klimawandel bedroht.

Um ein großes Netz aus Rückzugsgebieten zu schaffen, unterstützt der WWF auch bereits bestehende Naturschutzgebiete bei ihren Aufgaben. So werden Schulungen in neuen Arbeitsmethoden durchgeführt, Ranger ausgebildet, Managementpläne entwickelt und Ranger mit Schneemobilen, Satellitentelefonen und Booten ausgestattet, die es ihnen ermöglichen, größere Strecken zu kontrollieren.

Auch die Menschen treffen die Folgen des Klimawandels

Indigene Nenze in der Russischen Arktis © Staffan Widstrand / WWF
Indigene Nenze in der Russischen Arktis © Staffan Widstrand / WWF

In den Projektregionen leben traditionelle indigene Gemeinschaften, die besonders abhängig von der Vielfalt der natürlichen Ressourcen und einer intakten Umwelt sind. Zehntausende dieser Menschen leben von Jagd, Fischfang und Rentierzucht. Ziel des WWF ist, die indigenen Gemeinschaften der russischen Arktis dabei zu unterstützen, Strategien zur Anpassung ihrer Lebensweise an die veränderten klimatischen Bedingungen zu entwickeln. Wo Großkonzerne nach Öl und Gas bohren oder andere Industrieprojekte umsetzen wollen, müssen nachhaltige Alternativkonzepte entwickelt werden, um die Schäden an der Natur abzufedern und die Lebensgrundlagen der Indigenen zu schützen. Dort, wo die Natur noch intakt ist, müssen wir jetzt aktiv werden und langfristig Schutzgebiete platzieren und unterhalten.

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